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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

555–558

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Oorschot, Jürgen van, u. Markus Iff[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Mensch als Thema theologischer Anthropologie. Beiträge in interdisziplinärer Perspektive. M. Beiträgen v. R. Gebauer, M. Iff, J. von Lüpke, M. Marquardt u. J. van Oorschot.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2010. X, 177 S. = Biblisch-Theologische Studien, 111. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-7887-2429-0.

Rezensent:

Cornelia Richter

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Veith, Werner, Bohmeyer, Axel, Filipovi, Alexander, u. Chris-toph Krauß[Hrsg.]: Anthropologie und christliche Sozialethik. Theologische, philosophische und sozialwissenschaftliche Beiträge. Münster: Aschendorff Verlag 2010. 222 S. = Forum Sozialethik, 8. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-402-10634-1.
Schmidinger, Heinrich, u. Clemens Sedmak [Hrsg.]: Der Mensch – ein Abbild Gottes? Geschöpf – Krone der Schöpfung – Mitschöpfer. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010. 284 S. = Topologien des Menschlichen, 7. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-534-17507-9.


Bei drei Sammelbänden zur Anthropologie, allesamt 2010 erschienen und an der Schnittstelle von Theologie und Natur- bzw. Sozialwissenschaften angesiedelt, könnte man eine hohe Redundanz erwarten mit der Option, bloß einen der drei lesen zu »müssen«. Doch das ist nicht der Fall. Zu unterschiedlich ist die methodische und inhaltliche Ausrichtung, als dass nicht alle drei Bände in den Blick genommen werden sollten.
Der erste und besonders knapp gehaltene Band von Jürgen van Oorschot und Markus Iff ist jener Art theologischer Betrachtung gewidmet, die mit dem Namen Kurt Seidels und der Arbeit am Theologischen Seminar Ewersbach verbunden wird: Es ist eine genuin evangelisch-theologische, biblisch-dogmatische Herangehensweise, die sich weniger als Grundlegung denn als »Zwischenruf« (4) versteht, von durchweg arrivierten Kollegen verfasst ist und sich weitgehend den traditionellen kirchlich geprägten Sprachformen verbunden weiß, ohne detaillierte religionsphilosophische oder anderweitige wissenschaftstheoretische Reflexionen in An­spruch zu nehmen. J. van Oorschot (1–41) eröffnet mit einem ausführlichen Forschungsüberblick, der von H. W. Wolffs »Anthropologie des Alten Testaments« (1973) ausgeht, dessen implizite Dogmatik kritisiert und über die nächste Station bei B. Janowskis »Anthropologie der Psalmen« (2003) Anlauf nimmt zur Deskription der seither interdisziplinär ausdifferenzierten Forschung. Die jüngeren Ansätze zeichneten sich durch hohe Heterogenität und zu­nehmend mikrotheoretische Perspektiven aus, die van Oorschot selbst auf pragmatische Kontextualität und virtuelle Plurivokation hin (vgl. 34) fortführen möchte. Die übrigen Beiträge folgen dieser exakten Perspektivendifferenz insofern, als sie jeweils spezifische, historisch wie theologisch klar zu unterscheidende Aspekte behandeln:
R. Gebauer (42–86) widmet sich in einer textnahen Rekonstruktion der lukanischen Anthropologie; M. Iff (87–113) nimmt im Anschluss an R. A. Lipsius eine religionspsychologische Sicht ein, die dessen Position mit Recht wieder in den Diskurs einbringt, insgesamt aber leider methodisch und dogmatisch unpräzise bleibt und die Bezüge zu Positionen der Sekundärliteratur etwas pauschal hält; J. v. Lüpke (114–145) thematisiert den Topos der Gottebenbildlichkeit im Ausgang von Gen 4 und bezieht dies auf Menschenwürde und -rechte. Er folgt dabei dem Ansatz narrativer Theologie bzw. Anthropologie und vermag der Erzählung vom Brudermord erhellende Einsichten abzugewinnen (besonders die Dramaturgie zwischen »Verstummen vor Gott« und Mord, 133), aber auch hier bleibt die methodische Differenz zwischen Narration und dogmatischer Deutung unscharf, ebenso die durch von Lüpke selbst eingeführte Differenz zwischen Narration und Erklärung (vgl. 122 f.); der letzte Beitrag von M. Marquardt (146–177) stellt die Imago-Dei-Lehre in Form eines kreativen assoziativen Panoptikums gegenwärtiger Image-Kulturen in den Zusammenhang mit einer ebenfalls assoziativ meditativen Interpretation von Gen 1: Gottesbildlichkeit, Gottähnlichkeit und Sünde sind die Leitbegriffe, wobei es Marquardt darum geht, die Gottesbildlichkeit trotz der Sündhaftigkeit zu bewahren (vgl. besonders 156 f.) und sie mit dem für Jesus Christus ausgesagten »Richtungssinn« der Gottesbildlichkeit des Menschen zu verbinden (vgl. 161). Jesus Christus ist wahres Bild Gottes, der Mensch ist ein »zu Gottes Bild geschaffene[s] Wesen« (162), mit allen Folgen für sein verantwortliches Handeln.
