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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

716-718

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Dehn, Ulrich

Titel/Untertitel:

Weltweites Christentum und ökumenische Be­wegung.

Verlag:

Berlin: EB-Verlag Dr. Brandt 2013. 221 S. Kart. EUR 19,80. ISBN 978-3-86893-135-8.

Rezensent:

Franz Gmainer-Pranzl

Zu den entscheidenden Einsichten einer interkulturell orientierten Theologie gehört der Hinweis auf den inneren Zusammenhang von »Weltweite« und »Ökumene«. Die ökumenische Bewegung ist nicht bloß ein interkonfessionelles, sondern – entsprechend dem ursprünglichen Sinn von oikumene – ein globales Unternehmen. »Ökumenisch« gesinnt ist, wer den christlichen Glauben in weltweiten Zusammenhängen begreift bzw. das »Weltchristentum« als Netzwerk von Christentümern mit einer ungeheuren Vielfalt wahrnimmt. Diesen Zusammenhang hat der Hamburger Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaftler Ulrich Dehn in seinem Buch aufgegriffen und im Kontext mehrerer Themen und Problemfelder durchbuchstabiert. Im Einzelnen geht es dem Vf. um eine Reflexion auf die Hermeneutik des »weltweiten Christentums«, um die Entwicklung der Missionstheologie in den letzten 100 Jahren, um ökumenische Einheitskriterien, Fragen der Sozialethik, Konzepte kontextueller Theologie in Asien, Afrika und Lateinamerika, um spezielle Fragen der Ökumene im evangelisch-katholischen Dialog sowie um die theologische Rezeption von Kulturtheorien und postkolonialen Ansätzen. Missionstheologie, ökumenische Theologie und kontextuelle Theologien sind demnach Fasern an dem einen »Strang« der Auseinandersetzung mit Realität und Anspruch eines weltweiten Christentums – diese Verbindung ist das Charakteristikum der vorliegenden Einführung.
Interessant ist die Anmerkung des Vf.s zum Verständnis von »in­terkultureller Theologie«. Seiner Einschätzung, »dass die be­griffliche Klärung noch bei Weitem nicht abgeschlossen ist« (14, Anm. 6), ist zweifellos zuzustimmen, auch seiner Forderung, dass »interkulturelle Theologie« stärker interdisziplinär auszurichten sei und sich auf die »Pluriformität« des weltweit vertretenen Christentums beziehen müsse, um nicht als »Hilfsbegriff mit ›Container‹-Charakter« (15) zu enden. In welche Richtung eine (Neu-)Konzeption »interkultureller Theologie« gehen könnte, wird zwar anhand einer Reihe von Lebens- und Glaubenskontexten angedeutet, aber nicht explizit ausformuliert. Anders gesagt: Der Vf. liefert wichtige Bausteine und weist auf aktuelle Entwicklungen hin, schließt auch an einschlägige Neuerscheinungen an (vor allem an die Einführungen von Klaus Hock und Volker Küster), legt aber selber keine Theorie »interkultureller Theologie« vor.
Sehr deutlich zeigt er den netzwerkartigen Zusammenhang des weltweiten Christentums und dessen ekklesiologische Konsequenzen auf: »Das Nebeneinander von vielen Verständigungsgemeinschaften führt zu einem stetigen Neu-Aushandeln von Einsichten und verhindert, dass sich mutmaßliche ›Wahrheiten‹ der einen und einzigen Verständigungsgemeinschaft verselbständigen können« (29). Gegen eine evangelikale Übernahme der Missionstheologie wird eine (selbst-)kritische Wahrnehmung der »Zeichen der Zeit« angemahnt und Missionswissenschaft im Sinn »einer wirklichkeitsanalytischen Wahrnehmungswissenschaft weltweiter christlicher Lebenswelten und interkultureller Kontexte« (57) verstanden – eine zentrale These dieses Buches. Nicht weniger interessant ist die Anmerkung des Vf.s, dass zu einem »gesunden Beziehungsnetz« der Ökumene die Fähigkeit gehört, »dass es auch Brüche zulassen kann, wenn die Belastungsproben zu stark sind und die Gemeinschaft nur noch durch den dünnen Faden des theologischen Einheitsgedankens zusammengehalten würde« (76). So sehr dieser Diagnose grundsätzlich zuzustimmen ist: Welche Konsequenzen haben solche »Brüche« für den Diskurs über Ökumene, Mission und Kontextualität?
Der Hinweis auf »die Kontextualität jeder Theologie« (121) er­scheint selbstverständlich, ist es aber (immer noch) nicht, wie sich im Selbstverständnis mancher europäischer Theologie nach wie vor zeigt. Von daher sind die drei Phasen der Wahrnehmung kontextueller Theologie (distanzierte Aufnahme, solidarisch-kritisches Gespräch, Aufhebung des »Nord-Süd-Schemas«) zu beachten (vgl. 131–132). Die Darstellung theologischer Denkformen in den »süd-lichen Kontinenten« – so die Sprachregelung des Vf.s (vgl. 19) – ge­währt manche interessanten Einblicke in die theologische Arbeit in Asien, Afrika und Lateinamerika und stellt Autoren vor, die im deutschen Raum kaum rezipiert werden (z. B. M. M. Thomas aus Indien oder Fabien Eboussi Boulaga aus Kamerun). Vieles kann in diesem Zusammenhang aber nur angedeutet werden; die Darstellung der Autorinnen und Autoren ist mitunter recht kurz und kann nur als erste Orientierung verstanden werden; dies gilt auch für den letzten Abschnitt über Kulturtheorien und Postkolonialismus.
Mit dieser Einführung hat der Vf. das Konzept ökumenischer Theologie aus einer innereuropäisch-kontroverstheologischen Eng­führung herausgeholt und als Projekt auf globaler Ebene refor-muliert. Diese Positionierung ist zu würdigen und als Perspektive einer zeitgemäßen Theologie neu wahrzunehmen. Zu vielem konnte dieses Buch allerdings nur Ansätze aufzeigen und Zusammenhänge andeuten; die umsichtig gesponnenen Fäden einer ökumenisch-globalen Theologie sind weiter zu verknüpfen und zu einem tragfähigen Netz zu verbinden.