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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

824–826

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Barth, Ulrich

Titel/Untertitel:

Kritischer Religionsdiskurs.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. X, 486 S. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-153118-7.

Rezensent:

Saskia Wendel

Bei diesem Buch handelt es sich um einen Sammelband von zum größten Teil bereits veröffentlichten Aufsätzen Ulrich Barths. Konzeptionelle Klammer der Beiträge ist, so B. in seinem Vorwort, der von ihm vertretene Begriff der Religion als Grundform humaner Sinnbildung und Deutungskultur. Dennoch versammelt der Band nicht nur religionsphilosophische Studien zum Religionsbegriff, sondern auch Beiträge zur philosophischen Theologie, zu Anthropologie und Bewusstseinstheorie oder zum Verständnis der Kirche oder des Protestantismus.
B. setzt in den Beiträgen des Buches einen philosophie- und theologiehistorischen Akzent und sucht einzelne Positionen, vorwiegend von Konzepten der Philosophie des Deutschen Idealismus oder Friedrich Schleiermachers, aber auch Rudolf Ottos und Paul Tillichs, luzide zu analysieren und kritisch zu aktualisieren. Besonders lesenswert ist der bislang noch unveröffentlichte Beitrag über das neuzeitliche Schicksal der Seele, in dem B. die neuzeitliche Re­zeption wie die Kritik des Seelenbegriffs nachzeichnet, dabei auch auf Spinozistische Motive zu sprechen kommt und abschließend ein eigenes Verständnis von Seele im Sinne des »Gesamtzustands der Person« (137) vorlegt, der aus der Eigenperspektive des Erlebens gewonnen wird. Hinzuweisen ist auch auf den Beitrag zu Haber mas’ Kant-Lektüre: Diejenigen, die beim Lesen von Habermas’ Kant-Rekonstruktion schon immer den Eindruck hatten, dass Habermas hier teilweise verkürzend zu Werke geht bzw. manches sogar verzeichnet, werden sich durch B.s erhellende Analyse bestätigt fühlen.
Kernstück des Bandes bilden neben Überlegungen zu Aspekten des Deutschen Idealismus oder dessen Rezeption bei Dieter Henrich (dessen Verknüpfung von Bewusstseinsvollzug und Gottesgedanken B. nicht nur hinsichtlich seiner starken epistemischen Ansprüche in Bezug auf die Verbindung von Selbst- und Gottesbewusstsein kritisiert, sondern auch im Blick auf eine nicht ganz von der Hand zu weisende schleichende Ontologisierung des Ichs) detaillierte Auseinandersetzungen mit Motiven der Theologie Schleiermachers. B. verdeutlicht hier z. B. die Spinozistischen Hintergründe von Schleiermachers früher Religionstheorie und markiert zugleich seine eigene Differenz zu Schleiermachers Religionsbegriff in dessen frühen Schriften. In diesem Zusammenhang trägt er seine be­kannte These des Deutungscharakters von Religion vor, im Unterschied zu ontologischen Aufladungen des Religionsbegriffs. Auch das Theologieverständnis Schleiermachers wird einer detaillierten Kritik unterzogen, wobei jedoch vor allem auch die großen innovativen Leistungen Schleiermachers (subjekt-theoretisch-transzendentale Grundlegung, kulturtheoretische Re­konstruktion sowie kommunikationstheoretische Durchführung des Religionsbegriffs) gewürdigt und aktualisierend angeeignet werden.
Kritische Anfragen richtet B. dann insbesondere an Schleiermachers mangelnde Verhältnisbestimmung von Gefühl und Reflexion und an dessen einseitige Betonung des Gefühlsaspekts, an dessen Symbolbegriff unter dem Aspekt der Differenz von weitem und engem Symbolbegriff sowie an den weitgehenden Ausfall einer Reflexion über die Bedeutung von einer auch über Heilige Schriften vermittelten (textuellen) Erinnerungskultur in Schleiermachers Glaubenslehre. Gleichwohl lässt B. in erfreulicher Deutlichkeit keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass ein Rückfall hinter die Innovationen der Theologie Schleiermachers etwa in überkom mene strikt offenbarungstheologische Positionen des Altprotes­tantismus weder wünschbar noch zukunftsweisend für eine Theologie in modernen Gesellschaften ist. Wer dies in seinem religionsphilosophischen Programm und Theologieverständnis ge­nauso sieht und wer zudem Religion wie B. als System einer Selbst- und Weltdeutung, letztlich einer Sinndeutung vor dem Horizont endlicher Existenz versteht, deren Möglichkeitsbedingung im freien Selbstvollzug bewussten Lebens zu markieren ist, findet in dem Band zahlreiche Anregungen und detailgenaue Rekonstruktionen wie Kritiken einschlägiger Konzeptionen. Einziger Wermutstropfen ist die doch recht einseitige Konzentration auf die protestantischen Rezeptionslinien; Verweise auf Rezeptionen des Deutschen Idealismus oder der Theologie Schleiermachers im Kontext liberaler katholischer Theologie sucht man dagegen vergebens, hier steht der offene ökumenische Austausch immer noch aus.