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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

584–590

Kategorie:

Literatur- und Forschungsberichte

Autor/Hrsg.:

Christhard Lück

Titel/Untertitel:

Evangelischer Religionsunterricht heute und morgen
Perspektiven von Religionslehrerinnen und -lehrern

Über die Zukunftsfähigkeit des Religionsunterrichts und seine organisatorische und didaktische Gestaltung wird zurzeit leidenschaftlich diskutiert. Auch wenn sich »im Vergleich zu den zum Teil scharfen Auseinandersetzungen im Streit um die Konfessionalität von Religionsunterricht vor allem in den neunziger Jahren die Diskussion um die institutionelle Gestalt des Religionsunterrichts etwas beruhigt hat« (Schweitzer 2013, 54), werden im religionspädagogischen Fachdiskurs sehr unterschiedliche Organisationsmodelle für den Religionsunterricht propagiert. Vor dem Hintergrund tiefgreifender religionssoziologischer und demographischer Veränderungen finden sich befürwortende Stimmen sowohl für (mo­no-)konfessionelle als auch für konfessionell-kooperative, öku-menisch-christliche und interreligiöse Realisierungsformen des Schulfaches Religion (vgl. die prägnante Darstellung der einzelnen Modelle in Grethlein 2005, 131–136). Andere fordern die Redelegation des Religionsunterrichts in den Bereich der Kirche und die Etablierung einer weltanschaulich-neutralen Religionskunde für alle Schülerinnen und Schüler in staatlicher Alleinregie – mit entsprechenden grundgesetzlichen Änderungen. Auch im Hinblick auf die fachdidaktische Form eines zukunftsfähigen Religionsunterrichts werden zahlreiche innovative Ansätze – etwa eine performative, me­dienweltorientierte, kinder- und jugendtheologische, konstruktivistische oder kompetenzorientierte Religionsdidaktik (vgl. dazu Grümme/Lenhard/Pirner 2012) – kontrovers debattiert.
Solche Gestaltungsvorschläge lassen sich wohl nur dann – er­folg­versprechend – umsetzen, wenn sie von den Religionslehrkräften in der Schulpraxis mitgetragen werden. Für die konkrete Gestaltung eines Faches kommt den Wahrnehmungen, Einstellungen und Handlungsoptionen der Unterrichtenden eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu. Wie schätzen Religionslehrerinnen und -lehrer die gegenwärtige Situation des Religionsunterrichts ein? Welche religionsdidaktischen Ziele präferieren sie? Wie ist ihr Verhältnis zur Kirche und zu anderen Bezugsgrößen des Faches Religion? Was halten sie von interkonfessionellen und interreligiösen Kooperationen respektive von einem Religionsunterricht, der Konfessions- oder gar Religionsgrenzen übersteigen will? Diese und ähnliche Fragen standen im Fokus einer umfangreichen Befragung von evangelischen Religionslehrkräften, die 2013 von der rheinischen Landeskirche in Zusammenarbeit mit den Universitäten Wien (Prof. Dr. Martin Rothgangel, Dr. Philipp Klutz) und Wuppertal (Prof. Dr. Christhard Lück) durchgeführt wurde. Als Befragungsinstrumentarium fungierte ein strukturierter Fragebogen, der neben geschlossenen Fragen auch zahlreiche offene Fragestellungen integriert. An der Enquete beteiligten sich 1093 Religionslehrende aller Schulformen im Bereich der gesamten Landeskirche. Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse der quantitativen Teilstudie thesenartig vorgestellt und religionspädagogisch reflektiert.

