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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

635-636

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Janowski, Bernd, u. Daniel Schwemer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Hymnen, Klagelieder und Gebete.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. 352 S. = Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge, 7. Geb. EUR 148,00. ISBN 978-3-579-05280-9.

Rezensent:

Anna Zernecke

Band 7 der Neuen Folge der Texte aus der Umwelt des Alten Tes-taments ist den Hymnen, Klageliedern und Gebeten gewidmet. Die umfangreiche Sammlung enthält sumerische und akkadische, hethitische, ugaritische und ägyptische Texte sowie griechische Texte ägyptischer Herkunft.
In ihrem Vorwort betonen die Herausgeber die Vielfalt und Vielgestaltigkeit der Quellentexte. »Hymnus«, »Klagelied« und »Gebet« können nicht als voneinander abgrenzbare Gattungen verstanden werden, da in den meisten Texten mehrere Elemente vorkommen: Neben Bitten stehen der Lobpreis der angeredeten Gottheit und der Dank für die erbetene Hilfe. Die Texte stammen aus vielerlei historischen, sozialen und kultischen Zusammenhängen; auch die Umstände ihrer Verwendung und die Motive zu ihrer Verschrift-lichung sind zahlreich. Die Einleitungen der Kapitel geben einen Überblick über die jeweilige Gebetsliteratur mit verschiedenen Schwerpunkten. Die Zuordnung der Quellen zu einzelnen Gattungen ist für alle beteiligten Disziplinen ein wesentliches Element der Diskussion. Hier wird teilweise auch die Terminologie für das Beten und für bestimmte Gebetstypen in der jeweiligen Kultur besprochen. Die Auswahl der Texte wird begründet, und sie werden in die jeweilige Literatur- und Religionsgeschichte eingeordnet. Daneben wird ihr Wert als Quellen auch für weitere Bereiche herausgestellt, z. B. für die politische Geschichte. Es folgen jeweils die Texte in Übersetzung mit ausführlicher Bibliographie, einer kurzen Einleitung und einem Anmerkungsapparat. Der Band enthält außerdem umfangreiche Zeittafeln und Karten.
Die Vielfalt der Texte in formaler Hinsicht ist faszinierend: Da steht der sumerische Baubericht eines Tempels, der auch eine Reihe von Reden an verschiedene Gottheiten enthält (9–35), neben ugaritischen Aufzählungen von Gottheiten, bei denen fraglich ist, ob es sich um Anrufungen oder Listen handelt (136–139). Häufig spricht ein Beter zu einer Gottheit, aber manchmal ergreifen auch die Götter selbst das Wort, so z. B. in den Isis-Aretalogien (276–279). Könige können Adressaten (6–9.197–210) und Tempel Gegenstand von Hymnen sein (79 f.); Gebete können Schilderungen historischer Ereignisse enthalten, die wesentlich detaillierter sind als die parallele historiographische Überlieferung (114–123).
In vielen Bereichen erscheinen Vergleiche zwischen den verschiedenen Kulturen reizvoll, so bezüglich der Motivation zur Verschriftlichung (z. B. Verwendung von Gebeten in schulischem Kontext oder als Votivgaben in Tempeln; hier berührt sich das Material dann mit den in Band 6 »Grab-, Sarg-, Bau- und Votivinschriften« publizierten Texten) und bei Fragen nach einer Beziehung zwischen Standardisierung bzw. Formelhaftigkeit des Textes und dem Textträger sowie der Art der Ausführung (z. B. »public display text« oder Graffito). In einem Einzelfall kann das Wachstum eines Textes über Jahrhunderte verfolgt werden, das in vielem die Kriterien historisch-kritischer Bibelwissenschaft bestätigt: das Handerhebungsgebet Ištar 2 ist mit seinen beiden wichtigsten Textzeugen präsentiert. Leider sind die sehr fragmentarischen Reste des Endes der älteren Version weggelassen; erst an diesen kann man aber sehen, dass die Grobgliederung trotz erheblichen Textwachstums beibehalten wurde (85–90).
Der Band bietet einen breiten Überblick über die verschiedenen Formen des menschlichen Redens zu den Gottheiten aus dem Alten Orient und Ägypten im weitesten Sinne. Damit ist er in gewisser Weise das Gegenstück zu Band 4 (»Omina, Orakel, Rituale und Beschwörungen«). Die Herausgeber sind sich der Nähe bewusst; weil Gebete vielfach Teile von Ritualen waren, sind hier klare Einordnungen und Abgrenzungen häufig unmöglich (XI). Deutlich ist dies besonders für die Texte aus dem mesopotamischen Kulturraum. Dies problematisiert die Einleitung zu den akkadischen Texten von Karl Hecker (52 f.) anhand der in der Altorientalistik eingeführten Gattungsbezeichnung »Gebetsbeschwörung« unter Verweis u. a. auf das in Band 4 abgedruckte akkadische Abwehrzauber-Ritual Maqlû, das einige Exemplare dieser »Gattung« enthält. Eine exemplarische Textsammlung wie TUAT muss notwendigerweise Gattungen und Textgruppen voneinander abgrenzen, aber es ist fraglich, ob die Trennung von »Ritualen« und »Gebeten« nicht doch die Wahrnehmung der Benutzer dahingehend beeinflussen wird, den Zusammenhang zu missachten oder zumindest zu unterschätzen.
Die Auswahl spiegelt in ihren Schwerpunkten die Gegebenheiten der Textüberlieferung: So enthält der Band weder Texte aus dem Iran noch aus Südarabien. Auch können keine aramäischen, phönizisch-punischen oder hebräischen Texte zu den in TUAT II (1986–1991) enthaltenen hinzugefügt werden. Das Kapitel mit ugaritischen Texten ist schmal; einer der bereits in der ersten Reihe enthaltenen Texte wurde neu übersetzt (KTU 1.119, 26–36; TUAT II, 819; jetzt 141 f.). – Am Rande bemerkt der ja notwendigerweise nicht mit allen beteiligten wissenschaftlichen Fachkulturen gleichermaßen vertraute Leser Unterschiede in den Konventionen. So versteht z. B. die Ägyptologie unter einem »Ostrakon« nicht ausschließlich eine Scherbe eines Tongefäßes, die erst nach dem Zerbrechen be­schriftet wurde, wie denn auch beschriftete Kalksteinbruchstücke als Ostraka bezeichnet werden (z. B. 164–171).
Die Sammlung »Hymnen, Klagelieder und Gebete« zeigt die große Vielfalt von Gebetstexten aus dem Alten Orient und Ägypten in einer repräsentativen Auswahl. Für die religionsgeschichtliche Arbeit am Alten Testament ist dieses Werk eine große Bereicherung. Es wäre dem Band wie auch der Reihe insgesamt zu wünschen, wenn dadurch die interdisziplinäre Arbeit, gerade auch an Gebetstexten, neue Impulse erhielte.