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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

654-656

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Matheson, Peter

Titel/Untertitel:

Argula von Grumbach. Eine Biographie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 263 S. Geb. EUR 39,99. ISBN 978-3-525-55072-4.

Rezensent:

Martin H. Jung

Argula von Grumbach, früher die bekannteste unter den prominenten Frauen der Reformationszeit, war in den letzten Jahren hinter Katharina Zell zurückgetreten. Seit der Monographie von Silke Halbach (1992) schien das Thema erschöpft zu sein. Doch dann trat der neuseeländische Kirchenhistoriker Peter Matheson (geb. 1938) zu­nächst mit einem Sammelband (1995), dann (2010) mit einer Quellenpublikation zu Argula von Grumbach an die Öffentlichkeit. Ihr folgte 2013 eine richtige Biographie in englischer und 2014, übersetzt, überarbeitet und erweitert, in deutscher Sprache. Das Buch hat Be­achtung verdient, bereichert es doch die frauengeschichtlich interessierte Reformationshistoriographie erheblich.
Anlass für die neue Biographie war die überraschende Tatsache, dass es M. gelang, in München und Berlin neue Quellen ausfindig zu machen, die zwar die Sicht Argula von Grumbachs nicht generell verändern, es aber doch erlaubten, einige bislang ungeklärte Fragen, vor allem die nach ihrem späteren Leben, im Anschluss an ihren spektakulären Auftritt 1523/24, und nach ihrem Lebensende zu klären.
M.s Biographie beginnt mit der Kindheit und endet mit dem Tod, geht aber auch kurz auf die Nachwirkungen, die spätere Re­zeption ein. Letzteres wäre noch ausbaufähig gewesen (z. B. Georg Konrad Rieger). Das Wenige, was über Argula von Grumbach an Fakten be­kannt ist, wird von M. durch dichte Beschreibungen an­gereichert zu einem lebendigen Bild der Kontexte, in denen sie lebte und wirkte. So gesehen ist diese Argula-von-Grumbach-Biographie zu­gleich eine kleine Einführung in die bayerische Reforma-tionsgeschichte.
Schwerpunkte der Darstellung sind die Flugschriftenauseinandersetzungen Argula von Grumbachs, die auch hinsichtlich ihrer theologischen Inhalte analysiert werden, ferner die Begegnung von Grumbachs mit Luther 1530 sowie die schwierigen Familienverhältnisse, beginnend mit dem Berufsverbot für ihren Mann als Folge ihres öffentlichen proreformatorischen Auftretens und endend mit der Ermordung eines ihrer Söhne.
Deutlicher hätte M. fragen können, inwiefern Argula von Grumbach von Luther beeinflusst war, abgesehen von Luthers Schriften, die sie gelesen hat. Zu denken ist an den Auftritt Luthers in Worms. In zeitgenössischen Holzschnitten wird von Grumbach, den Professoren von Ingolstadt gegenübertretend, beinahe exakt dargestellt wie Luther im Gegenüber zu Kaiser und Papst in Worms, worauf auch M. hinweist (82). Meines Erachtens führt eine direkte Linie von Luthers Auftritt in Worms zum Hervortreten der Flugschriftenautorinnen sowie weiterer Laien. Luther wirkte als Vorbild und motivierte zugleich zum eigenen Handeln.
Obwohl M. ausdrücklich in einem eigenen Kapitel »Argulas Theologie« behandelt (236), kommen die theologischen Aspekte in von Grumbachs Werk relativ kurz, und auch von Grumbachs Bibelrezeption wird nur sehr knapp berichtet. Beides wäre, auch wenn ich selbst nicht unbedingt von »Theologie« sprechen würde, ausbaufähig gewesen. Es ist ja zum Beispiel keine Nebensächlichkeit, wenn von Grumbach – wie andere Flugschriftenautorinnen auch – mit Joel 3,1 f. argumentiert, sondern damit hängt ein eschatologisches und pneumatologisches Konzept zusammen. Ferner wären die insgesamt zwölf Bibelstellen, mit denen Argula von Grumbach ihr Recht begründet, als Frau das Wort zu ergreifen, eine nähere Erörterung und Auslegung wert gewesen. Wie beim historischen Umfeld, so könnte und müsste man auch im Bereich Bibel und Theologie durch »dichte Beschreibung« mehr herausholen aus Ar­gula von Grumbachs mitunter dürren Worten.
M. charakterisiert Argula von Grumbach abschließend in einem gehaltvollen »Schlusswort« als selbstbewusste Ehefrau, engagierte Mutter und überzeugte Anhängerin der Reformation. Argula von Grumbach allerdings wie auf der sicherlich vom Verlag gestalteten Buchrückseite als »Reformatorin« und pointiert als »die erste Reformatorin in Europa« zu bezeichnen, halte ich angesichts des schmalen und nicht besonders theologisch-argumentativ akzentuierten schriftstellerischen Werks der Frau für verwegen und überzogen. Wenn überhaupt, gebührt Katharina Zell der Titel »Reformatorin«; ich selbst bevorzuge aber »Laientheologin der Reformation«. Als Flugschriftenautorin, was den Erfolg ihrer Schriften anbelangt, bleibt Argula von Grumbach jedoch ungeschlagen.
Fragen muss man allerdings, warum M. konsequent von »Argula« spricht, nicht von »Argula von Grumbach« oder von »Grumbach«. Bei keinem Mann der Reformationszeit, man nehme Luther oder Melanchthon oder Zwingli – wäre es denkbar, eine Biographie zu schreiben, in der konsequent nur der Vorname des Protagonis­ten verwendet würde. Warum macht man das bei Frauen?
Das Buch ist sehr gut zu lesen und gleichzeitig, auch was die Quellennachweise anbelangt, sehr solide, sogar mit einem Na­mens- und Ortsregister ausgestattet. Bedauern mag man – sicher keine Nachlässigkeit M.s, sondern eine wirtschaftlich begründete Vorgabe des Verlags – den Verzicht auf Karten und Bilder. Die für die Thematik einschlägigen Holzschnitte stehen jedoch in der erwähnten Quellenpublikation M.s zur Verfügung.
Kleinere Mängel weist das Literaturverzeichnis auf. M. hätte eigentlich in einer soliden Grumbach-Biographie alle verfügbare Sekundärliteratur aufnehmen müssen. Geradezu sträflich ist meines Erachtens die Nichterwähnung der Pionierarbeit von Bainton. Ungeschickt ist es, die Titelaufnahmen im Literaturverzeichnis mit Vornamen, nicht mit Nachnamen zu beginnen. Die Titelaufnahmen wurden außerdem formal sehr uneinheitlich ge­staltet, nicht nur bei den verwendeten Deskriptionszeichen. Vereinzelt finden sich hier auch Fehler: Beispielsweise heißt Zschoch mit Vorname nicht »Herbert«, sondern »Hellmut«, und »Philip« schreibt sich im Deutschen mit »pp«: Philipp.