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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

714-716

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Weibel, Walter

Titel/Untertitel:

In Begegnung lernen. Der jüdisch-christliche Dialog in der Erziehung.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2013. XV, 305 S. = Forum Christen und Juden, 9. Kart. EUR 31,90. ISBN 978-3-643-80140-1.

Rezensent:

Bernd Schröder

Obschon diese Arbeit 2012 als Dissertation von der Universität Luzern (CH) angenommen (und in ihrer Entstehung von Verena Lenzen, Professorin für Judaistik und Theologie/Christlich-Jüdisches Gespräch begleitet) wurde, kennzeichnet sie ein ausgesprochen »pragmatischer Ansatz« (Vorwort, V).
Walter Weibel, langjähriger, inzwischen pensionierter Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle in Aarau und Dozent am Kanto-nalen (Volksschul-)Lehrer- und Lehrerinnenseminar Hitzkirch, »möchte Lehrerinnen und Lehrern […; sc. an Volksschulen der deutschsprachigen Kantone der Schweiz] Hintergrundinformationen über das Judentum aufzeigen und auf Materialien hinweisen, mit denen im Unterricht jüdische Religion und Kultur vermittelt werden können.« (ebd.) Vor allem aber entwickelt er einen Katalog »verbindliche[r] Lernziele zum Thema jüdisch-christliche Verständigung«, den er zur Implementierung in den sogenannten Lehrplan 21 für das Fach »Religion« bzw. »Ethik und Religionen«, den ersten gemeinsamen Lehrplan der deutschsprachigen Kantone der Schweiz, vorschlägt. Dieser Vorschlag wird im siebten von acht Ka­piteln material präsentiert. Vorgeschaltet sind neben einer »Einleitung« (Kapitel 1, 1–10), die knapp über Anliegen und Vorgehensweise aufklärt, fünf weitere Kapitel: Kapitel 2 stellt »Grundwissen Judentum für den jüdisch-christlichen Dialog« (11–46), Kapitel 3 einen »geschichtliche[n] Abriss« von »Jüdinnen und Juden in der Schweiz« (47–84) zusammen; Kapitel 4 gibt einen Überblick über »das Verhältnis von Judentum und Christentum in der Schweiz nach Nostra Aetate (1965)«, schwerpunktmäßig im Blick auf die römisch-katholische Kirche (85–126), und Kapitel 5 rekapituliert Diskussionen um »Religionsunterricht und Judentum« (127–154). Damit liegen die Wissensbestände vor, die den Hintergrund einer kursorischen »Analyse der [bisherigen] Lehrpläne der Volksschulen der 21 deutsch- und mehrsprachigen Kantone im Fachbereich Ethik und Religionen« bilden (Kapitel 6, 155–195).
Während die Kapitel 2–5 von ihrer Sprache und ihrem Gehalt her allgemeinbildend angelegt sind – hier wird man in gut lesbarer Weise zuverlässig informiert, wobei man freilich über Gewichtungen und Akzentsetzungen im Einzelnen streiten kann (etwa über die Einschätzung der Diskussionslage in der evangelischen Kirche, 112 f.) –, bietet Kapitel 6 einen originellen Beitrag: Hier wird die »Marginalisierung des Judentums im heutigen Religionsunterricht« (134) nachgewiesen, indem die das Judentum betreffenden Lernziele und Inhalte aus Lehrplänen aller 21 deutschsprachigen Schweizer Kantone (die ihrerseits zwischen 1987 und 2010 publiziert wurden) zur Darstellung kommen. Das Ergebnis ist – über die unterschiedlichen Spielarten und Verantwortlichkeiten von Religionsunterricht hinweg (dazu 155–157) – niederschmetternd: So ist »kein systematischer Aufbau« von Kenntnissen über das Judentum erkennbar; »das Verhältnis von Judentum und Christentum wird nicht aufgearbeitet«; »in einem einzigen Lehrplan gibt es einen Hinweis auf die jüdische Geschichte. Ansonsten fehlen Themenschwerpunkte zur Geschichte und zur Kultur des Judentums« (195).