a) Die Befragten heben die Schülerinnen und Schüler als wichtigste Bezugsgröße des Religionsunterrichts hervor und stellen diese in das Zentrum ihrer religionsdidaktischen Tätigkeit.
In keinem anderen Fragepunkt sind sich die befragten Religionslehrkräfte so sicher und zugleich so einig wie bei der Wichtigkeit der Schülerinnen und Schüler. Diese stellen – mit dem mit Abstand höchsten Mittelwert (M = 4.79; fünfstufige Likert-Skala von 1 »sehr unwichtig« bis 5 »sehr wichtig«) und der geringsten Standardabweichung (SD = 4.80) – die zentrale Bezugsgröße ihrer religionsdidaktischen Tätigkeit dar. Die Lehrenden partizipieren mit dieser Einschätzung an einem breiten Konsens in der gegenwärtigen evangelischen und katholischen Religionspädagogik, nach dem das Fach Religion seine Daseinsberechtigung »weder von der Kirche her noch aufgrund staatlicher Interessen, sondern von den Kindern und Jugendlichen her« ( Schweitzer 2013, 52) gewinnt.

b) Die Befragten orientieren sich in ihrem Denken und Handeln stark an ihrem Gewissen, der Bibel und an ihren eigenen Idealen und Visionen.
Neben der grundlegenden Orientierung an den Schülerinnen und Schülern sind für evangelische Religionslehrkräfte das eigene Gewissen (M = 4.58) und – schon etwas schwächer – die Bibel als Basisdokument des christlichen Glaubens (M = 4.15) besonders wichtig. Die Gewissensfreiheit der Unterrichtenden in ihrem Denken und Handeln und ihre biblische bzw. bekenntnismäßige Bindung werden von der überwiegenden Mehrzahl der Probanden dabei nicht als Gegensätze verstanden, sondern dialogisch-dialektisch aufeinander bezogen. Auch eigene Ideale und Visionen (M = 4.04) und eine Berufung (M = 3.92) sind für sie signifikant wichtiger als die Theologie als Wissenschaft oder staatliche bzw. kirchliche Bezugsgruppen des Faches Religion.

c) Die Befragten unterrichten Schülerinnen und Schüler fast aller Konfessions- und Religionszugehörigkeiten und – in wachsendem Maße – auch solche ohne Mitgliedschaft bei der evangelischen Kirche.
Nach Angaben der Lehrkräfte nehmen am evangelischen Religionsunterricht neben evangelisch-landeskirchlichen (79,1 %) und -freikirchlichen (60,5 %) Schülerinnen und Schülern oftmals auch konfessionslose (69,9 %) Kinder und Jugendliche teil. Das Fach wird zudem nicht selten von muslimischen (47,9 %), römisch-katholischen (36,8 %), orthodoxen (27,6 %) sowie von alevitischen (15,9 %), buddhistischen (10,1 %), jüdischen (9,7 %) und jesidischen (6,6 %) Schulkindern besucht. Diese Zahlen illustrieren, dass sich die Schülerzusammensetzungen im evangelischen Religionsunterricht – insbesondere im nicht-gymnasialen Bereich – pluralisiert haben. In zahlreichen Religionsgruppen weist ein beträchtlicher Anteil der Schülerschaft keine Mitgliedschaft bei der evangelischen Kirche auf. Eine evangelische Religionsdidaktik kann sich vor diesem Hintergrund nicht auf Bildungsangebote für evangelisch getaufte Heranwachsende begrenzen.

d) Die Befragten taxieren die Bedeutung des Religionsunterrichts für die eigene Schule durchschnittlich als »eher hoch« bzw. »eher niedrig«. Aus ihrer Sicht variieren die Möglichkeits- und Rahmenbedingungen für das Fach Religion an den verschiedenen Schulformen mitunter erheblich.
Die Befragten wurden gebeten, die Bedeutung des Faches Religion für die eigene Schule auf einer Skala von 1–6 (1 = »keine Bedeutung«, 6 = »sehr hohe Bedeutung«) einzuschätzen. Der errechnete Mittelwert (M = 3.70) und die hohe Standardabweichung (SD = 1.30) verdeutlichen, dass das Ansehen des Religionsunterrichts an den Schulen stark divergiert. Erachten 54,4 % der Befragten die Bedeutung des Faches als »sehr hoch« (9,2 %), »hoch« (20,2 %) oder »eher hoch« (25,0 %), schätzen sie 42,8 % als »eher niedrig« (25,3 %) oder »niedrig« (17,5 %) ein. 2,8 % messen dem Religionsunterricht überhaupt »keine Bedeutung« für die eigene Schule zu. Nach Einschätzung der Lehrkräfte verfügt der Religionsunterricht über eine recht hohe Reputation an Grund- (M = 3.94) und Förderschulen (M = 3.87). Merklich schwächer ist sein Renommee im Durchschnitt an Gesamt- (M = 3.43) und Hauptschulen (M = 3.17). Diese schulformspezifischen Differenzen schließen nicht aus, dass sich die Rahmenbedingungen des evangelischen Religionsunterrichts an ein und derselben Schulform mitunter sehr unterschiedlich darstellen. Es gibt nicht den Religionsunterricht, sondern immer nur verschiedene Religionsunterrichte »im Plural«.