Der zweite Band ist im Vergleich ein sehr viel »jüngeres« Werk – sowohl was die Zusammensetzung der (zahlreichen) Autoren angeht als auch bezüglich der verarbeiteten Theoriekonzeptionen. In drei Abschnitten möchten die Herausgeber Werner Veith, Axel Bohmeyer, Alexander Filipovi und Christoph Krauß a) theologische, philosophische und soziologische Zugänge zur Anthropologie darstellen, diese b) auf konkrete anthropologische Anwendungsfelder beziehen und c) daraus resultierende sozialethische Konzeptionen erörtern. Der Band ist in theologischer Hinsicht überwiegend katholisch geprägt mit Ausnahme des Beitrags von Ch. Polke. Die einzelnen Beiträge zu referieren, würde den gegebenen Rahmen der Rezension überschreiten, aber es lassen sich auch so die auffälligsten Grundzüge dieses sehr gelungenen Buches darstellen. Bemerkenswert ist nämlich erstens die durchwegs hohe methodische und metatheoretische Reflexionsleistung, die mit dem Interesse an zeitgenössischen Diskursen einhergeht: Dazu gehören etwa der Paradigmenwechsel von universalistischen und prinzipien-ethischen zu kontextualisierten und partikularen Problemkonstellationen (Filipovi ´c, Polke, Hidalgo), ebenso die Reflexion des Verhältnisses ontologischer und normativer Ansprüche zu funktionalen, integrativen oder motivationalen Perspektiven wie zur Differenz von Naturwissenschaften (besonders Neurowissenschaften/Soziobiologie) und Kulturwissenschaften (Ostheimer, Bohlen, Bertrand-Pfaff, Hartlieb, Bohmeyer, Spanke, Meyer-Ahlen) oder schließlich der Rekurs auf in der Theologie bisher weniger intensiv bearbeitete Positionen wie jene von G. Keil, Hayek und A. Gewirth, J. Messner oder E. Laclau (Hartlieb, Reichert, Spieß, Hidalgo). Auffällig und gewinnbringend sind die in sich jeweils ganz unterschiedlichen Reflexionen zum Personbegriff (Filipovi, Ostheimer, Reichert, Spieß) wie, vermutlich im katholischen Kontext naheliegend, zur Kritik an naturrechtlichen oder verkürzt metaphysisch-spekulativen Positionen (Bohlen, Spieß). Im Ergebnis erhält der Leser eine anregende Zusammenstellung von guten Literatur- und Diskursübersichten, grundlegende Ausführungen zur Sozialethik sowie präzise Analysen konkreter anthropologischer Problemkonstellationen vom Bildungsbereich bis zu Ökonomie, Verantwortungsethik und Menschenrechten. Auffällig ist allerdings, dass der Band sich zwar programmatisch einer christlichen Sozialethik verpflichtet weiß, diese aber nur in wenigen Beispielen explizit und/ oder ausführlich thematisiert (Ausnahmen sind: Filipovi, Bohlen, Meyer-Ahlen und Polke) und gar nicht in den Versuch einer eigenständigen, nicht theologisch formelhaften Positionierung überführt. Das Potential dazu wäre freilich vorhanden, so dass ein zweiter Band anzuregen wäre.
Noch einmal anders stellt sich das Bild im dritten Werk dar, dem ebenfalls im katholischen Kontext angesiedelten Sammelband »Der Mensch – ein Abbild Gottes? Geschöpf – Krone der Schöpfung – Mitschöpfer«, mit dem die von Heinrich Schmidinger und Clemens Sedmak herausgegebene Reihe »Topologien des Menschlichen« abgeschlossen wird. Während C. Sedmak (leider) nur in formal-strukturierender Hinsicht zu Wort kommt, sind die überaus konzise sachliche Einleitung wie der Schlussvortrag von H. Schmidinger besonders hervorzuheben. In der Einleitung (7–42) bietet er eine selten ausführliche, detailgenaue und zugleich breit perspektivierende Analyse philosophischer, theologischer und interreligiöser (Judentum, Islam) Traditions- und Diskurslinien zum Stichwort der Gotteben- bzw. Gottabbildlichkeit. Im Schlusswort (273–284) bringt er die grundsätzliche Problematik des gesamten Rei­henvorhabens auf den Punkt: Der programmatische Titel der »To­pologien« habe sich bewährt, weil der interdisziplinäre und gesellschaftliche Diskurs nachdrücklich zeige, dass monistische, de-kontextualisierte oder prä-relativ gedachte Anthropologien weder zeit- noch sachgemäß seien. An ihre Stelle müsse hingegen »ein Kaleidoskop, sprich eine ›lebendig-bunte Folge‹ von wechselnden Eindrücken, Ansichten, Bildern und Aussagen des Menschen bzw. über den Menschen« treten (275), im Bewusstsein ihrer je historisch, kulturell, sprachlich, biographisch (etc.) bedingten Prägungen (vgl. 277) als Modulationen präreflexiver Selbstvertrautheit (vgl. 280). Als eine Art konzentrierender Konvergenzpunkt hinter diesem Ansatz erweist sich, klug und konsequent gewählt, Levinas’ deontologisierende, ethische Philosophie des Anderen samt deren Herausforderungen für die theologische Rede von Gott (vgl. 283). Die weiteren Beiträge fügen sich in diesen Rahmen weitgehend gut ein, kommen aber nur in Einzelfällen an die vorgegebene begriffliche und argumentative Leistung heran.
