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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

718-720

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Fajfer, Łukasz

Titel/Untertitel:

Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext. Der Heilige Berg Athos und die Herausforderungen der Modernisierungsprozesse seit 1988.

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2013. 307 S. m. 20 Abb. u. 2 Tab. = Erfurter Studien zur Kulturgeschichte des Orthodoxen Christentums, 7. Geb. EUR 55,95. ISBN 978-3-631-63392-2.

Rezensent:

Andreas Müller

»We do use computers in the office and, I believe, that even if Saint John Chrysostom had had a laptop he would have written his eloquent homilies on that instead of ink and quill.« (302) Diese Bemerkung von Vater P. aus dem Kloster Agiou Pavlou fasst in prägnanter Weise zusammen, wie die Mönche der Autonomen Mönchsrepublik Athos in Nordgriechenland ihren Zugang zur Moderne zu beschreiben vermögen. Der Erfurter Religionswissenschaftler Łukasz Fajfer nähert sich dem Phänomen der Modernisierung der durch eine traditionsorientierte Theologie und Frömmigkeit geprägten Klosterhalbinsel in seiner bei Vasilios N. Makrides entstandenen Dissertation auf beeindruckende Weise an. Die Arbeit entstand auf der Basis der Auswertung von schriftlichen Quellen und (Leitfaden-)Interviews. Sie fokussiert die Periode zwischen 1988 und 2011. Nach einem ausführlichen Abschnitt zu Theorien der Modernisierung und zur Herausforderung durch dieselbe im orthodoxen Kontext untersucht F. die Modernisierungsprozesse auf dem Athos in drei Schritten. Zunächst fokussiert er die wirtschaftlichen, dann die politischen und schließlich die kulturell-gesellschaftlichen Aspekte (vgl. 30 f.).
F. geht in Anlehnung an Dietrich Rüschemeyer von einer partiellen Modernisierung in der orthodoxen Konfessionskultur und insbesondere auf dem Berg Athos aus. Grundvoraussetzung für die insbesondere wirtschaftliche und technische Modernisierung auf dem Athos waren prägende geistliche Gestalten, die in den 1970er Jahren Attraktivität ausübten und dadurch einen demographischen Wandel auslösten. Heute leben zwischen 1700 und 2000 Mönche auf dem Heiligen Berg (207). Die Renaissance des Athos-Mönchtums seit den 80er Jahren des 20. Jh.s löste auch eine Veränderung der klösterlichen Organisationsstruktur (die Rückkehr von der »idiorhythmischen« zur »koinobitischen« Lebensweise in den Großklöstern, die 1992 abgeschlossen war; vgl. 199; der Koinobitismus verstärkte zugleich den Zuzug und die Modernisierung, vgl. 205 f.) und der Infrastruktur aus. So wurde bereits in den 60er Jahren mit dem Straßenbau auf dem Athos begonnen, der insbesondere in den 70ern stark an Bedeutung gewann. Notwendig wurde dieser durch den Zwang zur wirtschaftlichen Versorgung der immer stärker bevölkerten Großklöster, zu deren Renovierung und zum Transport von gefälltem Holz für den Handel. Eine Folge waren wiederum der verstärkte Pilgerverkehr, der bereits in den 70er Jahren zu einer ersten Verordnung verkürzter Aufenthaltszeiten und begrenzten Zugangs von Pilgern führte (229). Dennoch führte die große Zahl der Pilger sowohl im wirtschaftlichen Bereich als auch im Bereich der Aufgabenverteilung der Mönche zu Veränderungen. Es entstanden nicht nur vermehrt Devotionalienläden in den Klös­tern, sondern auch ein System von Mönchstaxis, die die Besucher über die neuen Straßen von Kloster zu Kloster brachten. Vor allem wurde die Rolle von Mönchen als wahren Lehrern der Orthodoxie neu definiert (259). Durch die Einbindung Griechenlands in die Europäische Union und die Übernahme des Athos in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes standen den Klöstern die Wege zu einer materiellen und auch ideellen Unterstützung offen. Keineswegs alle Klöster entschieden sich dazu, die neu angebotene Hilfe anzunehmen. Im Hintergrund dafür stehen in der Orthodoxie zu beobachtende Tendenzen wie der Antiokzidentalismus und der An­tiökumenismus. Die Maßnahmen zum Waldschutz der UNESCO führten gleichwohl u. a. zur Einrichtung einer »Forstbehörde« der Klostergemeinschaft (186).
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Klöster insbesondere aufgrund der zunehmenden und auch verjüngten Mönchspopulation technischen und wirtschaftlichen Modernisierungsprozessen gegenüber durchaus aufgeschlossen waren und sind. Computer und Internet, deren Zugang in den meisten Klöstern allerdings aus spirituellen Gründen eingeschränkt wird, sind dort inzwischen ebenso vorhanden wie elektrischer Strom und sogar Mobiltelefone. Die mönchische Tradition respektive die orthodoxe Lehre unterliegen hingegen diesen Modernisierungsprozessen nicht. In Anlehnung an William Ogburns Theorem vom »cultural lag« ist davon auszugehen, dass Modernisierungsprozesse auf der kulturellen Ebene durchaus in einer ansonsten auf Modernisierung angelegten Gesellschaft verzögert werden können (88). Dementsprechend sind die Mönche in der Regel nicht bereit, über das Verbot des Zugangs für Frauen auf den Athos zu diskutieren (175–183) oder eine positive Haltung zu insbesondere ingenieurs-, wirtschafts- und politikwissenschaftlicher Innovation (vgl. 223) respektive insgesamt Formen aufgeklärten Denkens einzunehmen. Die spirituelle Position des Athos-Mönchtums steht nicht zur Disposition.
