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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

812–814

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Garloff, Mona

Titel/Untertitel:

Irenik, Gelehrsamkeit und Politik. Jean Hotman und der europäische Religionskonflikt um 1600.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2014. 400 S. = Schriften zur politischen Kommunikation, 18. Kart. EUR 54,99. ISBN 978-3-8471-0222-9.

Rezensent:

Christian V. Witt

»Irenik, die um diskursive Aussöhnungsverfahren bemüht war, wurde vielfach mit antagonistischen Verhaltensmustern in Form konfessioneller Polemik beantwortet. Damit bewirkte sie häufig gerade das, was eigentlich vermieden werden sollte: konfessionellen und gelehrten Streit.« (23) Wie die hier anzuzeigende Dissertation von Mona Garloff eindrucksvoll belegt, bezieht sich diese grundlegende Feststellung, die sich an frühneuzeitlichen kontroverstheologischen Auseinandersetzungen erproben lässt, auch auf irenische Vorstöße von Seiten späthumanistisch gebildeter, theologisch bestenfalls interessierter Gelehrter des 16. und 17. Jh.s. Zu dieser Gruppe zählte der französische Jurist und Diplomat Jean Hotman, der sich zeitlebens für die konfessionelle Aussöhnung einsetzte, deren Ziel er in der Wiedervereinigung der streitenden Kirchentümer erblickte (37.310) – und der mit seinen Bemühungen genauso scheiterte wie prominente zeitgenössische Theologen vom Format eines David Pareus.
G. spürt nun dem Profil der Bemühungen Hotmans um Aussöhnung und Konkordie genauso sensibel und grundgelehrt nach wie den Gründen seines Scheiterns. Zur Erfassung beider Faktoren lässt sie weder die politische noch die religiös-konfessionelle Ebene im Werk des Irenikers außer Acht, wie die Gliederung der Arbeit ausweist: Nach konzeptionellen Überlegungen zur Verortung des Begriffs der Irenik »im Spannungsfeld zwischen Concordia- und Toleranzdenken« (27–42, Zitat 27), die auch die Schwächen der älteren historisch-theologischen Forschungsbeiträge benennen (31), und einer biographischen Skizze ihres Protagonisten (43–60) nimmt sie – entlang der religiösen und konfessionspolitischen Diskurse, in die sich Hotman einschaltete – Entwicklung und Eigenart seines irenischen Programms in den Blick (61–202), bevor ein zentrales Werk des Franzosen, sein zu Lebzeiten in drei Ausgaben erschienener Syllabus aliquot synodorum et colloquiorum, analytisch in den Mittelpunkt gerückt wird (203–306). Ein pointiertes Fazit (307–314) und ein Anhang (315–400), dem auch ein Abdruck der dritten Ausgabe des Syllabus von 1629 beigegeben ist (317–346), runden die Studie ab. Dass ein Sach- oder Begriffsregister fehlt, bleibt freilich zu bedauern.
Als Spross des reformierten Zweigs einer bikonfessionellen Familie war Hotman angesichts der Konversionen in seiner unmittelbaren Verwandtschaft eine bemerkenswerte Weitherzigkeit in religiösen Fragen zu eigen (53–57). Diese geradezu programma-tische und theoretisch reflektierte Weitherzigkeit bildete den Wurzelboden seiner Wahrnehmung der die Papstkirche von den protestantischen Kirchentümern, aber auch diese untereinander trennenden Gräben, zu deren Überwindung er als Teil eines paneuropäischen Gelehrtennetzwerks beitragen wollte (60).
Dabei vertrat er kein starres Konzept des Weges hin zu einer Reunion der getrennten Konfessionsparteien; vielmehr passte er seine diesbezügliche Argumentation geschickt den jeweiligen Adressaten seiner irenischen Vorstöße an (119.121.184) und entwi-ckelte diese von Diskurskonstellation zu Diskurskonstellation konzeptionell weiter. So versuchte er im Dienst nationalkirchlicher Interessen, durch inhaltliche Umdeutung des Begriffs der »katholischen Kirche« bei gleichzeitiger traditionshermeneutischer Idealisierung frömmigkeitspraktischer Pluralität (72 f.) sowie radikaler Reduktion derjenigen Riten und Texte, die als fundamental und damit als gemeinchristlich zu gelten haben (75.115), unter Rekurs auf Urchristentum und Kirchenväter das Verhältnis von Partikular- und Universalkirche zu bestimmen, und zwar in unzweideu-tiger Abgrenzung sowohl Richtung Genf als auch Richtung Rom (76–85; am Beispiel der Abendmahlslehre: 85–93). Dergestalt für die Vereinigung von Reformiertentum und Katholizismus auf dem Boden einer französischen Nationalkirche streitend, ließ Hotman »jedoch weitgehend offen, auf welchen Wegen diese concorde herbeizuführen war und wie eine Einigung in den jeweiligen Streitpunkten inhaltlich aussehen sollte« (100).