Präzise in der Darstellung, aber etwas schwach im Fazit ist die rechtsphilosophische Analyse von K. H. Auer (75–88); an der kunstgeschichtlichen Darstellungsvielfalt ausgerichtet N. Wolf (93–115); sehr exakt R. Esterbauers (131–148) Studie zu Levinas; historisch gelehrt G. Fischer SJ (153–175) zum altorientalischen Kontext von Gen 1,26; ebenso H. Dopsch (189–217) zu Begriff und Geschichte der Sakralität von Königsfiguren und Ch. Schuberts (255–272) erhellende Darstellung zum hippokratischen Eid. Daneben finden sich Beiträge, die kreativ und anregend sind, wenn auch in der Art der Analyse nicht leicht zu beurteilen: K.–J. Kuschel (47–60) nimmt in interreligiöser Perspektive (Judentum, Christentum, Islam) auf das Verhältnis von Abbild und Statthalterschaft des Menschen Bezug, u. a. sehr anregend mit dem Motiv der Engelrebellion, bleibt aber in methodischer Hinsicht etwas wortkarg, z. B. zu den herangezogenen Editionen oder zur Begriffsgeschichte des Kalifats. P. D. Janz (61–74) nimmt hingegen eine explizit logisch-rationale Analyse (vgl. 61) von »Abbild« und »Weltoffenheit« vor – und zwar unter Bezugnahme auf Deleuze –, die präzise und konzise in der Darstellung ist, aber eigentümlich im Ergebnis, weil sich die dabei gewonnene Kritik an der Abbildtheorie in ihren Grundzügen längst in den frühen kulturtheoretischen Debatten zwischen Panofsky und Cassirer hätte finden lassen. E. Nordhofen (117–130) bringt eine in­teressante These und anregende Ausführungen zur Interdependenz von Monotheismus und dem zugehörigen Medienwechsel vom Kultus zur Schrifttradition, dessen Referenzen jedoch etwas exakter hätten ausfallen dürfen (in Anm. 13 bleibt Pannenbergs These aus »Die Krise des Schriftprinzips« unausgewiesen). Inspirierend, aber eher der großen Linie als dem diffizilen Argument verpflichtet, untersucht G. Lauer (177–187) die Bearbeitung der Abbildfigur in der Literatur.
Leider gibt es auch einige Beiträge, in denen sich der interdisziplinäre Rekurs auf religiös-theologische Figuren offensichtlich als Überforderung erwiesen hat, weil sich die jeweils eigene fachspezifische Expertise mit einer unreflektierten Religionskritik verbindet: so in den Ausführungen zur Psychologie bei L. Laux/C. Schmitt (223–242), deren Gewinn in der Präsentation des wenig bekannten Werks Morenos besteht. Allerdings scheinen die Verfasser zu Feuerbach, C. G. Jung bzw. den theologischen Traditionen nicht hinreichend informiert zu sein, denn die Figuren der Religionskritik sind in der protestantischen Theologie seit den 1980ern wesentlich schärfer und mit gravierenderen Konsequenzen eingeholt worden. Problematisch erscheint auch C. B. Möllers (243–254) Auseinandersetzung mit archetypischen Bildern, deren antidogmatischer Im­petus sowie die eigene methodische Reflexion narrativer Traditionen nur als simplifizierend bezeichnet werden können. Selbst wenn die Rezensentin als protestantische Theologin manchen der traditionskritischen Aversionen lächelnd gegenüberstehen könnte (z. B. der Abwehr »›alleinseligmachender‹ Wahrheit«, 248), so ist das fehlende Bewusstsein für größere geistesgeschichtliche Linien doch eher ärgerlich (z. B. die Unkenntnis der humanistischen, katholischen wie reformatorischen Motive für affektive, kognitive und voluntative Anerkennungs- bzw. Rechtfertigungsfiguren, vgl. 244 f.). Am Ende sei daher das Bedauern über den Bruch zu den anderen, herausragenden Beiträgen des Bandes artikuliert.
Insgesamt soll eine starke Zustimmung zu These und Anlage der Reihe ausgesprochen werden, insbesondere zum Bemühen, Literatur- und Kunstwissenschaften sowie die Psychologie einzubeziehen, auch wenn gerade Letztere hier nur schwach aufgetreten ist.
Im Blick auf alle drei rezensierten Bände sei diese Einschätzung daher verbunden mit der Markierung des Desiderats einer Neuaufnahme und Intensivierung eines methodisch hochreflektierten Gesprächs mit der Psychologie bzw. mit jener Philosophie, die sich auf die Grenzgebiete zu Psychopathologien und Psychoanalyse bzw. zu den Neurowissenschaften spezialisiert hat.