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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

560–561

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Bergmann, Sigurd

Titel/Untertitel:

Religion, Space, and the Invironment.

Verlag:

New Brunswick u. a.: Transaction Publishers 2014. 479 S. Geb. US$ 59,95. ISBN 978-1-4128-5257-9.

Rezensent:

Theo Sundermeier

Das Buch von Sigurd Bergmann ist zwar eine Aufsatzsammlung, die zum großen Teil revidierte Aufsätze aus jüngster Zeit enthält, insgesamt jedoch wird ein Neuentwurf zur Ökotheologie vorgelegt. Es werden u. a. neue Akzente zum Thema Gedächtniskultur gesetzt: Zu wenig wird wahrgenommen, dass das kulturelle Ge­dächtnis einen Ort hat, einen Raum, der den Menschen bestimmt, unabhängig davon, ob er selbst ihn geschaffen hat oder als natürliche Umgebung vorgegeben ist. Diesen Ort braucht der Mensch, der bei allen Gefährdungen des Lebens eine Heimat sucht (der von Rilke übernommene Begriff »Beheimatung« ist zentral im ganzen Werk). Auch wenn der Mensch sich den Raum der Heimat selbst schafft, er wird mit seinem Gedächtnis zugleich von ihm bestimmt und geformt. Auch die »Faktizität« der Religion muss ernst genommen werden, denn sie ist aufs Engste mit der Wirklichkeit von »space and place« verwoben. Dabei mag offen bleiben, wie man Re-ligion versteht, essentiell, funktional oder phänomenologisch. B. neigt dazu, sie als von der Transzendenz her bestimmt anzusehen. Schleiermacher wird mit Sympathie zitiert. Religion ist nicht nur ein soziales Subsystem, sondern eine treibende Kraft, die zwar durch den natürlichen Raum und den sozialen Kontext geprägt ist, jedoch die historischen, geographischen und kulturellen Grenzen weit überschreitet. Lokales und Globales gehören gleichzeitig zu ihrer Wirkung.
Die Stichworte der verschiedenen Kapitel zeigen, welche Di­mensionen in diesem Entwurf zu einer Ökologischen »Ästh/Ethik« des Raumes bedacht werden müssen: Heimat (19 ff.), Erde (99 ff.), Landschaft (181 ff.), Klima (277 ff.), Mobilität (325 ff.), »Spirit« (369 ff.). Das Buch ist mit einer Vielzahl von Abbildungen (153) ausgestattet, mit Fotos, die B. auf verschiedenen Forschungsreisen aufgenommen hat, und Bildern von modernen wie alten Künstlern sowie Illustrationen zu den Religionen. Sie machen höchst an­schaulich, worum es B. geht: sichtbar machen, welche Bedeutung der Raum für unsere Welt, die Gesellschaft und den einzelnen Menschen hat. Ein »spatial turn« ist angesagt, der die Erkenntnisse des »iconic turn« und des »Kulturellen Gedächtnisses« nicht außer Acht lässt, sondern fortführt.
Zur Erfahrung des Raumes gehört es in der modernen Gesellschaft, ihre ökologische Gefährdung wahrzunehmen, die Respektlosigkeit vor der Erde, ihre rücksichtslose Ausbeutung, ihre De-sakralisierung. Der Erde muss erhöht Gerechtigkeit widerfahren (167 ff.). Dazu bedarf es der Rückbesinnung auf die religiösen Traditionen alter Kulturen, der Maya (99 ff.), der Aborigines Australiens (221 ff.), ja selbst der Geomantik schamanistischer Traditionen in Korea und Japan (139 ff.411 ff.). Von und mit ihnen kann man lernen, wie pfleglicher Umgang mit den Kräften der Erde die Bewahrung der Natur, lebensfreundliche Architektur, Sozialität und jene Spiritualität, die auch in der Kunst ihren Spiegel findet, miteinander verbindet.
Die Probleme der »Beheimatung« in der modernen Stadt, die rasante Entwicklung der Mobilität in der globalisierten Gesellschaft werden nicht ausgeklammert (325 ff.), sondern in dem Entwurf einer »Ästh/Ethik« aufgegriffen. Die Kunst spielt dabei eine zentrale Rolle, denn Heimat, »a place to feel at home«, gibt es nur, wenn sie in aktiver Ästhetik gesucht und human gestaltet wird. Ob dabei die »Umwelttechnologie« Mittel zur Lösung der ökolo-gischen Probleme sein kann, wird mehrfach gefragt (u. a. 353 ff.), ohne dass darauf eine endgültige Antwort gegeben wird. Sie kann zur »decolonisation« der Erde beitragen, wird aber ihr Ziel verfehlen, wenn sie ihrer Desakralisierung nicht entgegensteuert.
Die Spiritualität der Erde neu zu entdecken, ist eine der zentralen ethischen Zielsetzungen des Buches und wird in vielen Kapiteln thematisiert. Das ist auch eine Herausforderung für die Theologie. Ihr wendet sich folgerichtig das Schlusskapitel »Spirit« zu (369 ff.). Die Kirchenväter zeigen den Weg für eine neue Theologie. Die kontextuelle Theologie, die die Engführung der Existentialtheologie weltweit ergänzte und wie die Befreiungstheologie auf die sozialen Probleme der sogenannten Dritten Welt aufmerksam machte, muss heute ergänzt werden durch eine »spatial theology«, die den Gedanken der Einwohnung des Geistes in der Schöpfung zentral zum Thema hat, so dass Ethik, Kunst und Spiritualität zu einer Einheit werden.
B. hat mit seinem Buch neue, wichtige Dimensionen der Ökotheologie erschlossen. Ein nicht unwichtiger Aspekt fehlt mir jedoch: das Fest. Es kommt nur in Nebensätzen zu Sprache. Doch Heimat ist, wo ich Feste feiern kann.