e) Die Befragten bewerten Bezugsinstanzen aus dem Bereich der institutionalisierten Kirche und der lokalen Kirchengemeinde alles andere als einheitlich. Sie weisen mehrheitlich gleichwohl ein offenes und entspanntes Verhältnis zur evangelischen Kirche auf.
Jeweils über zwei Drittel der Unterrichtenden halten die Vokation und die Bindung an eine Kirchengemeinde für »sehr wichtig«, »wichtig« oder zumindest »teils wichtig«. Lehrkräfte der beiden jüngsten Alterskohorten erachten die vocatio dabei tendenziell für noch wichtiger als Lehrkräfte der älteren Alterskohorten. Dieses Ergebnis deutet im Vergleich zu Forschungsbefunden aus den 1970er und 1980er Jahren, die eine deutliche Kirchenferne der protestantischen Religionslehrerschaft konstatierten, auf ein mehrheitlich offenes und symbiotisch-entspanntes Verhältnis der Befragten zur evangelischen Kirche hin. Freilich ist nicht zu übersehen, dass mehr als jede zehnte Lehrkraft die genannten Aspekte als »gar nicht wichtig« einstuft.

f) Die Befragten kooperieren in unterschiedlich starkem Maße mit den Kirchengemeinden vor Ort. Besonders häufig engagieren sie sich bei der Planung und Feier von (ökumenischen) Schulgottesdiensten.
An vielen Schulen im Einzugsgebiet der rheinischen Landeskirche finden nach Auskunft der Befragten regelmäßig Gottesdienste zu schulischen Anlässen (z. B. Einschulung, Schulabschluss) statt (59,1 %). Thematische sowie kirchenjahresbezogene Schulgottesdienste werden an zahlreichen Schulen zudem zu christlichen Festen (z. B. Weihnachten, Buß- und Bettag) kontinuierlich gefeiert (43,2 %). Schon seltener sind – gelegentliche – Schulgottesdienste zu anderen Zeitpunkten respektive Anlässen (26,3 %). Auch wöchentliche Andachten (6,5 %) finden im Schulleben vereinzelt statt. Lediglich 10,2 % der Befragten konstatieren, dass es an ihrer Schule eine entsprechende Gottesdienstpraxis nicht gibt. Hier liegt ein bedeutender Unterschied zur niedersächsischen Religionslehrerbefragung von 2001 vor, bei der fast die Hälfte (49,8 %) der Befragten gottesdienstliche Formen an ihrer Schule verneinte (vgl. Feige/Tzscheetzsch 2005, 72). Offenbar entdecken immer mehr Verantwortliche an den Lernorten Schule und Kirche die großen Chancen, die in diesem multiperspektivischen liturgischen Handlungsfeld (nicht nur) für die Förderung religiöser Lernprozesse bei Schülerinnen und Schülern liegen (vgl. dazu Schröder 1999).

