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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

621-622

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dunne, John Anthony, and Dan Batovici [Eds.]

Titel/Untertitel:

Reactions to Empire. Sacred Texts in their Socio-Political Contexts.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XII, 203 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 372. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-153413-3.

Rezensent:

Joel R. White

Das Werk sammelt verschiedene Beiträge der dritten St. Andrews Graduate Conference for Biblical and Early Christian Studies, die sich im Juli 2013 an der Universität St. Andrews, Schottland, mit dem Ziel traf, theopolitische Aspekte jüdischer und frühchristlicher sakraler Texte zu erforschen. Die zehn Aufsätze, zum Teil von renommierten Forschern, aber vorwiegend von Doktoranden und Postdoctoral Fellows von neun verschiedenen Hochschulen ge­schrieben, fragen danach, inwiefern die von ihnen untersuchten Texte oppressive politische Ideologien rezipieren, bzw. nach der Art ihres Engagements mit denselben.
Im ersten Beitrag, »A Place for Socio-Political Oppressors at the End of History? Eschatological Perspectives from 1 Enoch«, hinterfragt L. Stuckenbruck die Auffassung vieler Forscher, dass die Wächter in den entsprechenden Teilen des 1. Henochbuchs als »steno-symbols« für politische Kräfte, insbesondere die Diadochen, dienten. Wenigstens für den von Stuckenbruck untersuchten Teil des Buches (äthHen 6–11) sei dies aufgrund der hier vorkommenden universalen Heilserwartung nicht zutreffend. Hinter den Wächtern verbergen sich seines Erachtens vielmehr gemäß der traditionellen Auslegung dämonische Mächte.
Im zweiten Aufsatz, »Attitudes Toward Seleucid Imperial Hegemony in the Book of Daniel«, argumentiert A. M. D. Beldsoe, dass die Autoren der zweiten Hälfte des Danielbuchs die Daniel-Geschichten überarbeitet haben und eine letztlich positive Haltung zum König Nebukadnezar einnehmen. Durch den impliziten Kontrast zwischen diesem und dem späteren, in ein viel schlimmeres Licht gestellten Seleukiden Antiochus IV. werde der babylonische König geradezu rehabilitiert.
Der dritte Beitrag von N. Sharon, »Between Opposition to the Hasmoneans and Resistance to Rome: The Psalms of Solomon and the Dead Sea Scrolls«, befragt einige frühjüdische Schriften nach ihren jeweiligen Auffassungen zu den Hasmonäern einerseits und zu den Römern andererseits. Sharon kommt zu dem Schluss, dass die Gruppen, die diese Korpora produziert haben, trotz unterschiedlicher Wahrnehmung der Hasmonäer in ihrer Opposition gegen Rom einig waren.
Im vierten Beitrag, »What the Apostels Did Not See«, fragt M. Novenson, warum die neutestamentlichen Autoren das Römische Reich so selten erwähnen. Dies sei auf eine gewisse Naivität in ihrem Umgang mit Rom zurückzuführen, die wiederum auf mangelnder Interaktion mit höheren Vertretern des Reichs basierte. Die Vertreter des Reiches hätten sich ihrerseits nicht sonderlich für die Christen interessiert. Deswegen hätten die Apostel einen Konflikt mit Rom nicht für unausweichlich gehalten.
Im fünften Aufsatz, »Methodological Considerations for the Search of Counter-Imperial ›Echoes‹ in Paul« (sic), fragt Chr. Heilig nach der Möglichkeit einer methodischen Absicherung der Identifizierung von anti-römischen Anspielungen bei Paulus. R. Hays’ Kriterien zur Bestimmung von »echoes« bieten seines Erachtens keine zuverlässige Hilfe. Erstens seien sie keine Kriterien im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr Ableitungsrichtlinien. Zweitens ließen sie sich wissenschaftsphilosophisch in dieser Vielfalt nicht belegen. Bayes Theorie zur Plausibilitätsbestimmung von Thesen leiste in dieser Hinsicht einen besseren Dienst.
Der sechste Beitrag, »Thwarting the Enemies of God: Contrasting the Death of Herod and the Resurrection of Jesus in Luke-Acts«, stammt von A. P. Thompson und argumentiert, dass 1. die drei Herodianer im lukanischen Doppelwerk als ein einziger literarischer Kontrahent fungieren und 2. der Tod von Herodes Agrippa I. in Apg 12,20 ff. deswegen als Kontrast zur Auferstehung Jesu sowie als abschließendes politisches und eschatologisches Urteil über die Herodianer diene.
D. Starling untersucht im siebten Beitrag, »›She Who Is in Babylon‹: 1 Peter and the Hermeneutics of Empire«, die Interaktion von Furcht, Ehre und Gönnerschaft in der Erfahrungswelt der Erstleser des 1. Petrusbriefs. Der Autor habe den Topos »Furcht« durch Aufnahme alttestamentlicher Motive zuerst de- und dann rekonstruiert. Dabei seien sowohl »socially conformist« als auch »socially resistant« Dimensionen des Umgangs mit dem Imperium gefördert worden.
Der achte Aufsatz von B. Walker, »The Forgotten Kingdom: Miracle, the Memory of Jesus, and Counter-Ideology to the Roman Empire«, setzt sich mit der Frage auseinander, warum die starke Verbindung, die Jesus zwischen seiner Verkündigung des Reiches Gottes und seinen Wundern herstellt, von der frühen Kirche im späten 1. sowie im 2. Jh. kaum beachtet wurde. Walker sieht die Ursachen u. a. in der Notwendigkeit einer Neuorientierung auf eine mehrheitlich heidnische Mitgliedschaft sowie die Gestaltung einer Alltagsethik und in einer stärkeren Betonung der Gegenwart des Reiches.
Im neunten Beitrag, »Resisting Empire in Early Christian Martyrdom Liter­ature«, untersucht C. R. Moss die frühchristliche Märtyrerliteratur im Blick auf ihre rhetorischen Strategien im Umgang mit dem Imperium. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Erzählungen für die Märtyrer typisch römische Tugenden wie Maskulinität, Frömmigkeit und Selbstbeherrschung beanspruchten und somit implizit die Überlegenheit des Reiches Christi behaupteten.
Der zehnte und letzte Aufsatz von B. Hodkin, »Theologies of Resistance: A Re-examination of Rabbinic Traditions about Rome«, fasst die Mischna und die Talmudim als Widerstandsliteratur auf. Dabei bedient sich Hodkin der inzwischen bekannten These von J. Scott, wonach Widerstandsmomente in Form von »hidden transcripts« in Texten rezipiert werden können.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Beiträge in diesem Band, wie in den meisten Sammelbänden von Kolloquiums- oder Konferenzbeiträgen, von unterschiedlicher Qualität sind. Dass sich hier vor allem junge Forscher zu Wort melden, hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist die Bereitschaft, neue Themenfelder zu er­schließen sowie neue Ansichten zu vertreten. Ein Nachteil ist der hier und dort bemerkbare Mangel an kritischem Einschätzungsvermögen. M. E. verdienen die Beiträge von Stuckenbruck, Novenson, Heilig, Starling und Moss besondere Beachtung.