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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

543–545

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Buber, Martin [Hrsg., eingel. u. komment. v. I. Eber]

Titel/Untertitel:

Werkausgabe, 2.3: Schriften zur chinesischen Philosophie und Literatur.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2014. 480 S. Geb. EUR 138,00. ISBN 978-3-579-02674-9.

Rezensent:

Martin Leiner

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Buber, Martin: Werkausgabe, 2.1: Mythos und Mystik. Frühe religionswissenschaftliche Schriften. Hrsg., eingel. u. komment. v. D. Groiser. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. 540 S. Geb. EUR 138,00. ISBN 978-3-579-02676-3.
Buber, Martin: Werkausgabe, 2.2: Ekstatische Konfessionen. Hrsg., eingel. u. komment. v. D. Groiser. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. 384 S. Geb. EUR 148,00. ISBN 978-3-579-02677-0.


Während Martin Buber sehr stark den Bruch zwischen seinen vordialogischen und seinen dialogischen Schriften betonte, hat sich in der Forschung der letzten Jahrzehnte eine gegenläufige Tendenz geltend gemacht. An Begriffen wie »Einheit« (Schravensande) oder »Religiosität« (Ferrari) versuchen neuere Forscher viel stärker die Kontinuität in Bubers Werk zur Geltung zu bringen und die Diskontinuität zum Teil sehr stark in den Hintergrund zu rücken. Auch die Martin Buber-Werkausgabe unterstützt durch ihre Konzeption diesen Trend, weil sie nun eine Vielzahl früher Bubertexte zugänglich macht und nicht der Entscheidung B.s folgt, der für die ältere dreibändige Werkausgabe nur einen einzigen vordialo-gischen philosophischen Text »Daniel« berücksichtigt hat. Die im vorliegenden Band vereinigten »frühen« Texte gehen im Sinne der Kontinuitätsthese auch über das Erscheinungsjahr von »Ich und Du« (1923) hinaus und stammen aus der Zeit zwischen 1900 und 1928. 30 Texte, viele von ihnen schwer zugänglich, einige zum ersten Mal publiziert, machen den Band zu einer Fundgrube nicht nur für Buberforscher, sondern auch für die Geistesgeschichte des frühen 20. Jh.s. So findet sich B.s bisher nur in einer Ausgabe in Italien zugängliche Dissertation »Zur Geschichte des Individuationsproblems. Nikolaus von Kues und Jakob Böhme« (Dissertation, Wien 1904) in dem Band. Ebenso findet man B.s Kritik an Ernst Troeltschs Unterscheidung zwischen Kirche, Sekte und Mystik auf dem ersten deutschen Soziologentag 1910 in Frankfurt/M. – Die Nennung von Tübingen als Ort des Kongresses auf S. 357 ist ein Irrtum in dem sonst mit großer philologischer Sorgfalt herausgegebenen Band. B.s Vorwort zum finnischen Nationalepos Kalewala, Märchen, Mythen, Sagen, Wundergeschichten, Legenden, daneben aber auch theoretische Betrachtungen zu Religionswissenschaft, zum Judentum als orientalischer Religion oder zu alter und neuer Gemeinschaft machen den Band zu einem bunten, schwer zusammenzufassenden Leseerlebnis. Leichter zu berichten ist das Vorwort des Herausgebers. Das Vorwort beschreibt die Zuwendung jüdischer Gelehrter zum Mythos und zur Mystik als Gegenreak-tion gegen ein zunächst von Juden selbst propagiertes rationa-listisch-ethisch verstandenes mythenkritisches Judentum, dem Autoren wie Richard Wagner in der Romantik seine Mythenlosigkeit vorgeworfen hatten. Für B. ist der Mythos der gegenüber der Religion positiv besetzte Begriff. In Die Legende des Baalschem schreibt er 1908, dass der Mythos der »Daseinsfülle« entspreche, während die Religion auf einer »ungeheuren Vereinfachung«, »auf Bändigung, Vergewaltigung« (III, zit. in MBW 2.1., 41) beruhe. David Groiser beschreibt weiter: »Für Buber stellt der Mythos deshalb den Boden der wahren Religiosität her, die von der Religion immer wieder bedroht ist. Insofern stehen Mythos und die Religion in einem unaufhörlichen Daseinskampf. Diese Auffassung lässt sich besonders in Bubers frühen Schriften finden.« (41) Später stellt er die Legende über den Mythos und kritisiert Religion auf der Basis der dialogischen Philosophie. Doch diese Diskontinuität in B.s Entwicklung entfaltet der Herausgeber nicht; ja er erwähnt noch nicht einmal B.s Selbstinterpretation, die einen großen Umbruch in seinem eigenen Denken konstatiert.
Im Zusammenhang der Neuromantik und der jüdischen Re­naissance versucht B. persönliche Religiosität neu zu beleben und an den von ihm verehrten Nietzsche anzuknüpfen. »Von Nietzsche hat Buber zu allererst seinen Stil. Nietzsche verdankt er auch sein Misstrauen gegen den Intellekt, seinen Hang, in schematisierenden Gegensätzen zu denken, seinen Protest gegen die Zersplitterung des Wissens, die Spezialisierung auf Kosten der Einheitlichkeit der Person und der Kultur, den Glauben an die erlösende Kraft der künstlerischen Kreativität« (20). Mythos gehört für B. deshalb mit Mystik zusammen, weil nach seinem Verständnis »Mystik eine Erfahrung des Absoluten ist« und »der Mythos den Bericht und das Medium dieser Erfahrung darstellt« (41). In diesem Programm gewinnen auch religiöse Außenseiter wie Meister Eckhart oder die Chassidischen Rabbis B.s Interesse und Zustimmung.
