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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

668-669

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Amor, Christoph J.

Titel/Untertitel:

»Um unseres Heiles willen«. Eine Hinführung zum Heilsverständnis bei Thomas von Aquin.

Verlag:

Innsbruck u.a.: Tyrolia 2009. 487 S. = Innsbrucker theologische Studien, 81. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-7022-2981-8.

Rezensent:

Rochus Leonhardt

Die vorliegende Publikation von Christoph J. Amor basiert auf einer Arbeit, die »im Wintersemester 2006 von der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck als Dissertationsschrift angenommen« (11), für den Druck allerdings um das abschließende Kapitel 16 (445–472: »Religionstheologische Auswertung«) erweitert wurde (vgl. 445, Anm. 31).
Dem 1979 geborenen Vf. geht es darum, die Theologie des Thomas von Aquin – als klassische Ausprägung mittelalterlicher Scholastik – für den zeitgenössischen theologischen Diskurs fruchtbar zu machen. Damit möchte er einen Beitrag dazu leisten, jenem »theologischen Traditionsverlust« (15) vorzubeugen, von dem die römisch-katholische Theologie dann be­droht ist, wenn die im 20. Jh. vollzogene Überwindung der Neuscholastik schließlich zu einer Absage an das scholastische Denken überhaupt führt. Insofern möchte er seine Arbeit verstanden wissen als »Plädoyer für eine kritische Würdigung des scholastischen Erbes innerhalb der römisch-katholischen Theologie« (437). Dass der Vf. freilich keine schlichte Restitution neuscholastischen Denkens beabsichtigt, wird insbesondere daran deutlich, dass er sich darauf kapriziert, die soteriologische Dimension des thomanischen Denkens zur Geltung zu bringen – während das Interesse der Neuscholastik am Aquinaten eher philosophischer Art war. Dieses Interesse der Vf.s zeigt sich bereits in der Titelformulierung, bei der es sich um ein Zitat aus dem Nicaenum handelt (BSLK 26,12 f.), das bei Thomas z. B. in STh III prol. aufgenommen wird.
Was die Durchführung angeht, so unternimmt der Vf. nichts weniger als eine Tour d’Horizon, innerhalb derer das gesamte theologische Denken des Thomas von Aquin in den Blick kommt. Und weil es das primäre Anliegen der Arbeit ist, »Thomas selbst zu Wort kommen zu lassen«, beschränken sich »die Darstellungen im Haupttext […] weitgehend auf eine Paraphrase« (13). Das Buch bietet also eine quellennah ausgearbeitete Überblicksdarstellung, in der neben der »Summa Theologiae« auch der Sentenzenkommentar und die »Summa contra Gentiles« sowie einige Bibelkommentare und ausgewählte Quaestiones disputatae berücksichtigt werden. Diese breite Quellenbasis ermöglicht auch Hinweise auf Entwicklungen in Thomas’ theologischer Theoriebildung (vgl. 43 f.452.466 f.). Daher kann das Buch jedem empfohlen werden, der sich in das Denken des Thomas einstimmen lassen und die zu den unterschiedlichen Themenfeldern jeweils einschlägigen Quellentexte kennenlernen möchte.
Der vom Vf. selbst mit dem Stichwort »Paraphrase« bezeichnete methodische Zugang führt allerdings, was den wissenschaftlichen Tiefgang der Arbeit angeht, zu erheblichen Problemen. So fehlen durchgängig explizite Auseinandersetzungen mit den einschlägigen und teilweise hochgradig kontroversen Diskursen der Thomas-Forschung; die Fußnoten beschränken sich entsprechend auf die Zitation der jeweils passenden Thomas-Stellen und die gelegentliche Nennung ausgewählter Sekundärliteratur, die allerdings nirgendwo diskutiert wird.
Hinzu kommt, dass der Vf. dem Denkweg des Thomas, wie er sich in besonderer Prägnanz in der Summa Theologiae niedergeschlagen hat, dann doch nicht so recht folgt. Vielmehr werden die im Corpus Thomisticum identifizierbaren inhaltlichen Grundentscheidungen faktisch in das Gliederungskorsett einer zeitgenössischen Dogmatik eingepasst. So wird, um nur zwei konkrete Beispiele zu nennen, in der Darstellung des Vf.s nicht deutlich, wie groß bei Thomas – schon in der »Summa contra gentiles«, aber auch in der »Summa Theologiae« – der Stellenwert des Begriffs des Glücks bzw. der Glückseligkeit ist. Weiterhin werden die mario-logischen Reflexionen des Thomas in der Darstellung des Vf.s zu einem eigenen Kapitel aufgeblasen. Doch während der Vf. hier selbst notiert, dass Thomas »kein dogmatisches Lehrstück zu Ma­ria verfasst« hat (239), bleibt er sonst eine präzise Rechenschaft über die von ihm gewählte Stoffanordnung im Vergleich zur Sys-tematik der historisch ja durchaus abständigen thomanischen Schriften schuldig.
Der schon mitgeteilte Eindruck, nach dem sich der Vf. seinem Gegenstand dezidiert aus der Sicht einer gegenwärtigen katho-lischen Dogmatik nähert, wird noch verstärkt durch den Blick auf die insgesamt 14 Abschnitte des Buches, in denen die jeweils im Vorfeld dargestellten Lehrinhalte zusammenfassend beurteilt werden. Die dabei regelmäßig verwendete Formulierung »kritische Würdigung« darf freilich nicht so verstanden werden, als würde nach der Anschlussfähigkeit der thomanischen Theologie im Blick auf zeitgenössische Problemkonstellationen gefragt. Vielmehr geht es zumeist um die binnenkatholische Verständigung über die Fortgeltung theologischer Entscheidungen des Thomas. So wird etwa dessen vehementes Festhalten am Filioque »vom heutigen ökumenischen Gesichtspunkt aus« als »problematisch« eingestuft, eine Einschätzung, die begründet wird mit der auf neuere Äußerungen des katholischen Lehramts gestützten Feststellung, dass das Filioque »nicht mehr zum unaufgebbaren Kernbestand des römisch-katholischen Glaubensbewußtseins« zu gehören scheine (127). Eine ähnliche Stoßrichtung hat die »Kritische Würdigung der thomanischen Christologie«; diese markiere »eine kritische Anfrage an heutiges Theologietreiben, wie stark es sich von der kirchlichen Lehrtradition in die Pflicht nehmen und zu Denken aufgeben lässt« (303).
Insgesamt legt die Arbeit zwar Zeugnis von der eingehenden Beschäftigung des Vf.s mit einem theologischen Klassiker ab; aber leider bleibt seine Auseinandersetzung mit Thomas, nicht zuletzt weil sie auf eine erkennbare Verankerung in der Forschungstradition verzichtet, weitgehend frei von Originalität. Überdies ist das (durchaus sympathische) Bemühen um eine Kompensation theologischen Traditionsverlustes durch eingehenden Rekurs auf die Theologie des Thomas von einer zumeist unreflektierten Traditionsverliebtheit getragen, die sich gelegentlich noch dazu als naive Lehramtskonvergenz artikuliert.