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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

810–812

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bullinger, Heinrich

Titel/Untertitel:

Kommentare zu den neutestamentlichen Briefen Gal – Eph – Phil – Kol. Hrsg. v. L. Baschera.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2014. LXXXIII, XVI, 322 S. = Heinrich Bullinger Werke. Abt. III: Theologische Schriften, 7. Lw. EUR 98,00. ISBN 978-3-290-17734-8.

Rezensent:

Stefan Michel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Bullinger, Heinrich: Briefe von Januar bis Mai 1546. Bearb. u. hrsg. v. R. Bodenmann, A. Kess, J. Steininger unter Benützung d. Abschriften v. E. Egli u. T. Schieß. Philologische Beratung durch R. Jörg. Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2014. 443 S. = Heinrich Bullinger Werke. Abt. II: Briefwechsel, 16. Lw. EUR 108,00. ISBN 978-3-290-17760-7.


Für alle Reformatoren des 16. Jh.s gilt, dass sie, wenn sie nicht nur vor einem kleinen Zuhörerkreis mündlich wirken wollten, durch das Medium der Schrift an die Öffentlichkeit treten mussten. Dies führen die beiden kurz nacheinander im Sommer 2014 erschienenen Bände der Heinrich Bullinger Werkausgabe eindrucksvoll vor Augen.
Das breitenwirksamste reformatorische Medium war – auch für Bullinger – der Buchdruck: Bereits zu seinen Lebzeiten waren die aus Bullingers Predigttätigkeit erwachsenen Kommentare neutes­tamentlicher Bücher weithin geachtet und begehrt, da sie vergleichsweise knapp und präzise in das Verständnis des jeweiligen Textes einführten. Für die reformationshistorische Forschung ist insofern eine kritische Edition dieser Kommentare notwendig und wünschenswert, weil dadurch die zeitgenössische Auseinandersetzung mit der Bibel weiter erforscht werden kann und zentrale Texte leichter zugänglich werden.
Nachdem Luca Baschera im Jahr 2012 in Band 6 der dritten Abteilung der Bullingerwerkausgabe eine Edition des Römerbriefkommentars (1533) sowie der Kommentare zum 1. und 2. Korintherbrief (1534, 1535) vorlegte, erschien nun eine ebenso gründliche moderne Edition des Kommentarbandes über den Galater-, Epheser-, Philipper- und Kolosserbrief. In diesem erstmals 1535 erschienenen Kommentar zeigte Bullinger seine Vertrautheit mit den Texten, die er durch seine Kappeler Vorlesungen und Zürcher Predigten gewonnen hatte. Der Kommentar ist den Brüderpaaren und Konstanzer Reformatoren Ambrosius und Thomas Blarer sowie Johannes und Konrad Zwick gewidmet (vgl. Widmungsvorrede, 3–8). Die Kommentare folgen, wie auch die zu den beiden Korintherbriefen dem Text des 1522 von Erasmus herausgegebenen »Novum Testamentum«. Bullinger behielt die in den Vorgängerkommentaren erprobte Methode bei, den Text fortlaufend auszulegen. Ein vorangestelltes Argumentum fasst kurz wesentliche Inhalte des jeweiligen Briefes zusammen (11–13.127 f.211.253 f.).
Bullinger zog nur wenige andere exegetische Hilfsmittel zur Kommentierung heran und vertraute darauf, dass der Text unmittelbar durch seinen Kontext ausgelegt werden könnte. Wahrscheinlich kannte er den ersten Galaterkommentar Luthers, er­wähnte ihn aber im Gegensatz beispielsweise zu Auslegungen des Kirchenvaters Ambrosius nie explizit. Möglicherweise spricht dies für das Zürcher Selbstverständnis gegenüber der Wittenberger Reformatorengruppe.
Der sorgfältigen und übersichtlichen Edition liegen die Erstauflage aus dem Jahr 1535 sowie die Gesamtausgabe der Kommentare zu den neutestamentlichen Briefen von 1537 zugrunde. Eine gezielte Suche ist sowohl durch das vierfache Register zu Bibelstellen, Quellen, Personen und Orten als auch durch die beiliegende CD-Rom, die das gesamte Buch in einer PDF-Version bietet, möglich. Inhaltliche Vergleiche zum Vorgängerband werden durch willkommene Anmerkungen des Herausgebers erleichtert. Der Verlag hat bereits den nächsten Band über die beiden Thessalonicherbriefe, die beiden Timotheusbriefe, den Titus- und den Philemonbrief angekündigt, der die Möglichkeiten zur Erforschung von Bullingers neutestamentlicher Exegese nochmals erweitern wird.
