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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

793 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Frettlöh, Magdalene L.

Titel/Untertitel:

Theologie des Segens. Biblische und dogmatische Wahrnehmungen.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1998. 436 S. gr.8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-579-00394-1.

Rezensent:

Michael Plathow

Zur theologischen "Segensvergessenheit" und "Segensbedürftigkeit" heute sind 1998 zwei systematisch-theologische Dissertationen über das Segens-Thema erschienen: Magdalene L. Frettlöh: "Theologie des Segens. Biblische und dogmatische Wahrnehmungen", Gütersloh 1998, und Dorothea Greiner: "Segen und Segnen. Eine systematisch-theologische Grundlegung", Stuttgart 1998. Und in der Tat sind - abgesehen von einer Fülle kirchlicher Gebrauchsliteratur zum Segen" - nach Claus Westermann: "Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche", München 1968, 2. Aufl. 1992, nur in Ausnahmen umfassendere Darlegungen zu Theologie des Segens erschienen. Insofern hat signifikante Bedeutung die gleichzeitige Veröffentlichung dieser beiden Dissertationen, die sich - bei methodischen und inhaltlichen Unterschieden - in vielen Erkenntnissen entsprechen, aber auch ergänzen. D. Greiner will in ihrer Arbeit eine trinitarische Begründung der Rede vom Segen geben und diese in ihrer Praxisrelevanz und ihrem Erfahrungsbezug ausziehen in das Handeln der Kirche heute (23; 356 ff.); dafür integriert sie kommunikations-, human- und religionswissenschaftliche Gesichtspunkte in ihre Überlegungen. Den Ort der Rede vom Segen nimmt sie in allen Loci der Dogmatik wahr (266).

Die Vfn. entfaltet ihre biblisch orientierte, dogmatisch reflektierte Segenstheologie im Zusammenhang einer israeltheologischen Neubestimmung der Lehre von der Rechtfertigung. Verortet ist diese "Theologie des Segens" in der pneumatologisch bedachten "providentia Dei", die das göttliche Segnen als Ermächtigung zu eigenständigem geschöpflichen Leben versteht und um die Entsprechung des menschlichen Gottsegens zum göttlichen Segenshandeln an den Geschöpfen weiß (39 f.). In ihre Darlegungen bezieht die Vfn. feministische Gesichtspunkte und die Ergebnisse des jüdisch-christlichen Dialogs betont ein.

Bei dieser "Theologie des Segens" handelt es sich um eine material- und aspektreiche, sehr gelehrte Abhandlung mit umfangreicher Literaturliste. Im Teil A "Biblische Segenstheologien und die Segensvergessenheit der Dogmatik" geht die Vfn. von C. Westermanns Unterscheidung zwischen rettendem und segnendem Handeln Gottes aus und kontrastiert ihr das Segensverständnis von W. Schottroff und J. Schabert. Sie bedenkt weiter das Segensschweigen in Gegenwartsdogmatiken und betont die Wiederentdeckung des Segens als dogmatisches Thema bei F. W. Marquardt.

Der Teil B zeigt "Im Gespräch mit dem Segensverständnis der dogmatischen Tradition" M. Luthers christologisch-soteriologisches Verständnis und J. Calvins erwählungs- und bundestheologische Begründung des Segens differenziert auf; D. Bonhoeffers Interpretation des Segens als Bejahung und "Inanspruchnahme des irdischen Lebens für Gott" findet eine angemessene Darstellung; hochinteressant liest sich der Abschnitt zu K. Barths Integrierung des Schöpfungssegens und Abrahamssegens in den Christussegen innerhalb des bundes- und erwählungstheologischen Begründungszusammenhangs. Mit Respekt und Zustimmung nimmt die Vfn. K. Barths christologische und israeltheologische Auslegung des Schöpfungs- und Abrahamssegens auf (243, Anm. 43), übt aber auch Kritik an seiner Aufhebung der wiederholten alttestamentlichen Segnungen in die einmalige Taufe (249 ff.). Auch M. Luthers rechtfertigungstheologisches Segensverständnis mit dem christologisch begründeten Antijudaismus und "die theologischen und seelsorgerlichen Abgründe der Lehre von der doppelten Prädestination bei J. Calvin" erfahren treffende Kritik (39).

