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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

814–816

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Gehrt, Daniel, u. Volker Leppin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Paul Eber (1511–1569). Humanist und Theologe der zweiten Generation der Wittenberger Reformation.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 624 S. = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 16. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-374-03056-9.

Rezensent:

Andrea Hofmann

Paul Ebers 500. Geburtstag und die Erschließung seines Hauptnachlasses an der Forschungsbibliothek Gotha waren der Anlass für eine Tagung zu »Paul Eber (1511–1569). Humanist und Theologe der zweiten Generation der Wittenberger Reformation«, die 2011 auf Schloss Friedenstein in Gotha stattfand. Die Tagungsbeiträge sowie zahlreiche ergänzende Materialien sind im vorliegenden Sammelband publiziert.
Den Aufsätzen ist ein umfangreicher Forschungsüberblick und -ausblick von Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer vorangestellt (19–42), der zugleich die spezielle Bedeutung Paul Ebers für die Reformationsgeschichte deutlich macht: »Paul Eber gehört zu den wichtigsten Kontinuitätsträgern der fundamentalen Veränderungen in Theologie, Frömmigkeit und Bildung, die Martin Luther und Phi-lipp Melanchthon von Wittenberg aus initiierten und verwirklichten.« (19) Als besonders aufschlussreich erweist sich Ebers Briefwechsel, der an der Forschungsbibliothek Gotha erschlossen wurde. Der Sammelband ist in fünf Rubriken unterteilt, aus denen im Folgenden zentrale Aufsätze vorgestellt werden.
Die erste Rubrik befasst sich mit »Konfessioneller Konsolidierung, Integration und Abgrenzung«. Volker Leppin ordnet Eber im Beitrag »Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit« (43–63) in die theologische Landschaft ein und definiert zwei Phasen in seinem Leben: Bis zum Tod Melanchthons fungierte Eber als dessen Begleiter; danach übernahm er als sein Nachfolger eine wichtige Rolle in der Wittenberger Reformation und versuchte als »zutiefst irenischer Mensch« (63) die innerlutherischen Streitigkeiten zu schlichten. Anhand der Korrespondenzen von Melanchthon und dem Nachlass Ebers erarbeitet Daniel Gehrt die Beziehung zwischen den Universitäten Wittenberg und Jena Mitte der 1560er Jahre (83–133). Gehrt kann »eine kontinuierliche Kommunikation von unterschiedlicher Intensität« (122) zwischen 1548 und 1569 nachweisen.
»Ebers Kompetenz- und Wirkungsbereiche« hat die zweite Rubrik des Bandes zum Thema. Seine Tätigkeit an der Philosophischen (Meinolf Vielberg, 134–161) und an der Theologischen Fakultät Wittenberg und in seinen Kirchenämtern (Andreas Gößner, 162–172) werden beleuchtet. Ausführlich analysiert Christian Winter das kirchenpolitische Wirken Ebers anhand bisher wenig berücksichtigter Quellen (173–195). Eber wirkte, wie sein Vorgänger Melanchthon, als »Autoritätsträger und Führungsgestalt« (194) der Obrigkeit. In der Argumentation folgte er in weiten Stücken seinem Lehrer Melanchthon.
In der dritten Rubrik steht das Wirken Ebers als Humanist im Mittelpunkt. Hervorzuheben ist der Aufsatz von Stefan Rhein, der eine »Annäherung« (196) an Ebers neulateinische Dichtungen bietet und sich damit einem bislang unbearbeiteten Forschungsthema widmet (196–257). Abgerundet wird der Aufsatz durch einen Anhang, der lateinische Dichtungen Ebers mit deutschen Übersetzungen enthält. Eber wird in der vierten Rubrik als Theologe und Seelsorger eingeordnet. Kenntnisreich stellt Johannes Hund des-sen theologische Entwicklung vom Philippisten zum Melanchtho-nianer im Kontext des Zweiten Abendmahlsstreites vor (341–374). Hund spricht von einer Phase der Orientierung, die bis zur Vorbereitung des Naumburger Fürstentags 1560 dauerte. In dieser Zeit folgte Eber der Interpretation Caspar Peucers. Modifikationen er­hielt seine Auffassung nach dem Naumburger Konvent. Ebers vollständig ausgebildetes Abendmahlsverständnis erscheint schließlich in seiner Abendmahlsschrift aus dem Jahr 1562. Während er anfangs die Einsetzungsworte im übertragenen Sinn interpretiert hatte, plädierte er nun dafür, sie wörtlich zu verstehen: »Eber vertrat fortan die Gegenwart des Leibes und Blutes in den irdischen Abendmahlsfeiern und den mündlichen Empfang durch die Kommunikanten.« (370)
Die letzte Rubrik des Buches widmet sich der Person und Rezeption Ebers. Während Philipp Knüpffer durch die Analyse zweier von der Forschungsbibliothek Gotha neu erworbener Autographen die Freundschaft zwischen Paul Eber und dem Kitzinger Weinhändler und Ratsherren Friedrich Bernbeck skizziert (444–485), stellt die Kunsthistorikerin Doreen Zerbe kundig Ebers Epitaph in der Wittenberger Stadtkirche vor und ordnet dieses in seiner Doppelfunktion als Memorialbild für die Familie Eber und als Erinnerungsbild für die Wittenberger Reformation ein.
Insgesamt sind die Gliederung des Bandes und die Auswahl der Beiträge, die von Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen verfasst wurden, kohärent. Inhaltliche Doppelungen sind bei der Fülle der Aufsätze wohl nicht zu vermeiden, stören den Lesefluss aber kaum. Die Aufsätze präsentieren Eber als wichtigen Vertreter »der zweiten Generation der Wittenberger Reformation« und bieten ein facettenreiches Lebens- und Wirkungsbild des Reformators. Er wird in seiner Eigenart als Nachfolger Melanchthons in Wittenberg be­schrieben. Immer wieder werden seine Bemühungen betont, die innerlutherischen Kontroversen friedlich beizulegen. Eber sticht nicht als Verfasser großer theologischer Schriften hervor, sondern als Bewahrer und Verbreiter des Wittenberger Erbes, als Autorität an der Universität und theologischer Ratgeber des Kurfürsten. Zugleich fungierte er in seinem Amt als Wittenberger Stadtpfarrer als Seelsorger und führte auch hier das Erbe Luthers und Melanchthons weiter. Darüber hinaus erscheint Eber als Humanist: als Schöpfer lateinischer Gedichte und deutscher Kirchenlieder; als Historiker und astronomisch Interessierter. Die Anhänge, die einzelnen Aufsätzen beigegeben sind und am Ende des Buches in geballter Form erscheinen, machen den Band zu einem wertvollen Handbuch. Viele Texte Ebers sind neu transkribiert, manchmal auch übersetzt.
Eine Bibliographie der gedruckten Schriften Ebers (Franziska König, 511–564); ein Überblick über Ebers Beiträge in den Wittenberger Scripta publice proposita (Christiane Domtera-Schleichardt, 565–586) sowie die Auflistung von Ebers Korrespondenzpartnern in den Beständen der Forschungsbibliothek Gotha (Paul A. Neuendorf, 587–600) machen das Buch komplett. Entstanden ist ein Kompendium, das einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung und Verbreitung der Wittenberger Reformation nach dem Tod Luthers und Melanchthons darstellt.