Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

662-663

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Lätzel, Martin

Titel/Untertitel:

Die Katholische Kirche im Ersten Weltkrieg. Zwischen Nationalismus und Friedenswillen.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2014. 216 S. Kart. EUR 22,00. ISBN 978-3-7917-2581-9.

Rezensent:

Thomas Martin Schneider

Der katholische Theologe Martin Lätzel, ehemaliger BDKJ-Präses und jetziger Referatsleiter im schleswig-holsteinischen Kultus-mi-nis­terium, hat rechtzeitig zum 100-jährigen Gedenken an den Kriegsbeginn eine Überblicksdarstellung zur Rolle der katholischen Kirche im Ersten Weltkrieg vorgelegt. Anders als Martin Greschat, der einen konfessionsübergreifenden und international vergleichenden Überblick zur Christentumsgeschichte 1914 bis 1918 publizierte (Der Erste Weltkrieg und die Christenheit. Ein globaler Überblick, Stuttgart 1914), beschränkt L. sich weitgehend auf den deutschen Katholizismus, und hier insbesondere auf »die Vertreter der Institution« (11).
L.s Darstellung stützt sich auf gedruckte oder im Internet veröffentlichte Quellen und einschlägige Sekundärliteratur. Häufig werden Quellentextauszüge, auch längere Passagen, im Kursivdruck wörtlich zitiert. Die Kommentierung, bei der nicht selten unvermittelt Zitate aus der Sekundärliteratur Verwendung finden, ist dagegen vergleichsweise knapp. L. selbst bezeichnet sein Buch im Vorwort als »eine historisch-theologische Lesereise«; es sei ihm nicht um »neue wissenschaftliche Erkenntnisse« gegangen (10). Man vermisst allerdings eine methodische Reflexion, vor allem auch zur Auswahl der Quellen und der Literatur. Sein Vorverständnis beschreibt L. wie folgt: Er habe das Buch »aus dem Bewusstsein heraus geschrieben, dass zum Christentum Friedenswillen, Ausgleich, Verständigung und Toleranz gehören« (10). So sehr man dem heutzutage wird zustimmen können, so hinderlich ist dieses Vorverständnis für ein historisches Verstehen der damaligen Situation.
Über weite Strecken des Buches zeigt L. auf, dass und wie Repräsentanten der katholischen Kirche, Orden und Verbände sich nahezu vorbehaltlos mit der deutschen Nation, den Kriegszielen und der Monarchie, allen voran mit dem protestantischen Kaiserhaus, identifizierten. Das wird mit zahlreichen langen Zitaten in einer die Leserschaft mitunter ermüdenden Weise immer wieder gezeigt. Und diesem Befund steht L. auch noch gegen Ende seines Buches weitgehend verständnislos gegenüber. So heißt es etwa noch auf S. 142 in dem kurzen Kommentar zu dem ausführlich zitierten und wohl typischen Feldpostbrief eines Theologiestudenten: »Widerstand gegen einen ungerechtfertigten Krieg hört sich anders an.« Das ist natürlich eine ziemlich unhistorische Bewertung, denn Widerstand war sicher nicht im Denkhorizont des Briefschreibers gewesen, und die Möglichkeit, dass der Krieg ungerechtfertigt sein könnte, war ihm vermutlich ebenfalls noch nicht in den Sinn gekommen.
Die spannende Frage, wie es eigentlich nach dem Kulturkampf der 1870er Jahre dazu kommen konnte, dass auch der deutsche Katholizismus – wie der deutsche Protestantismus und wie übrigens auch die christlichen Kirchen anderer Staaten – in nationa-listisches, militaristisches und monarchistisches Fahrwasser geriet und dass die Loyalitäten den politischen Machthabern gegenüber größer waren als dem Papst und den katholischen Glaubensgeschwistern im Ausland gegenüber, wird eher am Rande behandelt. Immerhin verweist L. zum einen mit Wolfgang J. Mommsen auf das psychologische Motiv, den »Pariahstatus« zu überwinden und die Vaterlandsliebe unter Beweis zu stellen und sich dabei von niemandem übertreffen zu lassen (41), zum anderen auf die Zielsetzung, das laizistisch-säkularisierte Frankreich zu rekatholisieren (138 ff.). Während insbesondere der Feldpropst und spätere Münchner Erzbischof Michael von Faulhaber, der 1937 die Enzyk-lika »Mit brennender Sorge« entwarf, in dem Buch schlecht wegkommt, wird im letzten Viertel des Buches Papst Benedikt XV. geradezu zur Lichtgestalt bzw., so wörtlich, zur »weiße[n] Taube aus Rom« (148) verklärt. Dass der paternalistische Ton des Papstes, der sich selbst als »gemeinsamer Vater der Gläubigen« bezeichnete (166), einen preußisch-protestantischen Monarchen wie Wilhelm II. eher provoziert als überzeugt haben könnte, wird nicht bedacht; dass es dem Papst womöglich auch darum ging, wieder politischen Einfluss zu erlangen, nur beiläufig (177).
Am Beispiel des Quickborn und der Liturgischen Bewegung versucht L. am Ende des Buches aufzuzeigen, dass es nach 1918 zu modernen Aufbrüchen im deutschen Katholizismus kam. Der Zusammenhang mit der Kriegszeit wird dabei allerdings kaum deutlich. Doch etwas verwegen ist die These, dass die katholische Liturgische Bewegung in den Traditionen der Bibelübersetzung Martin Luthers und der historisch-kritischen Bibelexegese gestanden habe (187).