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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

688-689

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Höffner, Joseph [Hrsg. v. U. Nothelle-Wildfeuer u. J. Althammer]

Titel/Untertitel:

Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsethik.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014. 411 S. m. 1 Tab. = Joseph Höffner, Ausgewählte Schriften, 3. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-506-77284-8.

Rezensent:

Nils Ole Oermann

Der unter dem Titel »Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsethik« (Wirtschaftsethik 1) als dritter Band in den von Ursula Nothelle-Wildfeuer und Jörg Althammer herausgegebenen und bis Herbst 2016 auf sieben Bänden angelegten »Ausgewählten Schriften« des 1987 verstorbenen Kölner Kardinals ist darum von besonderer Be­deutung, weil er im neu herausgegebenen Werk Joseph Höffners eine Scharnierfunktion erfüllt:
Während in den bereits erschienenen Bänden H.s durchaus kritisierte Kernbegriffe der Sozialen Gerechtigkeit und des Gemeinwohls (Band 1) und seinem konfessionell geprägten Verständnis des Menschenwürdebegriffs (Band 2) in ihrer fundamentalethischen Perspektive dem Leser nähergebracht wurden und in den weiteren Bänden H.s Positionen zu sozial- und gesellschaftspolitischen Fragen seiner Zeit (Band 5 f.) und zur Rolle der Kirche in der Welt (Band 7, Erscheinungstermin Herbst 2016 als Abschluss der Reihe »Ausgewählte Schriften«) durch seine Texte pointiert vermittelt werden sollen, beschäftigt sich der hier zu besprechende dritte Band mit den staatlichen wie ökonomischen Rahmenordnungen einer Marktwirtschaft, die aus H.s ethischer Perspektive im besten Fall eine soziale, d. h. immer auch auf sozialen Ausgleich zielende und gleichzeitig unternehmerisches Handeln stärkende Marktwirtschaft ist. In diese habe der Staat dann zu intervenieren, wenn Marktkräfte dies nicht zu leisten fähig sind oder durch Monopolbildung zu verhindern suchen.
Markt, Staat und christliche-konfessionelle Ethik stehen sich dabei aus Sicht H.s alles andere als unverbunden gegenüber. Wenn später im sogenannten Böckenförde-Diktum die Rede davon sein wird, dass der freiheitlich säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren kann – und sollte, dann ist der Theologe und Ökonom H. fest der Meinung, dass seine Kirche gerade im Bereich der Ökonomie Entscheidendes zum Ausfüllen dieser Lücke beizutragen habe – nicht nur, aber auch im Wege der Katholischen Soziallehre. Darum lehnt er eine Autonomie eines jeden Wirtschaftssystems genauso ab wie die Autonomie jeder positiven Gesetzgebung jenseits des Naturrechts.
Während im Folgeband »Arbeit – Eigentum – Mitbestimmung« (Band 4, Wirtschaftsethik 2) vor allem H.s Gutachter- und Bera-tertätigkeiten in den verschiedenen wirtschafts- und sozialpolitischen Debatten seiner Zeit in seinen Texten begrifflich unterlegt und sie so von ihm geschärft werden, so sind es im vorgelegten dritten Band vor allem seine frühen ordnungspolitisch relevanten Schriften als Theologe und Ökonom (vgl. 33–297, welche die Jahre 1941–1959 umspannen, in denen er u. a. als Professor in Trier und Mainz wirkte), die in ihren theoretischen Schwerpunkten der Monopolproblematik sowie der Menschenwürde- und Wettbewerbsproblematik die ordnungspolitischen Debatten der jungen Bundesrepublik intellektuell mit prägen sollten. Erst danach würde H. dann ab 1962 als Bischof und Erzbischof von Münster und Köln und damit als Praktiker die deutsche Wirtschafts- und Sozialpolitik nachhaltig beeinflussen.
In der intellektuellen Prägekraft, wie sie besonders in diesem dritten Band durchscheint, liegt die besondere Stärke des Publi-zisten und Wissenschaftlers H. und damit auch zwangsläufig des Bandes: Als Kenner der ordoökonomischen Gefahren im Zusammenhang mit Monopolen und Kartellen erweist sich der spätere Kardinal bereits in seiner 1941 veröffentlichten Schrift »Wirtschaftsethik und Monopole im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert« (33–186, die ein Kernstück dieses Bandes bilden), auch als theologisch herausragend kenntnisreich und innovativ, wenn er die scholastischen Überlegungen zu Monopolen der Fürsten und »privaten« Wirtschaft im 15./16. Jh. mit Luthers und Calvins differenzierten Haltungen zu »monopolia« vergleicht und in der Wirkungsgeschichte die makroökonomischen Folgen angemessen ab­zuschätzen vermag. So ist »Wettbewerb« aus Sicht H.s weder »gut« noch »schlecht«, sondern immer dann menschen- und schöpfungsgemäß, wenn er frei von Exzessen im Dienst dieser Geschöpfe steht. Hinter seinen Aufsätzen steht dabei immer die Frage, wie eine Wirtschaftsordnung aussehen kann und sollte, die das ethische Attribut »gerecht« aus christlich-katholischer Sicht verdient. Welche Rahmenbedingungen machen unser Wirtschaften menschenwürdig? Dass er sich hier von – aus protestantischer Sicht fragwürdigen – naturrechtlichen Prämissen weder lösen kann noch will, ist freilich erwartbar.
Dennoch trifft H. als Theologe vor allem mit seiner ökonomischen Analysefähigkeit hinsichtlich bestehender wie historischer Ordnungen den Nerv seiner Leser – auch eingedenk einer aktuellen gesellschaftspolitischen Debatte um gerechten Lohn und gerechtes Wirtschaften, was umso mehr belegt, wie wichtig eine solche Neuauflage seiner Schriften in einem Gesamtwerk »Ausgewählte Schriften« nicht nur für die Forschung ist. Denn H. gelingt in diesem Band schon in den von den Herausgebern treffsicher aus-gewählten und zum Teil intellektuell brillanten Aufsätzen auf höchstem ökonomischen und gleichzeitig hohem theologischen Niveau, was konfessionell-kirchlichen Stellungnahmen der Ge­gen­wart aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Tiefe und scheinbarer thematischer Beliebigkeit versagt bleibt:
H. und damit seine Theologie und Kirche entfalten Wirkung und werden von denjenigen, die u. a. auf Grundlage katholischer Sozialethiker wie H. oder Nell-Breuning wirtschafts- wie ordnungspolitisch zumindest in der alten Bundesrepublik mit entscheiden, gelesen und wahrgenommen. Somit zeigt der neu herausgegebene Band implizit auch, wie man theologisch im Bereich der Ethik Wirkung erzielen kann, indem die Herausgeber die bemerkenswert aktuell wirkenden Einlassungen des ökonomisch versierten Kardinals für sich selbst sprechen lassen.
Hervorgehoben sei weiterhin die exzellente Einleitung in das Werk und die Wirkung – in diesem Fall der Wirtschaftsethik H.s – durch Jörg Althammer und Giuseppe Franco (11–31), die die zuweilen sehr heterogenen Texte in einen angemessenen inhaltlichen Zusammenhang stellen. Man darf gespannt sein, ob die weiteren Bände dem intellektuell anspruchsvollen Rahmen, den das frühe Werk H.s im dritten Band zu entfalten vermag, im Detail und ähnlich gut abgestimmt gerecht werden.