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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

786–788

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schlenke, Barbara

Titel/Untertitel:

Gottes Reich und Königs Macht.

Verlag:

Komposition und Redaktion in Daniel 4–6. Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2013. X, 422 S. = Herders biblische Studien, 76. Geb. EUR 60,00. ISBN 978-3-451-30776-8.

Rezensent:

Martin Rösel

Diese Arbeit von Barbara Schlenke, die gekürzte (!) Version ihrer bei P. Weimar in Münster gearbeiteten Dissertation, nähert sich in zwei unterschiedlichen methodischen Zugängen den wohl ältes­ten Kapiteln des Danielbuches. Nach einer kurzen Einleitung und Darstellung des Forschungsstandes (1–17) wird zunächst in einem ersten Hauptteil die Kompositionsstruktur der einzelnen Kapitel nachvollzogen (18–213). Danach wird als zweiter, kaum mit dem ersten verbundener Hauptteil (214–365) eine redaktionsgeschichtliche Skizze vorgelegt. Die Zusammenfassung »Ertrag und Ausblick« (372–380) bündelt im Wesentlichen die Erkenntnisse dieses Teils und nimmt thetisch auch den Rest des Danielbuches in den Blick. Register fehlen; als Anhang wird eine Arbeitsübersetzung von Dan 3,31–6,29 geboten, bei der man sich fragt, warum eine begründete Übersetzung nicht der Beschäftigung mit den Texten vorangestellt wurde.
Im ersten Hauptteil wird in m. E. überbordender Ausführlichkeit der Aufbau zunächst der einzelnen Kapitel, dann der Erzählbögen Dan 2–7 und 1–6 dargestellt und analysiert. Als Ergebnis wird deutlich, dass Dan 4–6 keine eigene Kompositionseinheit sind und Dan 1–6 wegen der gemeinsamen Gattung der Hoferzählung als eigene Größe von 7–12 abzusetzen sind. Am Ende wird der Blick auf die Komposition des gesamten Buches geweitet und auf die Beziehungen zwischen Dan 1 und 10–12 hingewiesen. Vorher war allerdings auf S. 172 m. E. gut begründet worden, warum Dan 4–6 mit Kapitel 2–7 eine sinnvolle Einheit bilden. Wie das Nebeneinander der beiden Einheiten 1–6 und 2–7 zu verstehen ist, wurde mir beim Lesen nicht klar.
Der Aufwand für die Nachzeichnung der Kompositionselemente ist enorm hoch. Es wird vor allem buchintern argumentiert, eine historische Perspektive oder auch nur die Verortung in möglichen Adressatenkreisen fehlt und Vergleiche mit ähnlichen Erzählungen (Ester, Josephsnovelle) kommen nur am Ende kurz vor. Immerhin sind die Ergebnisse sinnvoll und den Texten angemessen, auch beweist die Vfn. eine breite Kenntnis der Sekundärliteratur.
Während man nach Lektüre des ersten Teils den Eindruck sorgsam gestalteter Erzählungen gewonnen hat, beschäftigt sich die Vfn. im zweiten Hauptteil mit der Redaktionsgeschichte, was zu einem ganz anderen Bild führt. Nun gibt es für das Danielbuch sehr gute Gründe, ein Wachstum in Etappen anzunehmen und literarkritische und redaktionsgeschichtliche Fragestellungen an­zuwenden: Innerhalb des Buches wechseln sowohl die Sprache als auch die Gattungen, wichtiger noch sind die externen Belege durch den ab­weichenden Text der griechischen Übersetzung, die zudem in zwei Versionen belegt ist, von denen auch der Theodotion-Text nicht immer dem MT folgt. Zu Dan 4 gibt es zudem die überlieferungsgeschichtlich älteren Texte zur Nabonid-Tradition. Insofern ist mir nicht ganz nachvollziehbar, warum die Vfn. nicht vom Problembestand des external evidence ausgeht, sondern zunächst rein text-intern arbeitet. Dabei ist ihr Blickwinkel von einer Hermeneutik des Verdachts bestimmt, der sie eine Fülle von Textteilen oder Wendungen als sekundär ausscheiden lässt, wobei die Kriterien mir nicht immer klar sind, etwa wenn in dem einen Vers 5,5 aufgrund »stilistischer Härten« zwei Erweiterungen konstatiert werden (265).
Als Ergebnis der Untersuchung stellt sich heraus, dass die Kapitel 4 und 5 ursprünglich nichts mit der Daniel-Figur zu tun hatten, ebenso wenig einen Bezug zur Weltreich-Problematik. Ihr Kernbestand sind wenige Verse, in Kapitel 4 ein Gedicht über den Weltenbaum (V. 7–12*) und seine Deutung durch einen Beltschazzar (V. 25–30*), in Kapitel 5 ein knappes Erzählfragment aus V. 1.4.5.25: Während Belschazzars Gastmahl erscheint eine Hand und schreibt das »mene mene tekel upharsin« auf die Wand. Erst durch eine Redaktion wurden die Geschichten zu Hofgeschichten um die Figur des Daniel erweitert. Demgegenüber gehöre Daniel zum Kernbestand von Dan 6 und dem Löwengruben-Abschnitt aus Bel et Draco, hier sieht die Vfn. den ältesten Haftpunkt der Daniel-Tradition. Die Ergebnisse zu den einzelnen Kapiteln werden übersichtlich dargestellt, so dass man dem Argumentationsfortschritt gut folgen kann.
So beherzt das literarkritische Skalpell beim Herauspräparieren der kleinen Erzählkerne angesetzt wird, so zögerlich wird die Vfn. dann bei der Zuweisung der Elemente zu Redaktionen. Hier kommt sie mit nur zwei Bearbeitungsschritten für die drei Kapitel aus, nur gelegentlich wird die Möglichkeit einer Glosse konstatiert. Diese beiden Redaktionen werden dann auch noch in den anderen Kapiteln des Buches gesehen, wobei die Vfn. zugibt, dass es sich hier um Vermutungen handelt, da explizite, redaktionstypische Querverbindungen fehlen (373). Hier scheint mir ein gewisser Systemzwang zu walten, wenn etwa die erste Redaktion auch für das Konkurrenzmotiv in Dan 2 verantwortlich sein soll (357).
Erst am Ende kommt die Vfn. auf die externen Problemanzeiger wie die LXX und die Nabonid-Texte zu sprechen und versucht, sie in ihr Bild zu implementieren. Besonders der Umgang mit der LXX scheint mir methodisch nicht angemessen zu sein. So wundert es auch nicht, dass die Ergebnisse dazu eher vage sind; es wird angenommen, dass eine alte Sammlung von Kapitel 4–6 existierte, die möglicherweise auch für die abweichende LXX verantwortlich ist. Von dieser alten Vorstufe aus hätten sich dann eigenständige Re­daktionen hin zu dem jeweiligen Text von MT und LXX entwickelt (374). Das Verhältnis dieses Textwachstums zu den beiden in der Arbeit postulierten Redaktionen, die ja zum heutigen MT-Text führten, bleibt ungeklärt.
Die Lektüre der Arbeit kann wegen der sorgfältigen Untersuchung zur Komposition empfohlen werden. Die Überlegungen zur Redaktionskritik haben weniger überzeugt und nähren die prinzipiellen Zweifel, ob das komplexe Wachstum des Danielbuches mit solcher Gewissheit aufgeklärt werden kann.