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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

722-724

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Ruhstorfer, Karlheinz

Titel/Untertitel:

Glaube im Aufbruch. Katholische Perspektiven.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013. 221 S. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-506-77862-8.

Rezensent:

Wolfgang Beinert

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Helmick, Raymond G.: The Crisis of Confidence in the Catholic Church. Foreword by G. Mannion. London u. a.: Blooms-bury T & T Clark 2014. XXIII, 293 S. = Ecclesiological Investiga-tions, 17. Kart. US$ 32,95. ISBN 978-0-567-46425-5.


Mit Büchern kritischen Blicks auf die Kirchen, besonders die rö­misch-katholische, lassen sich mühelos Regalmeter füllen. Die hier vorzustellenden zeichnen sich beide dadurch aus, dass sie zwar schonungslos den Ist-Zustand kennen und beschreiben, aber doch voller Hoffnung sind, dass die Selbstreinigungskräfte hinreichen, um eine Erneuerung in die Wege zu leiten, und zwar nicht einfach durch die Reparatur der Missstände, sondern durch die spirituelle Macht der letzten Endes vom Heiligen Geist gelenkten Kirche. Sie klagen nicht bloß, sie wollen helfen.
Der an der Theologischen Abteilung des Boston College (USA) lehrende Jesuit Raymond G. Helmick sieht seine Hauptaufgabe darin, in einer breiten Analyse der katholischen Glaubensgemeinschaft seit der Französischen Revolution die Gründe und Ursachen der heute nicht mehr zu übersehenden Krise herauszuarbeiten, um dann Reformschritte vorzuschlagen. Er fokussiert diese Krise je­weils an den Gestalten der Päpste bis hin zu Benedikt XVI. Zentrum der Darstellung sind Johannes XXIII. und das Zweite Vatikanische Konzil – sie beanspruchen nahezu ein Drittel der Seiten. Wohl ha­ben die Kirchenführer immer einmal mehr oder weniger entschiedene Schritte zu einer Zeitgerechtigkeit des kirchlichen Lebens versucht, so Gregor XVI. mit der endgültigen Absage an die Skla-verei, Leo XIII. durch seinen Einsatz gegen die sozialen Ungerech tigkeiten, Benedikt XV. mit den Friedensinitiativen im Ersten Weltkrieg oder Johannes Paul II. durch seinen Einsatz für die Menschenrechte gegen den Kommunismus. Alles in allem aber verschließt sich die Kirche der Neuzeit in zunehmendem Maß den Ideen der Moderne, auch dort, wo sie, wie die Menschenrechte, eigentlich aus dem christlichen Denken entsprungen sind. Die Mittel zur Ab­schottung sind Autoritarismus und Klerikalismus. Sie beschwören die immense Vertrauenskrise herauf, von der der Titel spricht und welche im Missbrauchsskandal (in USA schon ab 2002, in Deutschland ab 2010) ihren spektakulären Gipfel erreichte. Der Kirche, meint H., konnte es auch nicht anders ergehen: Sie war von den wesentlichen jesuanischen Maximen abgewichen. Das letzte Konzil bedeutet dank der Initiative des Roncalli-Papstes zwar eine entschiedene Rückkehr dorthin, sichtbar in der Lehre von der Kollegialität und von der Kirche als Volk Gottes, doch setzen bereits mit dem zweiten Konzilspapst Paul VI. regressive Tendenzen ein, die sich bis Benedikt XVI. massiv verstärken. H. schildert die Entwicklung in lebendiger, durch die eine oder andere Anekdote gewürzter Sprache (bis hin zum Kölsch des Kardinals Frings). Er verhehlt an keiner Stelle seine reformerische Position, ist aber, trotz manchmal sehr dezidierter Urteile (so zum Pontifikat Johannes Paul II.), stets um genügende Objektivität bemüht. Als das Buch fertig war, er­folgte der Papstwechsel von 2013 zu Franziskus. Damit tritt in die Untersuchung ein deutlich optimistischer Ton ein. Die Kirche, lautet die endgültige Botschaft, wird, zu ihrem Herrn und Meister sich kehrend, einer profunden Erneuerung entgegengehen.