Der Brief ist das andere in seinen Wirkungen ebenfalls nicht zu unterschätzende reformatorische Medium, das sich individueller für die Klärung einzelner Probleme oder die Pflege von Kontakten eignet: Dies macht der Band 16 des Heinrich Bullinger Briefwechsels (HBBW) deutlich, der den Zeitraum von Januar bis Mai 1546 um­fasst. Das Jahr 1546 stellte bekanntlich für den Protestantismus ein historisches Wendejahr dar, da Luther starb und der Schmalkal-dische Krieg ausbrach. Für Bullinger bedeutete dieses Jahr eine In­tensivierung seines Briefaustauschs. Deshalb sahen sich die drei Bearbeiter des HBBW erstmals genötigt, aufgrund der dichten Überlieferung von 420 Briefen für das vorliegende Jahr einen Teilband mit 134 Nummern vorzulegen. Der nächste Band wird das Jahr komplettieren. Sicher ist diese Entscheidung aus der Sicht der Be­nutzer zu begrüßen, da so ein recht handliches Buch entstanden ist.
Dass die Briefe beispielsweise die gedruckten Werke Bullingers kontextualisieren, belegt der Brief des Pfarrers Johann Werner Wiga aus Rottweil an Bullinger (HBBW 2334) mit dem verklausulierten Dank für den ihm wohl im Herbst 1545 übersandten Markuskommentar des Zürcher Antistes. Mit Wiga hatte Bullinger bislang noch keine Briefe gewechselt. Er kommt also als neuer Korrespondenzpartner hinzu.
Wie bereits bei den Vorgängerbänden eröffnet eine gehaltvolle Einleitung den Band (11–46), die Reinhard Bodenmann verfasste. Darin weist er auf das Netz der Korrespondenten hin, zu dem im Zeitraum vorliegender Edition 47 Personen gehörten. Besonders intensiv waren die Kontakte beispielsweise nach Basel, Augsburg und Konstanz. Einzelfragen der Überlieferung werden ebenso beleuchtet wie die neu hinzukommenden Korrespondenzpartner oder die Beziehungen zu den Hauptkorrespondenten Bullingers, unter denen wieder Ambrosius Blarer und Oswald Myconius herausragen. Unter den edierten Briefen befinden sich erstmals einer von Bullinger an Vadian (HBBW 2425) und zwei von Vadian an Bullinger (HBBW 2400, 2411). 22 Briefe werden nur in ausführlicher Regestform geboten, da sie in anderen Editionen, wie dem Vadianbriefwechsel, gut zugänglich sind. Höchst anregend sind Bodenmanns Hinweise zum »Briefschreiber Bullinger« (20–26), die aus einer intensiven Kenntnis des Editors mit seinem Gegenstand erwachsen sind. »Sein Wesen kommt nämlich in seinem Briefwechsel viel mehr als in seinen gedruckten Schriften zum Ausdruck.« (20) Bullinger gibt sich in seinen Briefen als »Taktiker« zu erkennen, der keine Auseinandersetzungen scheut. Ihm ist vor allem die Eintracht der Zürcher Kirche wichtig. Interessant ist deshalb Bullingers Haltung zu Luthers Tod, den er nicht sonderlich bedauerte (z. B. HBBW 2424), sondern darin eine Chance zur Verständigung mit den Wittenbergern erblickte. Aus diesem Grund schrieb er auch wieder an Melanchthon (HBBW 2404, leider nur als Regest abgedruckt, da eine Edition in MBW vorgesehen ist). Dass Bullinger ein Reformator war, der am europäischen Geschehen Interesse zeigte, belegt nicht nur die Beobachtung der Einführung der Reformation in der Pfalz (33), sondern auch die der Auseinandersetzung zwischen England und Schottland (z. B. HBBW 2336). Wichtig sind weiterhin Bodenmanns Hinweise zum »Bildungswesen« dieser Zeit (31), die sich aus den Briefen gewinnen lassen. Der Wert der Edition des HBBW ist sicher kaum hoch genug zu veranschlagen. Dies machen die Bemerkungen zu den in den Briefen erwähnten »Handschriften, Drucken und Druckern« deutlich (40–44). Darunter befinden sich auch zwei Schriften Luthers, die so in der Lutherbibliographie nur schwer zu fassen sind.
Seit Oktober 2013 sind die ersten 14 Bände des HBBW online benutzbar (http://www.irg.uzh.ch/hbbw.html). Möge diese Internetseite ebenso fleißig konsultiert werden wie die der online verfügbaren Regesten des MBW. Überhaupt bietet die Internetseite des HBBW weit über die gedruckte Edition hinausreichende und sie deshalb ergänzende Hilfestellungen für die Erschließung der umfangreichen Edition des Zürcher Antistes, wie z. B. eine »Kartographie des Briefnetzes«. Die mit diesem Band erneut unter Beweis gestellte kontinuierliche Qualität des HBBW ist zu loben, da so der reformationshistorischen Forschung ein unverzichtbares Arbeitsinstrument an die Hand gegeben wird, das nicht nur die Zürcher Reformationsgeschichte erhellt. Insofern wird der nächste Band mit großer Vorfreude erwartet.