Vor diesem Hintergrund leuchtet der von W. unterbreitete »Vorschlag für verbindliche Lernziele im Lehrplan 21 der deutschsprachigen Kantone« (Kapitel 7, 197–209) ein. Er sieht vor, im – in der Regel mit einer (!) Stunde pro Woche erteilten – Religionsunterricht von Kindergarten und Volksschule (bis Klasse 9) im Blick auf das Verhältnis von Juden und Christen fünf Themenbereiche aufzugreifen: »Bibel«, »Gemeinsamkeiten Judentum-Christentum als Religionen«, »Jüdisch-christliche Ethik«, »Geschichte des Judentums und des Christentums«, »Jüdisches Kulturleben« (203). Nä­herhin werden jeweils knappe Listen von Subthemen sowie »Lernzielumschreibungen« geboten (204–208). In starkem Maße greift W. dabei auf das Freiburger Projekt »Lernprozeß Christen Juden« aus den 1980er Jahren zurück.
Inzwischen liegt seit Juni 2013 die Konsularfassung, seit November 2014 die Endfassung des Lehrplans 21 vor (s. vorlage.lehrplan.ch). Soweit ich sehe, ist W.s Vorschlag darin nur rudimentär, jedenfalls nicht in der hier gebotenen Systematik aufgenommen worden.
Die Gründe sind mir nicht bekannt und können hier nicht erörtert werden; womöglich hat dies jedoch durchaus mit zwei Weichenstellungen zu tun, die W. vornimmt: So formuliert er seine Vorschläge zum einen nicht kompetenzorientiert, obwohl der Lehrplan 21 mit Hilfe dieses Paradigmas strukturiert ist; zum anderen entwirft er ein Programm christlich-jüdischer Verständigung in der Schule, das in starkem Maße auf die christliche Verwurzelung der Schüler und das Selbstverständnis der Kirchen rekurriert, aber kaum Zugänge und Argumente für eine multireligiöse Schüler- und Lehrerschaft sowie für einen religionskundlichen Unterricht bietet, wie sie in vielen Schweizer Kantonen, etwa im Zürcher Fach »Religion & Kultur«, vorauszusetzen sind. Anders gesagt: Die hier unterbreiteten Vorschläge laufen (mehrheitlich) für muslimische oder konfessionslose Schülerinnen und Schüler ebenso ins Leere wie für einen Unterricht, der nicht in »Mitverantwortung der öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften« stattfindet.
Für Lehrkräfte wird Kapitel 8 besonders lesenswert sein; hier bietet W. »inhaltliche Vorschläge für die Behandlung des jüdisch-christlichen Dialogs im Unterricht an schweizerischen Schulklassen« (211–248). Genauer: Er stellt Materialien für den Unterricht zum Thema »Judentum« zusammen; zumeist handelt es sich um Internetseiten, aber nicht selten auch um Publikationen und Projektvorschläge, etwa zur Holocaust-Education, sowie um (Fernseh-)Filme. Auch das Begegnungslernen bleibt nicht unbeachtet (»Likrat«).
In formaler Hinsicht stört, dass an nicht wenigen Stellen die Markierungen des jüngsten Korrekturdurchgangs stehen geblieben sind (16.30.34 u. ö.); hie und da sind weitere Versehen zu finden (lies: van der Vegt [3] und www.deutsches-pfarrerblatt.de [301]); Kapitel 8 hätte eine konsequente Gliederung nach Themen oder aber nach Mediengattungen gutgetan.
Das Buch bietet vielfältige Anregungen für die Thematisierung des Judentums und des christlich-jüdischen Verhältnisses im Religionsunterricht, für Leser in Deutschland zudem interessante Einblicke in die einschlägigen Schweizer Konstellationen. Bei allem Respekt vor den guten Absichten W.s lassen sich seine Überlegungen jedoch zu wenig auf die gegenwärtigen schulischen Gegebenheiten (Kompetenzorientierung, religionskundlicher Unterricht; religiöse Vielfalt, Rückläufigkeit kirchlicher Sozialisation) ein, um auf breite Rezeption hoffen zu können. Das Buch verdeutlicht indirekt: Die religionssoziologischen und gesellschaftlichen Verschiebungen, die etwa in Zürich kürzlich zur Abschaffung des bisher kirchlich mitverantworteten Religionsunterrichts führten, verlangen nach neuartigen, konsequent schulisch-gesellschaftlichen Be­gründungen und Akzenten bei der Thematisierung von Religion und Religionen – wenn der »jüdisch-christliche Dialog« in der Schule vorbereitet werden soll, muss auch er als entsprechend allgemeinbildend begründet und dargestellt werden.