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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

781–783

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Berger, Peter L.

Titel/Untertitel:

Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung. Aus dem Amerik. von J. Kalka.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1998. XXI, 279 S. 8. Kart. DM 38,-. ISBN 3-11-015561-3.

Rezensent:

Gerhard Marcel Martin

Humor, Witz und das Komische beschäftigen den Soziologen und Lutheraner P. L. Berger geradezu lebenslänglich. In den Büchern "The Precarious Vision" (1961) und "Auf den Spuren der Engel" (1970) taucht der Themenkomplex an exponierten Stellen auf und wird nun souverän im Dialog mit Psychologie, Philosophie, Literaturwissenschaft und Theologie in einer Monographie entfaltet. Dabei zeichnet sich das Fachkapitel des Soziologen ("Homo ridiculus: Gesellschaftliche Konstruktionen des Komischen") im Teil I, in dem es um die Phänomenologie des Komischen aus der Sicht verschiedener Wissenschaften geht, durch Dichte und Vollständigkeit, aber auch durch eine gewisse Brillanzlosigkeit aus.

Das Werk ist ein Kompendium von Theorieansätzen, zugleich aber von Materialien (bes. aus der Literatur), in denen das Phänomen des Komischen zur Anschauung kommt, aber es birgt auch eine deftige Sammlung einschlägigster Witze verschiedenster Provenienz. Das weit fachübergreifende Buch des Fachgelehrten leistet sich Subjektivität, kleine historische Exkurse (etwa über wandernde Narren) und "Intermezzi" (etwa über Taoismus und Zen [47 ff.] und über spezifisch jüdischen Humor [103 ff.]. Dabei ist der rote Faden nie außer Sichtweite. In der Thematisierung des Komischen geht es um die Wahrnehmung von Widersprüchlichkeit (incongruity) en gros und en detail. Gewährsleute, die den Autor durch das ganze Buch begleiten, sind A. Schütz, J. Huizinga und A. Zijderveld.

Der erste und der dritte (theologische und kürzere) Teil des Buches sind dicht und intensiv; der mittlere mehr als ein Drittel des Gesamtumfangs beanspruchende Teil, der sich mit Ausdrucksformen des Komischen im gutmütigen Humor, in der Tragikomik, im Jeux d’Esprit und in der Satire befaßt, ist eher extensiv. Hier werden die Themen am Material mehr oder weniger bekannter Erzähler, Komiker und Operettenmeister (F. Léhar) entfaltet. Davon mag manches den anglo-amerikanischen Lebensraum kaum verlassen haben; aber Scholem Alejchem, Oscar Wilde und Karl Kraus sind mit von der Partie- der letztere unter überraschend kritischem Blickwinkel (189 ff.).

Eine deutliche Fokussierung, in der auch eine einschränkende Begrenzung des Gesamtansatzes liegt, besteht in der Thematisierung des Komischen als Form der Wahrnehmung (und nicht in bestimmten Handlungsbereichen), wobei die Wahrnehmung noch einmal stark kognitiv zentriert ist und Körperphänomene - etwa die Physiologie des Lachens - so gut wie ausgeklammert bleiben. Entsprechend hat der Autor bei einer respektablen Weite des Einbezugs auch neuerer und auch spezifisch theologischer Literatur Publikationen zur Lachtherapie nicht in den Blick genommen.

Zuletzt zum Teil III ("Auf dem Weg zu einer Theologie des Komischen"): Berger geht es um Signale von Transzendenz auf der Basis der Behauptung, daß "der Glaube ... die Empirie in Frage (stellt) und bestreitet, daß sie wesentlich ernsthaft ist. Darin ist er meta-empirisch. Er stellt uns nicht eine Illusion, aber eine Vision einer Welt vor Augen, die unendlich wirklicher ist als alle Wirklichkeit dieser Welt" (248). Im Glauben kehrt sich für B. - mit dem Vokabular A. Schütz’ formuliert - das Verhältnis von "dominanter Wirklichkeit" und daneben liegenden begrenzten Sinnbereichen (finite provinces of meaning) damit um. Dieser Perspektivenwechsel hat erlösende Wirkung, die Berger eschatologisch perspektiviert hält, aber auch für die Gegenwart nicht unwirksam sein lassen will.

Wie weit B. mit dieser Endpointe, bei der er sich immerhin im konstruktiven Gespräch u. a. mit H. Thielicke, R. Niebuhr und W. Pannenberg weiß, ein "Lutheraner recht heterodoxer Art" (XIII) ist, mag offen bleiben. Die Opposition von absoluter und kontingenter Realität (230), die Bemühung der Kategorie des "Sprungs" in den Glauben bzw. des Glaubens, die Hierarchisierung von Wirklichkeiten und Wirklichkeitserfahrungen überhaupt und die geringe Berücksichtigung von äußeren Handlungszusammenhängen und Körperphänomenen- all dies jedenfalls hat die Orthodoxie und die Selbstverständlichkeit des modernen Protestantismus noch nicht verlassen. Post-modern würde eine auch theologisch zu reflektierende Phänomenologie des Lachens erst dort einsetzen, wo die Widersprüche auf weite Sicht und feldartig nebeneinander stehenblieben und ihre empirische und meta-empirische Gültigkeit und Unausweichlichkeit behielten: "Die Welt ist herrlich - die Welt ist schrecklich. Es kann mir nichts geschehen - Ich bin in größter Gefahr" (H. Gollwitzer).

Die Gleichzeitigkeit und Gleich-Gültigkeit solcher Doppelsätze steht gegen den von B. existentialphilosophisch favorisierten ur-mütterlichen Satz: " ... es ist alles gut" (vgl. 249 ff.).