Anders ist der Ansatz von Karlheinz Ruhstorfer, auch wenn die Resultate ähnlich ausfallen. Auch der in Dresden lehrende Reli-gionsphilosoph weiß selbstverständlich um die Lage der (römisch-katholischen) Kirche. Sie beruht, weiß auch er, auf einer langen, durch den nahezu totalen Rückzug von der »Welt« bedingten Selbstschwächung, die auch ihm zufolge im Zweiten Vatikanum an den Tag gekommen, aber nicht wirklich behoben worden ist. Die dort eingeleitete Öffnung zur Gegenwart hat drei Reaktionen hervorgerufen: Es gibt die vorkonziliaren Nostalgiker (alle Türen sind zu schließen), die Bewahrer des Konzilsbuchstabens (Türen halboffen) und die konzilsverbundenen Neuerer (Türen ganz weit öffnen), denen er selber sich zurechnet. Im Gegensatz zum Hauptstrom der Kirchenkritik neigt er jedoch nicht zur Resignation und zum Klagen, sondern sieht die Religion allgemein, den Christenglauben speziell in einem unwiderstehlichen Aufwind. In einem zwar kundigen, doch für die meisten Leserinnen und Leser wohl etwas stürmischen Durchgang durch die moderne Philosophiegeschichte sucht er die These zu erhärten, dass zum einen das Ende der Destruktion des Glaubens in der Postmoderne überhaupt angebrochen ist, zum anderen sich wesentliche Kennungen der säkularen Gegenwart dem genuinen christlichen Geist (durchaus als Wehen des Gottesgeistes interpretiert) verdanken. Er nennt als Beispiele die Idee der Gleichheit aller Menschen, die Menschenrechte, den Einsatz für die Marginalisierten, die Forderung nach Emanzipation (vor allem der Frauen). Sie resultieren fundamental aus dem Glauben an die reale Inkarnation des Logos, die alle Lebensbereiche der Schöpfung betrifft, umgestaltet und zu neuen Möglichkeiten führt. Die Menschwerdung ihrerseits gründet im trinitarischen Mysterium, d. h. also letztlich in der Unendlichkeit der Liebe Gottes. Deswegen muss die christliche Dogmatik offen bleiben für das »Außen«: Sie darf sich weder auf die Innerlichkeit der Kirche noch auf die Innerlichkeit des Individuums beschränken. Von diesen Prämissen aus untersucht R. wichtige Grundlagen christlichen Denkens, angefangen bei dem Verhältnis von Offenbarung, Glaube und Vernunft bis zum Dreiecksverhältnis von kirchlichem Lehramt, wissenschaftlicher Theologie und dem sensus fidelium. Ausführlich, wenn auch letztlich ebenso vergeblich wie alle anderen derartigen Unternehmungen, meditiert er über das Theodizeeproblem. Nicht so häufig liest man Gedanken zur Relation von Mystik und Politik. Alle Überlegungen münden sozusagen naturgemäß im eschatologischen Thema »Apocalypse now and then«: »In einem apokalyptischen Prozess fortwährender Entschleierung offenbart sich das Christentum als mehr denn eine bloße Option. Die Vielfalt der Optionen ist auf Eine ausgerichtet. Dieses Eine ist nichts anderes als der Gott, der selbst die Liebe ist« (203).
Im Chor der Christentumsbeobachter stellen die beiden, in sich unterschiedlich arbeitenden, aber im Ergebnis sich berührenden Werke zwei fast einsame Stimmen des vertrauenden Optimismus im unübersehbaren Chor der Klageliedersänger dar. Man kann allerdings realistischerweise kaum so recht annehmen, dass sie kurz- und mittelfristig zum Cantus firmus werden. Denn ist es augenscheinlich schon eine Herkulesaufgabe, die materiellen Gravamina mit der Kirche zu beheben, so ist ein geistliches Pfingsten wohl noch schwieriger. Die beiden Autoren machen freilich Mut: Sie verweisen auf den Gottesgeist.