Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/1999

Spalte:

302–304

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Haese, Ute

Titel/Untertitel:

Katholische Kirche in der DDR. Geschichte einer politischen Abstinenz.

Verlag:

Düsseldorf: Patmos 1998. 240 S. Lw. DM 49,80. ISBN 3-491-72381-7.

Rezensent:

Bernd Schäfer

Die Studie der Kieler Politologin Ute Haese, über weite Strekken eine textexegetische Erörterung von tatsächlichen oder vermeintlichen "amtskirchlichen" Äußerungen, ist eine Untersuchung zum kirchenpolitischen Kurs der katholischen Kirche in der DDR. Es handelt sich nicht um eine Analyse des Staat-Kirche-Verhältnisses, wie es der Untertitel nahelegt. Die für die Rolle der Kirchen verantwortliche Politik der SED taucht in der Argumentation nur als Hintergrundfolie auf.

In einem ersten Kapitel stellt H. zunächst "Grundlagen" des kirchenpolitischen Kurses der katholischen Kirche dar, nämlich die kirchliche Definition des "atheistischen Weltanschauungsstaates" und die daraus abgeleitete Strategie der kirchlichen "strukturellen Selbstbehauptung und Wahrung der Identität". Danach beschäftigt sich die Autorin ausführlich mit den von ihr so bezeichneten "Auswirkungen". Die "kirchenpolitischen Grundsätze der katholischen Kirche" werden mit "Zustimmung zur Trennung von Staat und Kirche", "politischer Abstinenz" und der Unterscheidung zwischen "Faktizität und Legitimität des Staates" benannt (letztgenannter "Grundsatz" war jedoch nur eine private Konstruktion des Berliner Prälaten Gerhard Lange). Diesen Abschnitten folgt eine längere Abhandlung über die Menschenrechte und die defizitären, weil bis zum Herbst 1989 sich fast ausschließlich auf Glaubens- und Gewissensfreiheit beschränkenden öffentlichen Äußerungen von bischöflicher Seite. Die wenigen nicht in dieses Schema passenden Hirtenbriefe der Ordinarien- bzw. Bischofskonferenz vom November 1974 und März 1981, deren Verlesung der Staatssekretär für Kirchenfragen unter massiven Drohungen erfolglos verbot, werden dagegen nicht behandelt. Es folgt anschließend ein längeres Kapitel über die Staats- und Parteikontakte der katholischen Kirche und ihre pragmatischen Inkonsequenzen ("Differenzierung zwischen Staat und Partei", "SED/CDU", "MfS").

Das Buch schließt anhand bischöflicher Äußerungen mit einer Darlegung des "Weltauftrags der Laien" und seiner Modifizierungen in den achtziger Jahren. In einem Abschlußkapitel "Geschwister Scholl und AKH" untersucht H. die Rezeption des Widerstandes katholischer Laien in der Kirche vornehmlich der DDR und vergleicht damit den kirchlichen Umgang mit dem "Aktionskreis Halle", einem hierarchiekritischen Zusammenschluß katholischer Laien und Priester, der nach der KSZE von Helsinki durchaus evangelisch geprägten "Gruppen" vergleichbar war.

Dieses Kapitel basiert leider nur auf partieller Kenntnis der AKH-Geschichte. Nur die letztlich taktische Zurückhaltung des MfS, 1986 keine Verhaftungen aus den Reihen des AKH vorzunehmen, bewahrte die katholische Kirche in der DDR vor einer gewaltigen Zerreißprobe mit dem Vorwurf des "Brudermordes". Gerade die von H. in Berlin befragten und oft zitierten Zeitzeugen, die ansonsten jedes aufklärende Gespräch über ihre Rolle vor 1990 verweigernden Prälaten Lange und Dissemond, ermutigten die Bischöfe, "selbstverschuldeten" staatlichen Sanktionen gegen die Mitglieder des AKH passiv zuzusehen und signalisierten das auch ihren staatlichen Gesprächspartnern. Bedauerlicherweise ignoriert die Darstellung weitgehend die Realität der Durchsetzung der "politischen Abstinenz" durch Amtsträger des Berliner Ordinariates und ihnen zuletzt fast freundschaftlich verbundene Partner in Staatsapparat und MfS.

Dem kurzen Schlußwort ist nicht zu widersprechen, wonach das Verhalten der katholischen Kirche "weltanschaulich-kirchenzentriert" war und Selbstbehauptung und Wahrung der konfessionellen Identität absolute Priorität hatten, alle öffentlichen Äußerungen außerhalb von "Glaubens- und Sittenfragen" deshalb taktisch abgewogen wurden und "die katholische Kirche" in die Gefahr einer "Ghettomentalität" geriet, die erst in den achtziger Jahren langsam aufbrach. Es fehlt in der vorliegenden Studie aber der gesamte Komplex der verschärft repressiven staatlichen Kirchenpolitik nach 1958 als Ursache des katholisch-kirchenpolitischen Paradigmenwechsels in den Jahren 1960/61 hin zur politischen Abstinenz, öffentlich sanktioniert durch den Wechsel von Julius Döpfner zu Alfred Bengsch im Berliner Bischofsamt im Juli (sic) 1961. Nicht thematisiert werden die zentralen kirchlichen Verhandlungen mit dem MfS in der zweiten Augusthälfte 1961 und die daraus resultierende Problematik der "Einheit des Bistums Berlin", die bis 1989 die katholische politische Abstinenz zu determinieren beanspruchte und auch traumatisieren konnte. Es entgehen so die Ursachen der regionalen kirchlichen Spannungen (vor allem Berlin-Magdeburg und Berlin-Dresden) und die massiven Konflikte und Diskussionen in der zweiten Hälfte der sechziger und in den frühen siebziger Jahren um ein "kritisches Engagement im Sozialismus" - und damit um die Aufgabe der politischen Abstinenz zugunsten einer selbstbewußten katholischen Position. Ohne diese historischen Grundlagen und die parallele Analyse der SED-Kirchenpolitik bleibt der vorliegende Versuch, eine "Geschichte der politischen Abstinenz" der katholischen Kirche in der DDR zu schreiben, letztlich unbefriedigend.