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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

671-673

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Delgado, Mariano, u. Volker Leppin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gott in der Ge­schichte. Zum Ringen um das Verständnis von Heil und Unheil in der Geschichte des Christentums.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Stuttgart: Kohlhammer Verlag 2013. 494 S. = Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte, 18. Geb. EUR 64,90. ISBN 978-3-7278-1736-6 (Academic Press Fribourg); 978-3-17-023398-0 (Kohlhammer Verlag).

Rezensent:

Ekkehard Mühlenberg

Gesammelt sind die »Akten« eines Symposiums an der Universität Fribourg/Schweiz (2012), zu dem unter der Thematik des Buchtitels eingeladen worden war. Der Band enthält 23 Beiträge im Format von Zeitschriftenaufsätzen (eine Ausnahme), reichlich mit Anmerkungen unter dem Text versehen, wo Belegstellen und Literaturverweise in gut lesbarer Schreibweise zu identifizieren sind. Am Ende des Buches befinden sich ein Bibelstellen- und ein umfassendes Personennamenregister.
Im Vorwort (9) nennen die Herausgeber einige geschichtstheologische Fragen. Die Themen, denen sich die 23 Autoren widmen, sind spezieller und, wie es scheint, auf jeweils eine der möglichen Fragen angesetzt. Die möglichen Fragen werden in Bezug auf be­stimmte Geschichtstexte und historiographische Ereignisse er­örtert und reichen von Jhwh, dem Gott Israels, bis zur Katastrophe von Fukushima, von »Bibel und Judentum« (Teil II) bis zu »Moderne« (Teil VI) – trotz der historischen Anordnung der Beiträge nicht die Veränderungen des Gedankens »Gott in der Geschichte« thematisierend, sondern Variationen des Gedankens. Jedem der 23 Artikel ist am Schluss eine Zusammenfassung in Deutsch und in einem grausigen Übersetzungsenglisch beigegeben.
Weder der Titel noch der Untertitel sind eindeutig. In unterschiedlicher Klarheit behandeln die Beiträge die Frage, ob dem heutigen Historiker in vergangenen Geschichtsvorstellungen Gottes Handeln in der Geschichte erkennbar ist. Die meisten Autoren antworten mit Nein, einige verstecken ihr Urteil, und ein paar Einzelstimmen akkomodieren sich mit der dogmatischen These, dass Gott der Herr der Geschichte sei. Ich wähle Beispiele aus.
Der erste Aufsatz (13–23), gedacht als »ein mehr systematischer Beitrag« (9), will die postmoderne Vorgabe für eine theologische Betrachtung der Geschichte klären. Das gelingt nicht, weil die postmoderne Vorgabe anstelle einer Geschichte, die ein Ziel und damit einen Sinn hat, nur die vielen Geschichten und zudem freie Deutungsmöglichkeiten kennt. Aber die Kirche solle sich als Interpretationsgemeinschaft aufschwingen, prophetisch auf ein sinngebendes Eschaton zu den Ereignisgeschichten hinzudeuten. Die Tugend Hoffnung wird aufgerufen, um christliches Verhalten zu profilieren (22–23), aufgenommen in dem letzten Beitrag über eine christliche Apokalyptik (vgl. 471–473). Hier dominiert Akkomoda­tionslogik aus der Fundamentaltheologie (Th. Ebneter) bzw. christlicher Gesellschaftslehre (W. Palaver) und angesprochen wird ein moderner Mensch.
Die Geschichte der Jeanne d’Arc wird von dem Historiker Hans-Joachim Schmidt vorgeführt und sein Urteil lautet: »Das Sprechen von Gott in der Geschichte ist Unsinn, weil es nichts erklären kann, um Gesprächspartner zu überzeugen und noch weniger um Historiker zu wissenschaftlich überprüfbaren Resultaten zu führen« (239). »Dem Historiker ist die Aufgabe erspart, über die Berechtigung des Anspruchs von Jeanne d’Arc zu urteilen und damit auch über Gott in der Welt Aussagen zu machen« (241). Der Kirchenhis­toriker Mariano Delgado beschreibt an spanischen Nationalgeschichten die Anwendung der geschichtstheologischen Kategorien Erwählung-Bund-Gericht-Translatio Imperii (289–307). Er seziert die Verblendung dieses nationalen Erwählungsbewusstseins. Sein theoretisches Fazit ist enigmatisch zurückhaltend: »Dass Gott in der Geschichte gehandelt hat und weiterhin handelt, dass er, wie das Zweite Vatikanische Konzil in Gaudium et spes 41 gesagt hat, ›Herr der Profangeschichte und der Heilsgeschichte‹ ist, gehört zu den wesentlichen Annahmen der biblischen Religionen.« Aber es »steht jede Geschichtstheologie, zumal eine Geschichtstheologie des ›Gott mit uns‹ unter dem Vorbehalt, dass der göttliche Ratschluss unerforschlich bleibt und uns mehr Fragen als Antworten gibt« (307). Der Historiker Georg Schmidt meint, dass er »Politische und religiöse Deutungen König Gustavs II. Adolf von Schweden« (325–349) nebeneinander stehen lassen könne. »Dies entspricht dem modernen pluralen Weltverständnis, das nicht erst in der Gegenwart die Suche nach der einen historischen Wahrheit als Illusion entlarvt hat« (348).
Adrian Schenker zeigt, dass das Alte Testament die allgemein altorientalische Vorstellung vom Eingreifen der Gottheiten in die Geschichte der Menschen teilt und der Gott Israels hierarchisch über die anderen Gottheiten gestellt sei. Für das Neue Testament konzentriert sich Manuel Vogel auf die Frage der Leiblichkeit der Auferstehung Jesu und, ob historische Faktizität wie die Erzählung vom leeren Grab für das Kerygma entscheidend sei. Zum Verstehen verweist er auf einen biblischen Deutungszusammenhang, und das geschichtliche Geschehen werde in einen »Erzählzusammenhang innerhalb der Evangelien« (55) sublimiert. Wie zu verstehen sei, dass es Gott ist, der handelt, wird nicht ausgeführt. Überhaupt wird in dem ganzen Band »Gott« wie eine allseits bekannte Chiffre behandelt, außer in dem Beitrag von Gabrielle Oberhänsli-Widmer, Rabbinische Gottesbilder als Antwort auf die »Nacht des Exils« (57–68).
Bemerkenswert ist die ausführliche Abhandlung von Martin Keßler, Das Erdbeben von Lissabon und die Frage nach Gottes Providenz in der Aufklärungstheologie (351–407). Er kann vorführen, dass in Philosophie und Theologie diese Naturkatastrophe keine Veränderung betreffs »Optimismus« und Providenzglauben be­wirkt hat, nicht einmal in Voltaires Religionslehre. Vielmehr sei das Erdbeben von 1755 mit Voltaires Gedicht anhebend ein Ereignis in der Literatur gewesen und erst im späteren 19. Jh. zur Kritik an der Aufklärungsphilosophie (W. Windelband) und -theologie (W. Lütgert) aufgenommen worden. Der Autor weist selber darauf hin, dass hierzu neue Fragen aufgegeben sind.
Ich weise noch hin auf die Beiträge von Hans-Werner Goetz, Gottes Geschichtshandeln in der früh- und hochmittelalterlichen Vorstellungswelt (131–157); Volker Leppin, Die Freisetzung menschlichen Handelns in der kirchenpolitischen Publizistik des frühen 14. Jahrhunderts (203–215), und Volker Reinhardt, Machiavellis Gott (245–253).
Der Band enthält viele Grammatik-, Druck- und Trennfehler.