Er verlegte sich also ganz darauf, die Einheit der zerstrittenen Konfessionskirchentümer zu beschwören und dabei dogmatische Gegensätze weitestgehend auszublenden (121); die »Positionen der reformierten Theologie erschienen ihm nicht weniger dogmatisch verhärtet als der Kurs Roms« (114). »Es zeigt sich, dass Hotmans Überlegungen zum Kirchenfrieden weniger auf theologisch-systematischer Ebene erfolgten, als sich in ihrer argumentativen Stoßrichtung flexibel an die jeweiligen aktuellen religionspolitischen Rahmenbedingungen anpassten.« (121) Von dieser Grundlinie seines irenischen Denkens und Handelns ließ er auch nicht ab, als er sich im europäischen Kontext für die Herstellung des Friedens zwischen den Konfessionen durch Wiedervereinigung derselben starkmachte: Seine Wortmeldungen im Rahmen der Thronfolge der Stuarts in England (129–149), des Interdikts von Venedig (149–154) oder der europaweiten Diskussion um die Annahme der Trienter Konzilsbeschlüsse (154–163) bezeugen seine unablässigen Bemühungen, stets vermittelnd zu wirken und sich so zwischen den streitenden Parteien zu positionieren. Entsprechend konsequent verwahrte er sich zwar gegen jede allzu scharfe Polemik gegen Rom (144.146.154), ohne jedoch dessen Primatsansprüche und die daraus resultierenden Einflussoptionen auf die Kirche Frankreichs irgendwie zu befördern (157.159). In dem Bewusstsein der argumentativen Aporien derartiger Positionierungen zwischen den Fronten machte er auch vor textverändernden und selektierenden Eingriffen in die Quellenbestände, mittels derer er dem eigenen Standpunkt eine Traditionslinie bis in die Anfänge der Wittenberger Reformation hinein konstruierte, nicht halt (167.172).
Es überrascht nicht, dass sich Hotman mit seinem Modell von Irenik scharfe Absagen einhandelte, und zwar von allen konfessionellen Seiten; schließlich machte er sich mit seiner bis zur Polemik reichenden Kritik zum Beispiel an den ultramontanen Bestrebungen der Jesuiten (184), an der theologisch-dogmatischen Kompromisslosigkeit der Genfer (97–102) und sogar an der macht- und bündnispolitischen Pragmatik gekrönter Häupter (146–149.191–202), kurz: an allen Gefährdern und Skeptikern seines irenischen Programms, in allen Lagern Feinde. Daran änderte auch sein zunehmender Pragmatismus angesichts des komplexen politischen Allianzsystems, in das sich auch Frankreich einbinden musste, nichts (201). Dass er sich als Nichttheologe zudem berechtigt sah, den theologisch gebildeteren Adressaten seiner Irenik zu erklären, wo die Grenzen und Schwächen ihrer Kirchentümer eigentlich liegen, was am Christentum eigentlich fundamental ist und was an ihren eigenen Glaubenstraditionen eben nicht, ja wie man bestimmte Aussagen der Kirchenväter und der Bibel überhaupt »richtig« versteht, wird jene in der Wahrnehmung seiner Programmatik nicht günstiger gestimmt haben. Ganz im Gegenteil: Sie werden jeden seiner Vorstöße naturgemäß bei allem friedfertigen Anstrich als mehr oder weniger subtile Polemik wahrgenommen haben, was auch Hotmans Irenik schon aufgrund ihres argumentativen Ansatzes zum Scheitern verurteilte, solange der je eigene konfessionelle Standpunkt seiner Adressaten mit dem der christlichen Wahrheit gleichgesetzt wurde.
Genau diese Abhängigkeit irenischer Programme von Selbst- und Fremdwahrnehmung des Adressierenden und der Adressaten stellt die fulminante Studie G.s in aller wünschenswerten Deutlichkeit vor Augen und empfiehlt sich so für ihre Berücksichtigung auch in historisch-theologischen Debatten um irenische Phänomene des 16. und 17. Jh.s.