Auf diesem Hintergrund entfaltet die Vfn. mit der wechselseitigen Bereicherung und kritischen Bezugnahme von Dogmatik und Exegese, wie sie die "biblische Theologie in dogmatischer Perspektive" F. Mildenbergers vornimmt, in Teil C die "Grundlinien einer biblischen und dogmatischen Theologie des Segens": der Abschnitt I "mitgesegnet mit Israel" (271 ff.) faltet den Segen an Abraham in seiner universalen Geltung aus. "Als Gesegneter nimmt der Abrahamssohn Jesus von Nazareth die Bestimmung Israels zum Segen (und Licht) für die Völker wahr" (315). Und indem der Abrahamssegen die Inklusion der Völker in die Segensgeschichte Israels als deren Hinzuerwählung zum Bund Gottes mit Israel in Jesus von Nazareth begreift, wird der Glaube an Jesus Christus "zum Interpretament für den Segen Israels" (342) und die Rechtfertigung "nicht nur zum Synonym für das Mitgesegnetsein mit Abraham, sondern auch für die Teilhabe an dem Segen, den Gott denen gewährt und bewahrt, die nach seinen Weisungen leben. Die Identität von Gottessegen und Abrahamssegen wird erweitert um den Torasegen" (342 f.).

Diese Erkenntnisgewinne vermittelnden Überlegungen zu einer israel- und toratheologischen Reinterpretation des christlichen Segens- und Rechtfertigungsverständnisses werden im II. Abschnitt "Ich will dich segenen ..., und du werde ein Segen!" ausgeweitet: Genannt sei nur die Segnung des Menschen als Ermächtigung zum Mitwirken in der "providentia Dei", d. h. die Bedeutung des Gottessegens für die segnenden Menschen, weiter für die Personen, Dinge, Ereignisse, Handlungen, über denen Gott gesegnet wird, und schließlich im Blick auf Gott selbst. Der letzte Aspekt eröffnet der Vfn. im Anschluß an F. Rosenzweig und F. W. Marquardt die eschatologische Bedeutung des Gottsegens, eben daß segnende Menschen im Gebet Gott "die Macht zurückgeben, die sie zuvor von ihm empfangen haben" (400); in Gottes Selbstentäußerung begründet, sind die Menschen zum Segnen Gottes ermächtigt, der so seine universale Herrschaft als Barmherzigkeit offenbar macht (396):

"Denn von diesem Segen will Gott sich dazu bewegen lassen, seine Einung und damit die Erlösung der Welt heraufzuführen. Gott zu segnen, ist die menschen(un)mögliche Mitarbeit an der Selbsterlösung Gottes und an der Erlösung der Welt. Sie ist menschenunmöglich, weil es nicht ihr eigener, sondern allein Gottes Segen ist, den Menschen Gott zusprechen können, weil auch in ihren Berechot Gott der Geber des Segens bleibt. Sie wird je und je menschenmöglich nur dadurch, daß Gott uns - wie R. Jischmail in bBer 7 a - darum bittet, ihm seinen Segen als unseren Segen zu geben und so in seiner Selbstbestimmung einzuwilligen, ein allein barmherziger Gott zu werden, den alle bei seinem Namen nennen können" (403). Eine faszinierende Weite der Segenstheologie öffnet sich so im eschatologischen Begründungszusammenhang für die Gottes- und Erlösungslehre.

Es handelt sich um ein höchst anregendes Werk von denkerischer und theologischer Stringenz, das innerhalb des heutigen Forschungsstandes (Chr. Link, D. Ritschl, F. W. Marquardt u.a.) einen eigenständigen Beitrag darstellt. Für die Segenstheologie, aber auch für ein Neubedenken des Rechtfertigungsglaubens nach der Diskussion über die "Gemeinsame Erklärung zum Rechtfertigungsglauben" vermag sie Erkenntnisgewinne und neue Impulse zu vermitteln, wenn auch das Verständnis von Sünde und Vergebung eine weitere Klärung erfahren sollte. Bei der theologischen Beschäftigung mit dem Segensthema wird man in Zukunft an dieser Arbeit nicht vorbeigehen können; allerdings ist es hilfreich, ergänzend für die praktisch-theologischen und erfahrungsorientierten Überlegungen gemeindlichen und kirchlichen Handelns D. Greiners Buch mitheranzuziehen.