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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

803–805

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Zechmeister, Martha

Titel/Untertitel:

Gottes-Nacht. Erich Przywaras Weg Negativer Theologie.

Verlag:

Münster: LIT Verlag 1997. 344 S. gr.8= Religion - Geschichte - Gesellschaft: Fundamentaltheologische Studien, 4. Geb. DM 68,80. ISBN 3-8258-3105-1.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Das monumentale Werk Erich Przywaras ist weithin in Vergessenheit geraten - zu Unrecht, wie die vorliegende Untersuchung zeigt, die 1996 als Habilitationsschrift an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien angenommen wurde. Protestantischen Lesern ist Przywara als katholisches Gegenüber Barths in der Auseinandersetzung um die Analogia entis in Erinnerung. Doch fand die Debatte keinen wirklichen Abschluß, zumal sie von Anfang an nicht frei von wechselseitigen Mißverständnissen war. Katholische Leser erinnern sich an den Apologeten Przywara in den geistigen Auseinandersetzungen nach dem Ersten Weltkrieg. Auch hat der spätere und späte Przywara innerhalb wie außerhalb der katholischen Theologie kaum Beachtung gefunden. Die Tragik seines eindrucksvollen Gesamtentwurfs liegt darin, "daß dieses so auf Auseinandersetzung angelegte Denken aufs Ganze gesehen bislang ein einsamer erratischer Block in der theologischen Landschaft geblieben ist" (284). Z. aber sucht das Urteil H. U. v. Balthasars und K. Rahners auf seinen Wahrheitsgehalt zu prüfen, daß vom Denken Przywaras auch heute noch "Heilkraft für unser christliches Denken" (37) zu erwarten ist, weil besonders der späte Przywara "an einem Ort des Weges" steht, "an dem viele in der Kirche erst noch vorbeiziehen müssen" (15).

In starkem Maße angeregt durch die Theologie von J. B. Metz, verfolgt die Vfn. den Denkweg Prywaras mit bewundernswerter Ausdauer und großer theologischer Leidenschaft, die in Przywara nicht so sehr einen Zeitzeugen der jüngeren Vergangenheit als vielmehr einen Autor mit prophetischer Hellsicht sieht, der einer Theologie nach Auschwitz wesentliche Einsichten vermitteln kann. Wie Przywara - der große Aporetiker, "der stets Angespannte, ja Überspannte und Zerrissene" (62) -, der mit Luther, Kierkegaard und Nietzsche "bis zum Äußersten" (262) mitgeht, um den fraglich gewordenen Gott in den Abgründen der nihilistischen Moderne zu suchen und zu finden, so folgt ihm seinerseits die Vfn. in äußerster Radikalität. Der leidenschaftliche Ernst und die intellektuelle Redlichkeit, die an dieser Arbeit bestechen, machen es Z. freilich schwer, zu Przywara immer die ihrer eigenen Ansicht nach gebotene kritische Distanz zu wahren. Daß sie sich darum dennoch nach Kräften bemüht und selbst dann den kritischen Blick nicht verliert, wenn sie Przywara gegen vorschnelle Kritik in Schutz nimmt und ihn vielfach "gegen den Strich" (13) liest, verdient Anerkennung.

Leitmotiv des theologischen Denkens Przywaras ist die Nacht-Metapher (69). Nicht nur die eigene Gegenwart, sondern die Stellung der Christen und der Kirche in der Welt überhaupt wird als Gottes-Nacht charakterisiert, als immerwährende Nacht des Karsamstag - darin H. U. v. Balthasar verwandt-, in der die Auferstehung und endgültige Überwindung des Bösen nur im Modus des Glaubens und der Hoffnung präsent ist. Wie Przywaras Theologie insgesamt, ist auch seine Interpretation der Analogia entis eine Form der negativen Theologie, die von Gott allein im Modus der Nicht-Identität zu sprechen wagt. Das gilt im Grunde schon für sein Hauptwerk von 1932, zeigt sich aber ganz deutlich in Przywaras späterer Weiterentwicklung des Analogiegedankens. Przywara betont, daß bei aller Ähnlichkeit die Unähnlichkeit, d. h. die Nicht-Identität zwischen Gott und Welt stets größer sei. So zeichnet er den Gedanken der Analogia entis in eine geradezu apokalyptische Sichtweise der Moderne ein und sieht in ihr die fundamentaltheologische Bedingung dafür, daß angesichts historischer Katastrophen überhaupt noch von Gott geredet werden kann. Eine Theologie, welche den Zerrissenheiten und Untergängen der Moderne standzuhalten versucht, argumentiert notwendigerweise aporetisch.

