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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

788–790

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Werner H.

Titel/Untertitel:

Gottes Wirken und Handeln des Menschen. Zum Verständnis des Alten Testaments und seiner Bedeutung für den christlichen Glauben.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2014. 184 S. = Biblisch-Theologische Studien, 147. Kart. EUR 26,99. ISBN 978-3-7887-2805-2.

Rezensent:

Otto Kaiser

Dieser Aufsatzband von Werner H. Schmidt vereinigt, abgesehen von den einleitenden Vorbemerkungen, sieben Aufsätze, die das Problem der Bedeutung des Alten Testaments für den christlichen Glauben umkreisen. Als Anhang ist dem Büchlein eine Verteidigung der historisch-kritischen Exegese beigegeben. Die Aufsätze sind zwischen 1989 und 2011 entstanden. Auf ihre ursprüngliche Veröffentlichung wird im Folgenden jeweils hingewiesen. Die »Vorbemerkung« steht unter der Überschrift »Eine Religion der Unterscheidung: Wirken Gottes und Handeln des Menschen« (V–VII). In ihr weist S. darauf hin, dass das Alte Testament zwischen Gott und Welt sowie Gott und Mensch unterscheidet, ohne den grundlegenden Zusammenhang von Schöpfung und Geschöpfen aufzuheben, wobei einerseits der Einzelne in seiner Besonderheit wahrgenommen und andererseits allen Menschen die Gottebenbildlichkeit zugeschrieben wird. Dabei bleibe die Unterscheidung zwischen Gottes Wirken und menschlichem Handeln »wohl das Hauptstück des alttestamentlichen Erbes« (VI). Von dieser Grundeinsicht her müssten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Testamente ins Blickfeld gerückt werden. Dieser Aufgabe widmen sich die folgenden sieben Aufsätze.
Der erste Beitrag behandelt »Werk Gottes und Tun des Menschen. Ansätze zur Unterscheidung von ›Gesetz und Evangelium‹ im Alten Testament« (1–28; JBTh 4 [1989], 11–28). In ihm kommt S. zu dem Ergebnis, dass die Unterscheidung zwischen Gebot und Verheißung den alttestamentlichen Texten angemessener als die Rede von Gesetz und Evangelium sei, weil ihr die zwischen dem Werk Gottes und dem Tun des Menschen entspricht. Andererseits verweisen die Gerichts- und die bis zur Verheißung eines neuen Bundes und eines Friedenskönigs reichenden Heilsankündigungen auf Jahwe als den entscheidend das Schicksal seines Volkes bestimmenden Gott, wobei die in Sach 9,9 f. vorliegende Verheißung eines demütigen Friedenskönigs auf seine Hilfsbedürftigkeit und die Zusage in Jer 29,13, dass sich Jahwe von denen finden lässt, die nach ihm fragen, durch solche Texte überboten wird, in denen Gott verheißt, sich von denen finden zu lassen, die nicht nach ihm fragen (Jes 65,1). Dieser Vorrang Gottes tritt unbestritten in den Berichten über die Schöpfung und Neuschöpfung der Welt (Jes 65,17) wie in den Zusagen hervor, dass er die Seelen der Toten aus der Unterwelt erlösen wird (Ps 73,23; Jes 49,16). Kein Zweifel, es ist S. in diesem einleitenden Essay gelungen, daran zu erinnern, dass Gottes Handeln im Alten Testament dem der Menschen vorgeordnet ist.
Der zweite Beitrag ist dem Verständnis der Theologie des Alten Testaments vor und nach Gerhard von Rad gewidmet (29–72; VF 25 [2005], 25–34). In ihm skizziert S. die Entwicklung der alttestamentlichen Theologie in Auswahl von J. Ph. Gabler (1787) bis zum Ende des 20. Jh.s. Nachdem sie z. B. von R. Smend (1893) als Religionsgeschichte entworfen war, postulierten R. Kittel (1921) und C. Steuernagel (1925), dass neben sie eine eigentliche Theologie des Alten Testaments treten müsse. Trotzdem wurde die Aufgabe auch weiterhin (vgl. z. B. Walter Eichrodt [1929]) als eine deskriptive verstanden. Das sich daraus ergebende Nebeneinander von Religionsgeschichte und Theologie wurde erst durch Gerhard von Rad überwunden, indem er die Zweiteilung in Geschichte und Lehre zugunsten einer Nacherzählung des alttestamentlichen Glaubenszeugnisses im Lauf der Geschichte