g) Die Befragten erachten eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Zielvorstellungen für wichtig, die in einem pluralen respektive säkularen Gesellschafts- und Schulkontext als komplementäre Aufgabenstellungen religiösen Lernens verstanden werden.
Die meisten Lehrenden wollen »den christlichen Glauben mit menschlichen Fragen und Erfahrungen in Beziehung setzen« (M = 4.38; 87,9 %) sowie »über Themen sprechen, die Kinder/Jugendliche wirklich etwas angehen« (M = 4.36; 87,2 %). Angestrebt wird ein schüler- und sachadäquater Religionsunterricht, der die Erfahrungen und Fragen Heranwachsender fundamental berücksichtigt und ihnen zugleich »Orientierungen zu einer Identitätsfindung« (M = 4.32; 85,4 %) aus dem christlichen Glauben heraus offeriert. Besonders wichtig ist den Befragten, die Schülerinnen und Schüler als mündige Subjekte schulisch-religiösen Lernens wahr- und ernst zu nehmen. Diese sollen sich im Fach Religion demnach, in guter protestantischer Tradition, »ein eigenständiges religiöses Urteil bilden« (M = 4.32; 84,6 %). Von allen Zielvariablen stimmen hier die meisten Probanden in der höchsten Antwortkategorie (5 = »vorrangig«; 59,7 %) zu. Auch interreligiöse Zieloptionen (»Andersdenkende und -gläubige tolerieren lernen«; M = 4.30; 84,7 %; »Offenheit gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen fördern«; M = 4.24; 83,2 %) stehen bei den Befragten hoch im Kurs. Schon schwächer ist die Zustimmung zu interkonfessionellen Zielen (»die Offenheit gegenüber Christ/innen anderer Konfessionen fördern«; M = 3.80, »ökumenische [ev./kath.] Dialogfähigkeit anbahnen«; M = 3.70), die knapp zwei Drittel für bedeutsam erachten. Ungleich stärker werden religionspädagogische bzw. christlich-religiöse (»mit Leben und Wirken Jesu bekannt machen«, 83,3 %; »ein positives Gottesbild aufbauen«, 81,3 %; »christliche Religion verstehen«, 80,4 %) und ethisch-gesellschaftspolitische Ziele (»allgemeine Wertvorstellungen vermitteln«, 80,4 %; »gegen Ungerechtigkeiten in der Welt eintreten«, 74,1 %) befürwortet. Kinder und Jugendliche sollen im Religionsunterricht nicht nur Kenntnisse über andere Religionen, sondern auch über die (eigene) christliche Religion erlangen und über diese vertieft nachdenken. Zugleich wird die – christlich motivierte – Wertevermittlung als eine wichtige Aufgabe des Religionsunterrichts herausgestellt. Mehrheitlich stimmen die Befragten darüber hinaus der performativen Zielvariablen »Religion mit allen Sinnen entdecken« (M = 3.63; 55,7 %) zu. Mehr als ein Viertel (26,7 %) befürwortet dieses Item sogar in der höchsten Zustimmungskategorie. Offenkundig hat die Diskussion um den performativen Religionsunterricht als einen Unterricht, der sich selbst die Erlebensvoraussetzungen von Religion verschaffen will, die er für seine Reflexion braucht (vgl. dazu Klie/Leonhard 2008), die Unterrichtspraxis längst erreicht.
Legt man die Ergebnisse einer Faktorenanalyse zugrunde, stellen die Befragten summa summarum vier Zieldimensionen für einen Religionsunterricht im 21. Jh. als zentral heraus: Anleitung zu Toleranz, Empathie und Offenheit in weltanschaulichen und religiösen Fragen (M = 4.06), Förderung der Theologie der Schülerinnen und Schüler (M = 4.03), Suche nach Gott im eigenen (Glaubens-)Leben bzw. Alltag (M = 4.00) und Einführung in die eigene Religion und in andere Religionen und Weltanschauungen (M = 3.94). Ziele, die in der religionspädagogischen Fachdiskussion bisweilen als konträre Zieldimensionen eingestuft werden, widersprechen sich in den Beurteilungen von Religionslehrpersonen in der Regel nicht.