Die Einleitung endet mit einer Zusammenfassung der Kritik Gershom Scholems an B.s Darstellung des Chassidismus. Nach zunächst starker Rezeption von B.s Arbeiten über die jüdische Mystik hat sich die Kritik des großen Kenners der jüdischen Mystik und ehemaligen Anhängers B.s Gershom Scholem wie »ein großer Schatten« (53) auf die Buberrezeption gelegt. Scholem kritisiert sowohl die Auswahl der Texte als auch die Methode ihrer Interpretation durch B. Er zeigt überzeugend, dass B die Verbindungen des Chassidismus mit der theoretischen Kabbala und die Gesetzestreue der chassidischen Frommen ausgeblendet hat, um aus den Legenden eine weltfreudige, pansakramentalistische Frömmigkeit zu postulieren, die es so im Chassidismus nicht gegeben hat (vgl. 58). Scholem und B. haben aber mehr gemein, als der Gegensatz zwischen beiden vermuten lässt. Beide streben eine Erneuerung der jüdischen Religiosität aus den Quellen von Mystik und Mythos an. Der Band hat das große Verdienst, viele sehr wichtige Texte zu diesen beiden Themen in einer kritischen Edition zugänglich ge­macht zu haben.
Ursprünglich nicht im Editionsplan der MBW vorgesehen war eine erneute Herausgabe der Ekstatischen Konfessionen. Diese 1909 im Verlag Eugen Diederichs in Jena erschienene Anthologie mystischer Zeugnisse aus zahlreichen Kulturen von der im Anhang zitierten Mahabarata bis zum 19. Jh. ist wegen ihrer großen Wirkung auf Schriftsteller wie Robert Musil, wegen der zahlreichen Archivquellen zu B.s Arbeit an den Texten und ihrer Auswahl, sowie wegen der im Vorwort und im ersten Text »Ekstase und Bekenntnis« in nuce skizzierten Religionstheorie zweifellos eine sorgfältige kritische Edition wert. Bemerkenswert ist bei dieser Sammlung, dass ein Schwerpunkt auf der christlichen Mystik liegt. Mit viel Sorgfalt behandelt der Band jeden einzelnen Text, den B. in die Anthologie aufgenommen hat. 16 weitere Texte, die B. zunächst in den Band nehmen wollte, die dann aber nicht in die Druckfassung übernommen wurden, sind ebenfalls aufgenommen. Der Edition beigegeben ist eine CD-Rom mit den von B. für die Ekstatischen Konfessionen verwendeten Originalvorlagen. Selbst größere Abweichungen der englischen und der italienischen Übersetzung der Ekstatischen Konfessionen lassen sich nun mit dieser vorbild-lichen Edition mühelos nachvollziehen.
Bei aller Verortung des frühen Buber im Zionismus und in der jüdischen Renaissance, war er von jungen Jahren an ein äußerst vielseitig interessierter Autor. So gehört B. zu den wichtigsten Vermittlern der chinesischen Philosophie, insbesondere des Daoismus in Deutschland. In dieser Philosophie suchte und fand B. etwas Ähnliches wie im Chassidismus: eine Religiosität, die im alltäglichen weltlichen Leben ihren Ausdruck fand und weder durch Legalismus noch durch Dogmatismus beeinträchtigt war. Obwohl B. selbst nur einige Anfängerkenntnisse der chinesischen Sprache hatte, kommt die Sinologin Irene Eber zu einem zustimmenderen Urteil, als dies Scholem für den Chassidismus möglich war. Zu dem von ihm als »Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse« (er­schienen Leipzig 1910) »übersetzten« daoistischen Klassiker Zhuangzi schreibt sie etwa: »In den von ihm übersetzten Passagen erfasste er zweifellos den Geist des Zhuangzi, wenn auch nicht immer alle komplizierten Details« (20). Eber klärt in ihrem Vorwort das Entstehen von B.s Übersetzungen auf. B. legte englische Übersetzungen von Herbert Giles und James Legge zugrunde, er nahm die Hilfe eines in Berlin lebenden Chinesischlehrers, Herrn Wang Jingtao, in Anspruch und bemühte sich selbst darum, Kenntnisse der chinesischen Sprache und Philosophie zu erwerben. Neben den Reden und Gleichnissen des Tschuang-Tse enthält der Band auch die Chinesischen Geister- und Liebesgeschichten, ein Typoskript von B.s Lehrkurs auf dem Monte Verità über Lao-Tses Tao-te-king aus dem Jahr 1924 sowie mehrere kleinere Texte und unveröffentlichte Archivmaterialien. Unter den kleineren Texten sind auch zwei aus der japanischen Kultur vorhanden (281.284) sowie eine Würdigung des Indologen K. E. Neumann (282 f.). Auch Konfuzianisches und Staatsphilosophisches findet sich in dem Band. Die in MBW 2.3 zusammengestellten Texte verdienen es, als für B.s geistige Entwicklung wichtige Lehren gelesen zu werden. Irene Eber ist es ge­lungen, sie exzellent zu edieren und durch Kommentare aufzuschließen.