aufhob. Daher war für ihn nicht die Offenbarung, sondern die Offenbarungsaussage bzw. das Glaubensverständnis das Thema der alttestamentlichen Theologie, wobei er weit mehr als seine Vorgänger die Aufnahme alttestamentlicher Themen im Neuen Testament ins Blickfeld rückte. Fragt man heute nach den für das Alte Testament typischen theolo-gischen Aussagen, so muss man, wie es seit den 1960er Jahren mehr und mehr üblich geworden ist, ihr Verhältnis zu den entsprechenden Konzepten seiner Umwelt in die Untersuchung einbeziehen. Aus diesem Rückblick zieht S. für die Verhältnisbestimmung der beiden Testamente zehn Konsequenzen (69–72), die auf der Voraussetzung beruhen, dass es auf Erden keine theologia aeterna geben kann, sondern jede Generation sie neu schreiben muss.
Das in dem dritten Aufsatz behandelte Thema »Aspekte der Religionskritik im Alten Testament« (73–86; FS G. Sauer, Frankfurt a. M. 1999, 137–148) kann man indirekt als ein Erbe der Emanzipationsbestrebungen der 60er und frühen 70er Jahre bezeichnen. Schon die beiden ersten Sätze zeigen jedoch, dass S. die Frage nicht von außen, sondern von innen her gestellt wissen will: »Religionskritik erscheint durchweg als Kritik, die an der Religion geübt wird. Das Alte Testament, zumal die Prophetie, bezeugt jedoch, dass Religionskritik nicht erst von außen an die Religion herangetragen wird, sondern aus ihr, aus dem Gottesverständnis erwachsen kann und sich auf es bezieht, insofern eine Auseinandersetzung des Glaubens mit sich selbst ist.« (73) Das wirkungsvollste Phänomen der alttestamentlichen Religionskritik aber ist das Bilderverbot, vgl. Hos 8,4 (84–85). Dabei erinnert Jes 55,9 an den Unterschied zwischen den Gedanken des Menschen und den Gedanken Gottes (86).
Der vierte Beitrag gilt »Der Frage nach einer ›Mitte‹ des Alten Testaments (87–103; EvTh 68 [2008], 168–178). Bei ihr handelt es sich de facto um die Frage, ob das Alte Testament eine Grundidee enthält, die seinen inneren Zusammenhang bewirkt. Je größer der Abstand ist, aus dem es betrachtet wird, desto näher rücken seine Inhalte zusammen. Gerhard von Rad hat die Frage als schwer zu beantworten bewertet, aber darauf hingewiesen, dass der Glaube Israels grundsätzlich geschichtstheologisch fundiert ist. Sachlich hat sich Israel nicht am Monotheismus, sondern am ersten Gebot gemessen, wobei man von Rads Urteil über das Alter des Gebots mit Vorbehalt beurteilen müsse (88–90). Dagegen hat A. H. J. Gunneweg die Frage nach der Mitte des Alten Testaments als unsachgemäß beurteilt, weil sie vom Neuen Testament her gestellt sei (91). Versteht man unter der Mitte ein bestimmtes Buch, so kann man zweifellos das Deuteronomium als solches betrachten, weil es einerseits ältere Traditionen aufgenommen und andererseits erhebliche Denkanstöße gegeben hat, die sich nach Ansicht des Rezensenten in redaktionellen Bezügen zumal der Prophetenbücher nachweisen lassen (91–93). Für Walter Zimmerli und Henning Graf Reventlow lag sie in dem Glauben an den einen Gott Israels (93–95). Als grundlegend kann man nach S.s Urteil die Bundesformel betrachten, nach der Jahwe der Gott Israels und Israel das Volk Jahwes ist. Das schloss a) eine Selbstkritik nicht aus; hinderte b) Israel nicht daran, auf die weltweite Anerkennung dieses einen Gottes zu hoffen; ließ c) Raum dafür, alle Menschen als Geschöpfe Jahwes zu betrachten, und forderte sie d) dazu auf, ihr eigenes Geschick mit diesem Gott in Beziehung zu setzen (95–98). Als Momente dieser Mitte betrachtet S. die sich bei dem Vergleich mit anderen Religionen ergebende Eigenart des Jahweglaubens, dem geschichtlich betrachtet Kontinuität und Wandel eigentümlich sind. Darüber hinaus gelte es, die Frage nach dem inneren Zusammenhang von Altem und Neuem Testament aufzunehmen (98–100). Menschliche Schicksale werden im Alten Testament im Horizont des Glaubens an den göttlichen Herrn Israels gesehen, während das Neue Testament zwar nicht den alttestament-lichen Gottesnamen, aber den Glauben an den einen Gott übernommen hat (101–103). Wiederum kann der Rezensent dem Autor bescheinigen, dass er die Aspekte des Themas angemessen bedacht hat.
