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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

783–784

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Brown, William P. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Oxford Handbook of the Psalms.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2014. XIX, 661 S. m. Abb. = Oxford Handbooks in Religion and Theology. Geb. £ 97,00. ISBN 978-0-19-978333-5.

Rezensent:

Bernd Janowski

Nachdem er in den letzten 15 Jahren drei Monographien zu den Psalmen und zum Psalter publiziert hat (God and the Imagination. A Primer to Reading the Psalms in an Age of Pluralism, 2001; Seeing the Psalms. A Theology of Metaphor, 2002; Psalms, 2010), legt W. P. Brown, Professor für Altes Testament am Columbia Theological Seminary in Decatur, Georgia, jetzt in der renommierten Reihe des Oxford Handbook ein umfangreiches Handbuch der Psalmen vor. Das ist erfreulich und nachdrücklich zu begrüßen, weil der Band gemäß dem Ziel der Reihe »an authoritative and state-of-the-art survey of current thinking« auf dem Feld der Psalmenforschung bietet.
Der Band enthält nach einer Einleitung des Herausgebers (1–23), die über den Aufbau des Psalters, seine Rezeption in Qumran, im Neuen Testament, im antiken Judentum u. a., über die historisch-kritische Exegese der Psalmen, ihr theologisches und anthropologisches Profil u. a. informiert, 41 Beiträge von ebenso vielen Autoren und Autorinnen (s. dazu die Liste XI–XIII) und zwei Appendi-zes von P. W. Flint. Die einzelnen Beiträge werden neun Rubriken zugeordnet, die mit der Frage nach dem altorientalischen Hintergrund der Psalmen beginnen und mit ihrer Bedeutung in Gottesdienst und Predigt enden.
Part I: Ancient Near Eastern Backgrounds fasst drei Beiträge zum mesopotamischen (A. E. Zernecke: 27–42), ugaritischen (M. S. Smith: 43–56) und ägyptischen Hintergrund der Psalmen (B. U. Schipper: 57–75) zusammen. Naturgemäß sind die Schwerpunkte und die Art der Darstellung dabei unterschiedlich. Dennoch erhält man einen guten und repräsentativen Einblick in die Welt der altorientalischen und ägyptischen Paralleltexte. Sehr hilfreich und geradezu vorbildlich ist B. U. Schippers tabellarische Darstellung der drei Motivkomplexe »God as Creator – God and Creation«, »God Acts for Humans and Animals« und »›Personal Piety‹ – The Human Person before God« (63 ff.), aber auch der Vergleich von Ps 104,10–13.20–30 mit entsprechenden Passagen des Großen Amarnahymnus (68 f.), der entgegen der bekannten These von J. Assmann u. a. zur Zurückhaltung im Blick auf eine literarische (!) Abhängigkeit mahnt (vgl. 69!). Überdies finden sich zahlreiche Motive des Großen Amarna-hymnus in ägyptischen Hymnen des 1. Jt. v. Chr. (s. die Tabelle 70 f.), so dass man im Blick auf die biblischen Psalmen angemessener von strukturellen Ähnlichkeiten als von literarischer Abhängigkeit sprechen sollte (s. dazu auch das Summary, 72 f.).