Z. interpretiert das Denken Przywaras, auch seine Fassung der Analogia entis, "selbst noch in seiner reflektiertesten Form als einen einzigen Schrei nach Gott" (27). Die darin für unsere Gegenwart liegenden Herausforderungen formuliert die Vfn. im 1. Kapitel (15-49). Daß und wie die von J. B.Metz geprägte Formel von der "Theologie als Biographie" gerade auf Przywara zutrifft, zeigt Z. im 2. Kapitel (50-112). Das 3. Kapitel (113-283) zeichnet die theologische Entwicklung Przywaras nach, die sich in intensiver Auseinandersetzung mit Thomas v. Aquin (113-143), Augustinus (144-189), Luther und Barth (190-221), Kierkegaard (222-256) und Nietzsche (257-283) vollzogen hat. Przywara hat die genannten Autoren z. T. höchst eigenwillig interpretiert, bisweilen auch unhaltbare, ja skandalöse Urteile formuliert und steht oft in der Versuchung, sein Gegenüber zu vereinnahmen. Auch befindet er sich in der Gefahr, die Moderne einseitig zu kritisieren, bevor er sich auf deren Fragestellungen überhaupt ganz eingelassen hat. Bisweilen erweckt er den Eindruck, restaurativ eine scholastische Welt erneuern zu wollen. Doch weist Z. nach, daß Przywara letztlich keineswegs rückwärts-, sondern vorwärtsgewandt denkt. Seine Theologie tritt nicht, wie manche argwöhnen, die Flucht vor der Geschichte an, sondern versucht im Gegenteil, ihren Widersinnigkeiten mit letzter Redlichkeit standzuhalten. Daß gleichwohl an Przywara kritische Fragen zu stellen und manche seiner geistes- und zeitgeschichtlichen Diagnosen zurückzuweisen sind, zeigt die Vfn. im 4. Kapitel (284-316), in dem sie sich vor allem mit der Kritik L. B. Puntels, E. Jüngels und Th. Rusters auseinandersetzt, die sie weitgehend zu entkräften versucht.

Bei allen möglichen Einwänden darf es wohl "als die spezifische theologische Pionierleistung Przywaras angesprochen werden, daß er zu einer Zeit, lange bevor der Begriff der ,Alterität’ im philosophischen bzw. im politischen Jargon Konjunktur zu verzeichnen hatte, die Gottesrede unlöslich mit der Rede vom anderen verknüpft hat" (312). Dennoch bleibt zumindest eine gewichtige Frage offen: "Vermag die Theologie Przywaras die Differenz zwischen dem Hier und Jetzt der geschichtlichen Katastrophe, in einem bestimmten und damit kontingenten raum-zeitlichen Kontext, und der apokaylptischen Katastrophe, dem Hereinbrechen Gottes als dem Ende der Zeit, offenzuhalten?" (302). Der späte Przywara ist - wie sein Freund Reinhold Schneider - "ein Erschöpfter" (305), "der in Gefahr ist, in morbider Untergangsstimmung zu versinken" (305).

Gegen diese Gefahr muß freilich auch die vorliegende Arbeit ankämpfen. Das hängt mit ihren eigenen theologischen Voraussetzungen und Grundentscheidungen zusammen, die sich der politischen Theologie J. B. Metz’ verpflichtet wissen: "Was Metz einklagt, daß sich die Gottesrede nicht an den Katastrophen und Abgründen von Schöpfung und menschlicher Geschichte vorbei, sondern nur angesichts des wahrgenommenen und ernstgenommenen Unversöhnten, in ausgehaltener Nicht-Identität, vollziehen kann, ist das durchgängige Pathos im Werk Przywaras" (26). Wenn dem aber so ist, sind die Przywara zu stellenden kritischen Fragen auch an Metz zu richten. Der Diskussion über das Programm einer politischen Theologie kann die Beschäftigung mit dem Werk Przywaras gerade dadurch neue Impulse geben, daß sie ihr Anlaß zu Selbstkritik wird.