Der fünfte Aufsatz »›Der tötet und lebendig macht.‹ Elemente biblischer Theologie aus alttestamentlicher Sicht« (105–123; EvTh 69 [2009], 432–443) hebt nachdrücklich hervor, in welch umfassender Weise der Gott des Alten Testaments der Herr über Leben und Tod und mithin auch über das Totenreich ist. In diesem Zusammenhang erweist sich die tröstende Macht zumal von Psalmen wie dem 22., 23. und 90. Das Neue Testament und mit ihm die christliche Kirche hält in antignostischer Absicht an der Einheit des Schöpfers und des Erlösers fest. Unterscheidet man jedoch zwischen dem notwendig mythischen Charakter aller letzten Aussagen über Gott, Mensch und Welt, so stimmt der Referent durchaus zu, ohne doch die Tür zu einer Hoffnung zuzuschlagen, in der Gott alles in allem ist. Denn Mystik und Apokalyptik haben erkenntnistheoretisch bedacht je ihre eigene aspektive Berechtigung.
Der sechste Beitrag behandelt die grundsätzliche Frage nach der Stellung und Bedeutung des Alten Testaments in der Bibel (125–149 / EvTh 71 [2011], 84–99). Dabei gibt sich seine Eigentümlichkeit darin zu erkennen, dass es an die schicksalhafte Begrenzung des eigenen Lebensentwurfes (Prov 16,9) und zugleich an den darin enthaltenen Charakter des Schicksals als Geschick erinnert, das es als solches anzunehmen gilt (Koh 7,14), wobei Gott der Herr von beidem bleibt, den der Mensch in allen Nöten anrufen kann.
Der siebte Beitrag »Ausklang und Zusammenschau« (151–158) zieht eine knappe Summe aus dem Vorhergehenden: Die Erzählungen des Alten Testaments stellen Höhen und Tiefen menschlichen Daseins vor, die Psalmen erfassen unterschiedliche Lebenssituationen und die Propheten verbinden in ihren Ansagen der Zukunft eine tiefgreifende Kritik an Verhältnissen der Geschichte und der Gegenwart, während die Weisheitsbücher Erfahrungen des Menschseins und des menschlichen Miteinanders bedenken, ohne die Grenzen der dem Menschen möglichen Erkenntnis zu überschreiten. Das Alte Testament hat dank dieser Eigenart seiner Schriften eine nachhaltige Wirkung auf Literatur, Musik und darstellende Kunst ausgeübt. Das Neue Testament hat vom Alten die Ausschließlichkeit des Glaubens an den einen Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde übernommen und den Rückbezug des Glaubens auf ein geschichtliches Grundereignis (Lk 22,19). Es teilt mit dem Alten grundsätzliche Aussagen über das Wesen Gottes, bezieht die Abraham gegebenen Verheißungen auch auf sich, teilt den Glauben an die Gottebenbildlichkeit des Menschen und lässt sich durch den Dekalog an die allem Handeln vorausgehende Gemeinschaft mit Gott und an die Pflicht, das Leben des Nächsten zu schützen und ihn wie sich selbst zu lieben (vgl. Lev 19,18 mit z. B. Mt 5,43–48), erinnern. Schließlich verdanken wir dem Sabbat-gebot in Ex 20,8–11 das Einhalten eines der Arbeitsrhythmus der Woche unterbrechenden und gliedernden Tages des Arbeitsruhe. Darüber hinaus besitzt die Sozialethik in Jer 29,5–7 ihr Motto, der Stadt Bestes zu suchen. Das Alte Testament besitzt nach S.s Urteil dank seiner Lebensnähe zwei Vorteile: Einerseits übt es scharfe Selbstkritik, aber andererseits kann es seine Grenzen in der Hoffnung auf einen allgemeinen Völkerfrieden und die Besiegung des Todes durch Gott in die Erwartung eines neuen Himmels und einer neuen Erde überschreiten.
Dass der Band mit einer kleinen Verteidigungsrede als Anhang schließt, die auf Grenzen und Vorzüge der historisch-kritischen Exegese hinweist (159–181), sei zustimmend angemerkt: Mit dem Absterben der Bemühung um den Wortsinn der biblischen Texte würde die Kirche ihr kritisches Gegenüber verlieren und damit ihrem Auftrag untreu, sich im Blick auf die Botschaft der Schrift ständig zu reformieren.