Die Psalmen beeindrucken bis heute durch ihre poetische Sprache und Bildwelt (Metaphorik, Metonymie, Vergleiche u. a.). Dem sind die fünf Beiträge in Part II: Language of the Psalms gewidmet: F. W. Dobbs-Allsopp, Poetry of the Psalms (79–98), P. S. Hawkins, The Psalms in Poetry (99–113), C. Mandolfo, Language of Lament in the Psalms (114–130) und Praise and Metonymy in the Psalms (147–157). Während Dobbs-Allsopp die Poetik der Psalmen vorwiegend in formgeschichtlicher Hinsicht darstellt (allerdings ohne Berücksichtigung von K. Seybold, Poetik der Psalmen, 2003), bietet Hawkins einen Überblick über die Psalmen in der englischsprachigen Literatur (ohne auf andere Traditionen wie die deutsche Literatur einzugehen, s. etwa die bekannten Sammlungen von P. K. Kurz, Psalmen vom Expressionismus bis zur Gegenwart, Freiburg u. a. 1978; Höre Gott! Psalmen des Jahrhunderts, 1997). Formgeschichtlich und thematisch orientiert sind demgegenüber die Beiträge von Mandolfo (zur Klage/Lament, mit Beispielen aus Mesopotamien [çuilla, erçemma u. a.] und Griechenland, Hinweis auf die Themenfelder »Gerechtigkeit«, »Feinde«, »Tod«, Skizze zur Theologie der Klage, allerdings ohne Berücksichtigung von B. Janowski, Arguing with God, 2013), von Bott (zum Lob/Praise, nützlich zum Verständnis von tehillah und todah) und von Jacobson (zu den sogenannten Weisheitspsalmen).
Daran schließt sich Part III: Translating Psalms mit gehaltvollen Beiträgen von D. M. Stec, The Aramaic Psalter (161–172), J. Schaper, The Septuaginta Psalter (173–184, allerdings ohne Berücksichtigung von H. Gzella, Lebenszeit und Ewigkeit. Studien zur Eschatologie des Septuaginta-Psalters, 2002) und S. Goins, Jerome’s Psalters (185–198) an.
S. E. Gillingham vertritt seit Längerem die These, dass die »Levitischen Sänger« für die Komposition und Edition der Psalmen verantwortlich waren. Ihr Beitrag »The Levites and the Editorial Composition of the Psalms« (201–213) eröffnet Part IV: Composition of the Psalms, der zwei weitere, für die Frage der Psalmen-/Psalter-Komposition relevante Beiträge enthält: Y. Zakovitch, On the Ordering of Psalms as Demonstrated by Psalms 136–150 (214–228), und P. W. Flint, Unrolling the Dead Sea Psalms Scrolls (229–250). Flints materialreiche Ausführungen werden durch die beiden, ebenfalls von ihm verfassten Anhänge »›Apocryphal‹ Psalms in the Psalms Scrolls and in Texts Incorporating Psalms« (621–629) sowie »Contents of the Psalms Scrolls and Related Manuscripts« (631–638, sehr nützliche Übersicht!) ergänzt.
Eine Rubrik, die etwas unorganisch in das gesamte Tableau eingepasst ist, stellen Part V: History of Interpretation and Reception: A Sampling und ihre vier Beiträge dar: A. Cooper, Some Aspects of Traditional Jewish Psalms Interpretation (253–268, von den Inner Biblical Indications bis zu spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kommentaren), St. P. Ahearne-Kroll, Psalms in the New Testament (269–280, u. a. zu Ps 2,7 im Neuen Testament: 273 ff.; leider nicht zu Ps 22, zu dem der Autor aber ausführlich publiziert hat, s. die Bibliographie), W. A. Saleh, The Psalms in the Qur’an and in the Islamic Religious Imagination (281–296, mit Berücksichtigung der relevanten Arbeiten von A. Neuwirth), und B. Breed, Reception of the Psalms: The Example of Psalm 91 (297–310, warum dieser Text?).
Vom Umfang her stellt Part VI: Interpretative Approaches das Herzstück des Handbuchs dar, denn seine zehn Beiträge geben einen – größtenteils gelungenen – Überblick über zentrale Themen des Psalters, wobei Überschneidungen mit anderen Beiträgen nicht ausbleiben (können). Im Einzelnen: W. H. Bellinger, Jr., Psalms and the Question of Genre (313–325, von H. Gunkel bis zur Gegenwart und mit ausgewählten Textbeispielen), R. J. Clifford, Psalms of the Temple (326–337, ohne Berücksichtigung von F.