h) Die Befragten stehen mit ihren katholischen Fachkolleginnen und -kollegen oftmals in einem starken Beziehungszusammenhang und Kommunikationsaustausch.
Vielfach genutzte Kooperationsformen sind der Austausch von Unterrichtsideen (61,7 %), die Planung und Durchführung ökumenischer Schulgottesdienste (60,1 %), die wechselseitige Verwendung von Arbeitsmaterialien und Schulbüchern (55,4 %) sowie konkrete thematische Absprachen zwischen Lehrkräften (45,2 %). Kooperationen im Unterricht selbst, wie die Durchführung gemeinsamer, zeitlich begrenzter Unterrichtsphasen (18,0 %) oder die Einladung der katholischen Fachkollegen in den evangelischen Religionsunterricht (11,0 %), werden deutlich seltener realisiert. Dies spricht für einen erheblichen Fortbildungsbedarf in Planung und Durchführung kooperativer Unterrichtselemente, die eine forcierte Entwicklung gemeinsamer Unterrichtsmaterialien sowie die schulformbezogene Erarbeitung einer konfessionell-kooperativen Religionsdidaktik, aber auch die Schaffung entsprechender or­ganisatorischer und räumlicher Möglichkeiten vor Ort implizieren. Ausbaufähig und -bedürftig sind zudem die Kooperationen mit den anderen Pa-rallelfächern Philosophie/Ethik und islamische Religion.

i) Die Befragten unterstützen mehrheitlich die Beibehaltung des Konfessionalitätsprinzips bei gleichzeitiger Forderung nach einer deutlichen Verstärkung ökumenischen und interreligiösen Lernens.
Von allen Zukunftsszenarien schulisch-religiösen Lernens sprechen sich die Probanden am stärksten für die flächendeckende Einführung eines obligatorischen Ethik- bzw. Philosophieunterrichts für nicht am Religionsunterricht teilnehmende Schüler aus (81,1 %). Trotz des weitgehenden Ausfalls einer familiären und gemeindlichen religiösen Sozialisation verstehen sie sich in ihrer überwiegenden Mehrzahl nicht als Missionare in einem säkularen Schulumfeld (9,1 %). Sie votieren im Gegenteil für eine deutliche Verstärkung ökumenischen (70,8 %) und interreligiösen (54,8 %) Lernens und für entsprechende institutionell verbindliche Kooperationen. Die konfessionellen Wurzeln des Religionsunterrichts werden von den Befragten überwiegend bejaht (57,6 %). Jeder zweite Antwortende (50,2 %) kann sich zugleich die religiöse Unterweisung von Schülerinnen und Schülern verschiedener christlicher Konfessionen in ökumenischer Zusammenarbeit grundsätzlich vorstellen. Offenbar unterstützen die Religionslehrkräfte in ihrer Gesamtheit mehrheitlich die für das konfessionelle Modell charakteristische »Option, eine bestimmte religiöse Tradition (die im katholischen oder evangelischen Religionsunterricht eben eine andere ist als im jüdischen oder muslimischen) als wesentliche Ressource für die Anregung religiöser Bildungsprozesse zu begreifen« ( Englert 2013, 25). Gleichzeitig wollen sie sich auf die religiös zunehmend plurale Schülerschaft bewusst einstellen und plädieren daher für eine weitreichende Öffnung des Religionsunterrichts, insbesondere auf Seiten der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler.

