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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

780 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Baert, Edward

Titel/Untertitel:

Aufstieg und Untergang der Ontologie. Descartes und die nachthomasische Philosophie.

Verlag:

Osnabrück: Rasch 1997. 206 S. gr.8 = Osnabrücker Philosophische Schriften, Reihe A, 2. ISBN 3-932147-06-5.

Rezensent:

Michael Wladika

Dieses Buch macht den Versuch, ein Kapitel spätmittelalterlicher Philosophie- und Theologiegeschichte in seiner Notwendigkeit und Bedeutung nachzudenken. Der Versuch ist hervorragend gelungen. Der Leser wird nicht nur reich belehrt, sondern in die dargestellte gedankliche Bewegung hineinversetzt. In der Besprechung trenne ich der Deutlichkeit wegen Thema, Gedankengang und Vorgangsweise.

1. Das Thema: Das Thema wird nicht aus dem Haupt-, sondern aus dem Untertitel ersichtlich. Bei Aufstieg und Untergang der Ontologie vermutet man ein Ansetzen etwa bei Parmenides, ein Schließen unmittelbar vor Kant. Hier aber geht es um Descartes und die nachthomasische Philosophie, vornehmlich um die letztere. Descartes steht nicht so sehr im Zentrum; das Hauptgewicht liegt auf Denkern zwischen Thomas und Descartes. Es soll gezeigt werden, daß diese Denker eine in sich geschlossene Entwicklung darstellen. Das impliziert, daß Heinrich von Gent, mit dem begonnen wird, ein Anfang, Descartes, mit dem aufgehört wird, ein Abschluß ist. Eine Aufgabe der vorliegenden Arbeit ist es, Heinrich von Gent als denjenigen zu erweisen, der nach Thomas einen entscheidenden Neuanfang setzt. Descartes gilt allgemein als Anfang. In der "Vorbemerkung" heißt es dazu: "Hier werde gezeigt: weshalb Descartes zum einen auf keinen Rückgriff angewiesen war, zum anderen welche Vorarbeit die nachthomasische Philosophie geleistet hat: das Hervortreiben des ontologisch bestimmten Seienden oder der ,gefestigten Sache’. Genau diese Sache tilgt Descartes." (8) Man kann sich in der Kürze nicht besser zu dem umstrittenen Verhältnis zwischen neuzeitlicher und mittelalterlicher Philosophie, wie wir es in Descartes in individuo vor uns haben, äußern.

2. Der Gedankengang: Es werden vier Denker gründlich behandelt: Heinrich von Gent, Duns Scotus, Suárez und Descartes. Diese vier kommen der Anzahl der Teile des Buches entsprechend je dreimal vor: Im ersten Teil, "Die Erörterung der distinctiones", werden Formen des Unterschieds auseinander entwickelt, die bei Heinrich, Duns Scotus und Suárez auftreten. Der Anschluß der distinctio realis des Descartes scheint innerhalb dieser Reihe am wenigsten gelungen; es wundert auch, daß die wichtigste Stelle zum Unterschied im cartesischen Werk (Principia Philosophiae, I, § 60-62) nicht angeführt wird. Im zweiten Teil geht es um "die Bestimmung der Idee", im dritten um Gotteserkenntnis und Gottesbeweise in den genannten Systemen.

Der Autor zeigt nun durchgehend, daß der gegenständliche Abschnitt der Geschichte der Philosophie das Auftreten sowie die Verfestigung des ontologisch bestimmten Seienden bedeutet. ,Ontologisch bestimmtes Seiendes’ heißt hier: Das Seiende, welches seiner essentia nach von sich her ist, was es ist, somit nicht mehr (wie bei Thomas) vollständig theologisch bestimmt ist. Resultat der spätmittelalterlichen Ablösungsbewegung des Seienden von Gott ist die in sich ,gefestigte Sache’ (ens firmum). Diese Sache "bestätigt sozusagen sich selbst" (75). Es ergibt sich ein Seiendes, welches sein Wesen nicht in Gottes Wissen um es hat, es ergibt sich ein Gott, der die Sache in ihrem Wesen hinzunehmen hat. Mit diesem Hinnehmen, das bei Heinrich von Gent beginnt, sich bei Duns Scotus fortsetzt und bei Suárez vollendet, macht Descartes Schluß. Der Gott, der aus dem ,Ich denke’ heraus bewiesen wird, kann kein hinnehmender sein. Schon das cartesische Ich nimmt nichts mehr einfach hin.

Die ontologische Bestimmung des Seienden hat weitere theologische Implikationen: "Auch Gott ist ontologisch bestimmt, eine Sache, die von sich her ist, was sie ist" (136 f.). Auch greift die ontologische Bestimmung des Seienden in die Trinitätslehre ein; der Bezug zu dieser wird immer wieder hergestellt. Es scheint so zu sein, daß - an manchen Stellen jedenfalls - die Ontologie aus ontologischen Gründen trinitarisch wird.

3. Die Vorgangsweise: Den Autor "drängt’s [offenbar], den Grundtext [bzw. die Grundtexte] aufzuschlagen". Das ist sehr lobenswert; man findet sehr wenige Zitate aus Quintärliteratur. Und Baert schlägt die Grundtexte nicht nur auf, er läßt sie aufgeschlagen, wendet den Blick und den Gedanken nicht von ihnen weg. Manches macht den Eindruck eines Nachmeditierens. Er hält sich, schon von der Ausdrucksweise her, eng an die betrachteten Texte. Er stellt auch Fragen, viele sogar. Aber er beantwortet sie so weit, so weit sie aus den zu behandelnden Texten selbst beantwortbar sind. Eine Wohltat in sog. kritischer Zeit!

Die sog. Spätscholastiker sind nicht nur Fachleute für Spitzfindigkeiten, das zeigt er. Auch wird die Oberflächlichkeit des Geredes von Meinungsverschiedenheiten, Schulstreitigkeiten und dergleichen deutlich. Wir wollen uns am Gedanken und seiner Bewegung festhalten und nicht an Vorstellungen, die uns aus doxographischer sowie allgemein kulturgeschichtlicher Überlieferung zugewachsen sind. - Es war B.s Ziel, "sogar in einer, wie es scheint, unergiebigen Geschichtsphase ihre Vernunft heraus[zu]hören" (7). Er hat sie in vielen Momenten herausgehört. Und es zeigt sich: Die gewählte Geschichtsphase ist so unergiebig nicht.