Die von F. gebotene Feststellung einer partiellen Modernisierung leuchtet insgesamt ein. Sie macht deutlich, dass sich selbst traditionell-konservative Kulturen einem Modernisierungsprozess keineswegs vollständig entziehen, ja diesen sogar positiv zu rezipieren vermögen (vgl. bereits 66 f.). Kritisch ist zu den Ausführungen F.s zu bemerken:
Nicht klar benannt werden die Selektionskriterien für seine Interview-Partner. Ging F. in erster Linie auf Mönche zu, die besonders gesprächsbereit oder des Englischen besonders mächtig wa­ren? Wie stark wurden Führungspersönlichkeiten in den Klöstern berücksichtigt? Warum fehlen Interviews mit Mönchen aus nichtgriechischen Koinobien und Skiten? Bei den schriftlichen Quellen wird insbesondere neugriechische Literatur keineswegs umfassend berücksichtigt. So werden griechische Zeitungen nur sehr selektiv ausgewertet. Vor allem fehlt der Rückgriff auf offizielle Publikationsorgane des Athos wie die Zeitschrift Protaton.
F. hat einige Aspekte der Entwicklungen moderner Gesellschaften ausgespart, die durchaus auch auf dem Athos diskutiert, meist aber radikal abgelehnt werden. Dazu gehören sowohl theologische Diskussionen als auch insbesondere Diskurse über diverse Formen des Rollenverhaltens in der modernen Gesellschaft. Zu erwähnen ist etwa der Umgang mit Autoritätsstrukturen, aber auch mit der Vielfalt sexueller Verhaltensformen in postmodernen Gesellschaften. So hat etwa der ehemalige Athos-Mönch Michail in mehreren Monographien in den 90er Jahren den Missbrauch von geistlichen Autoritätsstrukturen kritisiert. Die Reaktion der Mönche auf die ausgeprägten Individualisierungsprozesse im Westen werden in F.s Studien allenfalls gestreift. Gänzlich fehlt eine Erwähnung der Reaktion von Mönchen auf das Phänomen eines toleranten Um­gangs mit verschiedenen sexuellen Lebensformen im postmodernen Europa. Homosexualität und selbst Seuchen wie AIDS sind Phänomene, die auch auf dem Athos durchaus bekannt sind. Orthodoxe Kirchen sind allerdings durch eine strikte Ablehnung der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften gekennzeichnet. Fragen wie die nach dem modernen Umgang mit der Sexualität und der Reaktion der Athos-Mönche darauf hätten jedenfalls noch vertieft beleuchtet werden können. Die einleitenden Ausführungen z. B. zum griechischen Verhältnis zum Westen haben zum Teil sehr stark holzschnittartigen Charakter. So fehlen Hinweise sowohl auf bedeutende Vermittler zwischen den Kulturen im 19. Jh. wie Adamantios Korais als auch auf lautstarke Vertreter des zeitgenössischen orthodoxen Antiokzidentalismus wie Theodoros Zisis (u. a. mit seinem provokativen Titel Phragkepsame). Die er­wähnten Philemata Iouda tragen weniger einen antisemitischen als einen antiökumenischen Charakter (218) – der Titel bezieht sich auf Judas. Sinnvoll wäre in Kapitel 6.5 auch gewesen, anstatt des negativ besetzten Begriffs »Ökumenismus« besser das Wort »Ökumene« zu verwenden. Die Gleichsetzung von »Judenfeindschaft«, »Antijudaismus« und »Antisemitismus« (247 f.) wäre trotz der Begründungen in Anm. 218 noch einmal zu überdenken.
Sprachlich hätte sich an einigen Stellen eine bessere redaktionelle Überarbeitung empfohlen. Vor allem hätten sich zahlreiche, oft redundante und ennuyierende Wiederholungen vermeiden lassen. Einige Termini sind problematisch – so redet F. häufiger von »Geistlichen«, wenn er Mönche meint (z. B. 10.155.207). Wenn er von Fahrstühlen spricht, meint er Lastenlifte (z. B. 103). Öfter finden sich orthographische Fehler (z. B. 68: »wiese« statt »Weise«; 75: »Modernisierern« statt »Modernisierer«; 79 f.: »bis in den 19. Jahrhundert« anstatt »bis in das 19. Jahrhundert«; 82, Anm. 148: »Autochtonie« statt »Autochthonie«; 96: »Kelli« statt »Kellions«; 120: »unterliegen« statt »unterstehen«; 133: »ihre Wahrnehmung« statt »ihrer Wahrnehmung«; 154: »Souvenirhops« statt »Souvenirshops«; 168: »der Katholikon« statt »dem Katholikon«; 174: »witerer« statt »weiterer«; »finanziel« statt »finanziell«; 195: »an avaton« statt »am avaton«; 216: »Leibnitz« statt »Leibniz«; 237: »Gerhard Spitzing« statt »Günther Spitzing«; 244: »Günter« statt »Günther«).
Insgesamt bietet F. eine materialreiche und lesenswerte religionswissenschaftlich und religionssoziologisch orientierte Studie, die deutlich macht, dass Modernisierungsprozesse konfessionskulturell bzw. lokal-kulturell (85) bedingt sehr unterschiedliche Formen haben können.