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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

72 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Diestelmann, Jürgen

Titel/Untertitel:

Über die Lutherische Messe. Gemeindevorträge und Abhandlungen.

Verlag:

Groß-Oesingen: Verlag der Luth. Buchhandlung H. Harms 1998. VIII, 151 S. m. 41 Abb. schw./w. u. farb. gr.8. ISBN 3-86147-006-3.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Nach seiner großen Abhandlung "Actio sacramentalis. Die Verwaltung des Heiligen Abendmahles nach den Prinzipien Martin Luthers in der Zeit bis zur Konkordienformel", 1996 (vgl. ThLZ 121, 1996, 691 f.) läßt der Vf. nun Vorträge und Abhandlungen folgen, die zeitlich vor seinem opus magnum verfaßt sind.

Unsere Väter konnten behaupten, daß die Messe "bei uns mit größerer Andacht und mit mehr Ernst gefeiert wird als bei den Widersachern". Sie "konnten so sprechen, weil über dieser Messe die Faszination des Heiligen lag, die dem Realpräsenzglauben Luthers entsprach" (V). Die lutherische Reformation hatte die Volksfrömmigkeit wieder auf Wort und Sakrament gelenkt, weg von einer "quasi fetischistischen Volksfrömmigkeit" mit Reliquien, Heiligenkult, Ablaß und dem Weihwasser, dem sündenvergebende Kraft zugesprochen wurde. Luthers Abendmahlsfrömmigkeit selbst war geprägt von einer heiligen Furcht vor der Gegenwart Gottes bzw. Christi, von der Gewissenhaftigkeit, die heilige Handlung recht zu vollziehen und von dem Empfinden der Verpflichtung zu gläubiger Annahme (5, 49). Aus Bildern, die uns die Feier des lutherischen Gottesdienstes der Reformationszeit zeigen, zieht der Vf. Rückschlüsse auf die Frömmigkeits- und Liturgiegeschichte, was bisher kaum geschehen ist. Auch eine Untersuchung zur Braunschweiger Kirchenordnung von 1528 verdeutlicht diesen Wandel. "Das Charakteristikum der Lutheraner im konfessionellen Nebenein ander war (im 16. Jh., z. B. in Antwerpen - K.) die sonntägliche Feier der Gemeindemesse"; während die römischen Katholiken und die Calvinisten das Sakrament nur selten austeilten (74).

Wichtig ist dem Vf., daß sich Luther nicht an einem allgemeinen Sakramentsbegriff, sondern an den einzelnen Gnadenmitteln ausrichtet, bei denen neben den "anhangenden Zeichen" das Wort konstitutiv ist. Im Unterschied zum juristisch interpretierten Priesteramt, losgelöst von der Verheißung Christi, betont er die tröstende Kraft der Gnadenmittel, gerade auch der Beichte.

Einige Beiträge sind der gottesdienstlichen Erneuerung heute gewidmet. Der Vf. betont den "Gottesdienst als Versammlung des Gottesvolkes um ihren in Wort und Sakrament gegenwärtigen Herrn"; er meint, daß ein Gottesdienstverständnis, das sich "ganz individualistisch auf die Heilserwartung des einzelnen ausrichtet", nicht im Sinne der lutherischen Reformation sei (65). Diesen Gedanken wünschte man sich stärker entfaltet. In einem allzu schlicht gefeierten Gottesdienst sieht der Vf. die Gefahr, daß das "in der Predigt gegebene Zeugnis von der Gegenwart Gottes vollständig" verdeckt und "das Gefühl der Gottesferne" vermittelt wird (81).Weil die gnadenvolle Gegenwart des Leibes und Blutes Christi davon abhängt, daß das Handeln der Kirche in Übereinstimmung mit der Stiftung Christi steht, fordert der Vf. im Rückblick auf den "liquoristischen Streit" in Schweden (1565), daß nur Wein und nicht Saft (auch nicht Traubensaft) als Abendmahlselement verwendet wird. Gegenüber Alkoholikern sieht er als Ausweg den Verzicht auf den Sakramentsempfang oder die communio sub una specie ab. Einer solchen kann der Rez. nicht zustimmen, da auch sie der Einsetzung nicht entspricht. Wahrscheinlich wird manchen Leser dieser Beitrag des Vf.s nicht überzeugen, weil ja Traubensaft auch "Gewächs des Weinstocks" ist (Mt 26,29), aber es ist wichtig, daß der Vf. überhaupt das Problem theologisch angeht.

Weitere Beiträge sind der Auflösung der Privatbeichte in der lutherischen Kirche, dem Thema "Gott - unser Vater, die Kirche - unsere Mutter" und der Geschichte der Kirchgemeinde St. Ulrici-Brüdern in Braunschweig gewidmet, einer Gemeinde, in der die Darreichung der Gnadenmittel ganz im Zentrum steht. - Das Buch ist vor allem dem dringend zur Lektüre zu empfehlen, der sich Gedanken um die Gemeindeerneuerung aus den der Kirche eingestifteten Gnadenmitteln macht.