j) Die Befragten verorten den Religionsunterricht überwiegend jenseits der Skylla konfessionalistischer Enge und der Charybdis eines Religionskundeunterrichts für alle in staatlicher Alleinregie.
Am stärksten stimmen sie einem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht (33,0 %) und einem nach Konfessionen ge­trennten Religionsunterricht (31,1 %) zu. Rechnet man die 11,2 % der Lehrenden hinzu, die sich für eine Fächergruppe mit verbindlichen Kooperationsphasen zwischen evangelischer, katholischer und islamischer Religion sowie Philosophie/Ethik aussprechen, plädieren mehr als drei Viertel für einen Religionsunterricht in konfessioneller Bindung und Prägung. Fast jeder fünfte Befragte (19,2 %) spricht sich für das weitergehende Modell eines interreligiösen Religionsunterrichts in kooperativer Verantwortung und Durchführung aus. Ein allgemeiner Religionsunterricht ohne Anbindung an irgendeine Kirche oder Religionsgemeinschaft verfügt über eine deutlich geringere Anhängerschaft (4,9 %). Anders als zuweilen behauptet, tritt für eine sogenannte »(Selbst-)LERisierung« des Faches Religion nur eine Minorität der Befragten ein. Fast jeder Vierte setzt sich gleichwohl für nicht-konfessionelle Formen schulisch-religiösen Lernens ein.

k) Die Befragten liegen in ihren Beurteilungs- und Erfahrungsvoten über Alters- und Geschlechtsgruppen hinweg oftmals erstaunlich dicht beieinander. Zugleich sind deutliche schulformbezogene Unterschiede in ihren Situationswahrnehmungen, Einstellungen und Präferenzen nicht zu übersehen.
Zu den auffälligsten Ergebnissen der quantitativen Teilstudie gehört, dass rheinische Religionslehrkräfte über Alters- und Geschlechtsgruppen hinweg im Durchschnitt auffallend homogen urteilen. An manchen Stellen dennoch eruierte geschlechtsbezogene Differenzen werden oftmals von Schulformeffekten überlagert. Dieser Befund korrespondiert mit Befragungsergebnissen frühe-rer empirisch-religionspädagogischer Studien, die ebenfalls »eine außerordentlich hohe Meinungshomogenität [der Religionslehrerschaft; C. L.] im Blick auf die zahlreichen Einzelfragen« ( Feige/ Tzscheetzsch 2005, 11) ausfindig machten. Markante Abweichungen in häufig statistisch bedeutsamer Größenordnung waren hingegen beim Merkmal »Schulform« zu konstatieren. Diese verdeutlichen, dass Religionslehrkräfte, die an unterschiedlichen Schulformen unterrichten, in ihren Einstellungen und Präferenzen – z. B. bei den religionsdidaktischen Zielvorstellungen und den zentralen Bezugsgrößen des Religionsunterrichts – zum Teil erheblich dif-ferieren. Auch die Rahmen- und Möglichkeitsbedingungen des Faches Religion stellen sich an den einzelnen Schulformen oftmals recht unterschiedlich dar.

l) Die Befragten wünschen sich eine stärkere Unterstützung durch staatliche und kirchliche Stellen im Hinblick auf die Durchführung und Sicherstellung des Religionsunterrichts. Sie machen auf die hohe Bedeutung außerschulischer Bezugsgruppen aus dem Bereich des Staates und der Kirche (res mixta) für die Reputation des Religionsunterrichts an den einzelnen Schulen dezidiert aufmerksam.
In den Wahrnehmungskategorien der Lehrkräfte ist es wichtig, dass staatliche und kirchliche Stellen hinter dem (eigenen) Religionsunterricht stehen. Darüber hinaus sind aus ihrer Sicht die lokalen Kirchengemeinden und ihre Repräsentanten sowie das Angebot von christlich-religiösen Praxisformen im Schulleben (z. B. Schulgottesdienste) von erheblicher Bedeutung. Das persönliche Engagement der Religionslehrkräfte ist für das Ansehen des Faches Religion an den Schulen ebenfalls nicht zu vernachlässigen. Es wird von den Befragten im Vergleich zu den vorgenannten Aspekten regressionsanalytisch aber als weniger wichtig eingeschätzt. Da­durch wird auch »der Irrtum ausgeschlossen, die Zukunft des Religionsunterrichts liege einfach nur auf den Schultern der Lehrkräfte und hänge allein von deren – hoffentlich vermehrter – Anstrengung ab« (Schweitzer 2013, 17).