-L. Hossfeld, Festtraditionen im Psalter, in: E. Blum/R. Lux [Hrsg.], Festtraditionen in Israel und im Alten Orient, 2006, 157–173, wo die Frage eines »kultischen Sitzes im Leben« der Psalmen wesentlich zurückhaltender und reflektierter behandelt wird), E. S. Gerstenberger, Non-Temple Psalms: The Cultic Setting Revisited (338–349, Gerstenberger wiederholt hier seine bekannten Thesen), J. C. McCann, Jr., The Shape and Shaping of the Psalter: Psalms in their Literary Context (350–362, zu Ps 1–2 sowie zu den fünf Psalmenbüchern; der Beitrag gehört eigentlich in Part IV), N. L. deClaissé-Walford, The Meta-Narrative of the Psalter (363–376), J. M. leMon, Ancient Near Eastern Iconography and the Psalms (377–391, mit Fallstudie zu Ps 76, die aber nicht wesentlich über O. Keel u. a. hinausgeht; der Beitrag hätte besser in Part I gepasst), R. L. Foster, Rhetoric of the Psalms (392–403, der Beitrag hätte besser in Part II gepasst), B. A. Strawn, Poetic Attachment: Psychology, Psycholinguistics, and the Psalms (404–423, sehr anregend!), M. D. Knowles, Feminist Interpretation of the Psalms (424–436), und N. K. Gottwald, Kingship in the Book of Psalms (437–444, zu den Königspsalmen Ps 2; 18; 20/21 u. a., leider entsprechen die Ausführungen nicht dem Stand der Forschung).
Eigentlich sind damit die wichtigsten Themenfelder der gegenwärtigen Psalmenforschung abgeschritten. Es folgen aber noch vier weitere Teile mit insgesamt 13 Beiträgen, die bis auf Part X wie ein bunter Blumenstrauß wirken. Während Part VII: Culturally Based Interpretations mit seinen drei Beiträgen – R. S. Sadler, Singing Subversive Song: Psalm 137 and »Colored Pompey« (447–458), J. J. Ahn, Rising from Generation to Generation: Lament, Hope, Consciousness, Home, and Dream (459–474), und E. Sanchez, Psalms in Latin America (475–481) – die innere Logik des Bandes stören und m. E. besser ans Ende gepasst hätten, kehren Part VIII: Theologies of the Psalms (M. Z. Brettler, Jewish Theology of the Psalms [485–498, mit abermaligem Plädoyer für die Polyphonie des Psalters]; R. A. Jacobson, Christian Theology of the Psalms [499–512]) und Part IX: Anthropology of the Psalms (W. Brueggemann, On »Beeing Human« in the Psalms [515–528]; J. F. D. Creach, The Righteous and the Wicked [529–541]) zu den »klassischen« Psalmenthemen zurück. Die Ausführungen von Brueggemann und Creach zeichnen sich in besonderer Weise durch eine gelungene Balance von Detail- und Überblickswissen aus. Und schließlich Part X: Practicing the Psalms. In sechs Beiträgen wird die große Bedeutung der Psalmen für den Gottesdienst, die Predigt und den Gesang (K. B. Long, The Psalms in Christian Worship: 545–556; Th. G. Long, Preaching Psalms: 557–568; M. Morgan, Singing the Psalms: 569–582) sowie für die Pastoraltheologie, das Gebet/die Meditation und die Stellung des Menschen in der Welt beschrieben (C. L. Schnabl Schweitzer, Psalms as Resources for Pastoral Care: 583–595; E. Kingsmill SLG, The Psalms: A Monastic Perspective: 596–607; D. Rensberger, Ecological Use of the Psalms: 608–620, u. a. zu Ps 8; 104; 148). Die üblichen Register (Autoren, Sachen, Stellen: 639–661) beschließen den Band.
So liegt mit diesem Handbuch alles in allem ein sehr hilfreiches Arbeitsinstrument vor, das, auch wenn es nicht immer alle Erwartungen erfüllt, einen repräsentativen Einblick in die überragende Bedeutung der Psalmen in Geschichte und Gegenwart gibt. William P. Brown gebühren für seine editorische Leistung unser Dank und unsere Anerkennung.