Fazit

Die Befunde zeichnen insgesamt das Bild einer mehrheitlich hoch motivierten, selbstbewussten evangelischen Religionslehrerschaft. Diese begreift den Religionsunterricht als große Chance für heutige Kinder und Jugendliche und als wichtiges schulisches Bildungsangebot, das grundlegende Beiträge zu ihrer religiösen Orientierung, Persönlichkeitsbildung und Pluralitätsfähigkeit leistet. Die Befragten bekräftigen in Anbetracht dessen die Bedeutung eines seiner konfessionellen Bindung treu bleibenden, ökumenisch und interreligiös geöffneten Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, der durch andere auf Religion und Werte bezogene Fächer zwar ergänzt, aber nicht substituiert werden kann. Insgesamt wünschen sich die Religionslehrenden von den Kirchen die Freiheit, in religionspädagogischer Eigenverantwortung vor Ort selbst entscheiden zu können, welche Form von Religionsunterricht an ihrer Schule jeweils die geeignetste ist. Dass sie bei diesem Entscheidungsprozess das Kind nicht mit dem Bade ausschütten (wollen), sondern mehrheitlich hinter dem kirchlich mit-verantworteten Religionsunterricht des Grundgesetzes stehen, kommt in der Umfrage eindrücklich zum Ausdruck. Mit ihren Voten haben rheinische Religionslehrkräfte »den Bummelzug kirchenamtlicher Absprachen« (Günter Böhm) im Hinblick auf den Religionsunterricht zugleich längst überholt. Institutionell verbindliche Kooperationen auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben, ist fahrlässig und wird auch der Sache des Religionsunterrichts weder theologisch noch pädagogisch gerecht. Erfreulicherweise öffnen sich angesichts der Unterrichtsrealität die katholischen Bischöfe mittlerweile zumindest dem Anliegen eines (begrenzten) konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts. In ihrer Verlautbarung »Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen« wird die »phasenweise und didaktisch reflektierte Kooperation mit dem evangelischen Religionsunterricht« etwa als möglicher »Gewinn für beide Unterrichtsfächer« (2005, 11) bezeichnet. Der nächste aus didaktischer und organisatorischer Sicht wichtige Schritt ist dann – wie von der neuen EKD-Denkschrift »Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule« (2014) zu Recht hervorgehoben wird – die Integration auch andersreligiöser Kinder und Jugendlicher.

Literatur

Englert, Rudolf (2013), Warum kein Religionsunterricht für alle? Der besondere Reiz des konfessionellen Modells, in: HerKorr 67 (2013) Spezial 2, 23–27.

Feige, Andreas/Tzscheetzsch, Werner (2005), Christlicher Religionsunterricht im religionsneutralen Staat? Unterrichtliche Zielvorstellungen und religiöses Selbstverständnis von evangelischen und katholischen Religionslehrerinnen und -lehrern in Baden-Württemberg, Ostfildern.

Grethlein, Christian (2005), Fachdidaktik Religion. Evangelischer Religionsunterricht in Studium und Praxis, Göttingen (rez. in ThLZ 131 [2006], 1058).

Grümme, Bernhard/Lenhard, Hartmut/Pirner, Manfred (Hrsg.) (2012), Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik (Religionspädagogik innovativ. Empirisch – theoretisch – praktisch), Band 1, Stuttgart (rez. in ThLZ 138 [2013], 1413).

Kirchenamt der EKD (Hrsg.) (2014), Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule, Gütersloh.

Klie, Thomas/Leonhard, Silke (Hrsg.) (2008), Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, Stuttgart (rez. in ThLZ 134 [2009], 1391).

Schröder, Bernd (1999), Schulgottesdienst – ein vernachlässigtes liturgisches Handlungsfeld in multiperspektivischer Betrachtung, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 38 (1999), 99–124.

Schweitzer, Friedrich (2013), Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Zur aktuellen Diskussion in der evangelischen Religionspädagogik, in: HerKorr 67 (2013) Spezial 2, 52–56.

Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.) (2005), Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen (Die deutschen Bischöfe; 80), Bonn.