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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

538–539

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Meyer zu Schlochtern, Josef [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kunst, Kirche, Kontroversen. Der Streit um die kirchlichen Begleitausstellungen zur documenta.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014. 129 S. m. 28 Abb. = ikon. Bild und Theologie. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-506-77708-9.

Rezensent:

Katharina Scholl

Die Skulptur »Mann im Turm« des Bildhauers Stephan Balkenhol wurde zum Streitobjekt während der dOCUMENTA (13). Deren Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev nahm Anstoß an der Platzierung der Skulptur im offenen Teil des Kirchturms der St. Elisabethkirche, weil die katholische Kirche damit in den öffentlichen Raum eingreife, der in dieser Zeit einzig der documenta-Kunst vorbehalten sei. Zudem konterkariere Balkenhols Skulptur mit seiner Anthropozentrik das Konzept der Ausstellung, welches die herkömmliche Stellung des Menschen in der Kunst in Frage stelle. Die katholische Kirche gab dem Drängen auf den Abbau allerdings nicht nach, sondern setzte sie wie geplant fort.
Der vorliegende Aufsatzband arbeitet diesen Konflikt auf, setzt ihn in den Kontext der früheren kirchlichen Begleitausstellungen und macht den Versuch, anhand dieses Konflikts Paradigmatisches zum Verhältnis von Religion und zeitgenössischer Kunst herauszukristallisieren.
Josef Meyer zu Schlochtern umreißt in seinem Beitrag die zentralen Streitpunkte des Konflikts. Die konzeptionelle Vorstellung einer egalitären Kommunikation von Menschen und Dingen der dOCUMENTA (13) kontrastiert der Autor mit einer christlich-religiösen Anthropozentrik, die ihrerseits von einem ideologischen Anthropozentrismus zu unterscheiden sei. Hinsichtlich des öffentlichen Raums macht der Autor die Notwendigkeit der Mitwirkung der Kirchen an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens stark.
Neben Rekonstruktionen der Geschichte der kirchlichen Be­gleitausstellungen und einem Interview mit Balkenhol sowie der Rede zur Ausstellungseröffnung von P. Elmar Salmann OSB versammelt der Band zudem kritische Diskussionsbeiträge. In einer kurzen Analyse des Konflikts um die Balkenhol-Skulptur begibt sich Dirk Schwarze auf die Suche nach möglichen Spuren des Religiösen in der dOCUMENTA (13) und macht solche Spuren gerade auch an den exponierten Ausstellungsorten aus, etwa Thomas Bayrles Motoren in der Documenta-Halle, die gleichsam zu beten scheinen. Michael Hübl vermittelt in seinem Beitrag kunstwissenschaftliche Einsichten zu den Ausstellungswerken Balkenhols. Er zieht z. B. eine kunstgeschichtliche Linie vom »Augenkreuz«, einer im Altarraum platzierten Arbeit aus vier schwarzen Quadraten mit Augen verschiedener Größe, hin zu Malewitschs »Schwarzem Quadrat auf weißem Grund« (1915), in dem sich die ästhetische Transformation einer höheren, geistigen Einheit zeige. Dieses schwarze Quadrat, in dem sich die Mo­derne selbst überhöhe, werde nun von Balkenhol in seinem »Augenkreuz« wieder in die Sphäre der Religion zurückgeholt.
Einen kritischen Beitrag zu Balkenhols Ausstellung in St. Elisabeth liefert Andreas Mertin, der moniert, dass keine wirkliche Intervention durch die Kunst im Kirchenraum stattgefunden habe und Balkenhol sich mit diesen Arbeiten in die Linie der christlichen Ikonographie einordne, so dass von der Ausstellung kein Impuls für den Dialog von Kunst und Kirche ausgehe.
Besonders anregend ist der Beitrag von Friedrich Meschede, der den historischen Ort der kunsthistorischen Abkehr von der christlichen Bildtradition mit Dürers »Selbstbildnis im Pelzrock« (1500) identifiziert, der sich hier selbst als Christusgestalt inszeniert. Seither befänden wir uns im Zeitalter der Bildproduktion. Diese Linie führt er fort bis zu den neuen Technologien und dem Internet. Die christliche Bildtradition lebe heute nicht mehr in den Inhalten, sondern nur noch in der Struktur weiter, als täglich erfahrene Bilderflut, mit der uns das Internet konfrontiert.
Die im Band versammelten Beiträge werden meist an den Stellen interessant, an denen der Boden des eigentlichen Konflikts um die Begleitausstellung 2012 verlassen wird. Dies mag daran liegen, dass der Konflikt selbst doch recht wenig Paradigmatisches aufweist, sondern in erster Linie von den Zufälligkeiten der personellen Besetzung der dOCUMENTA-Leitung lebt. Verdienstvoll hingegen ist, dass der Band die Aufmerksamkeit auf die kirchlichen Begleitausstellungen lenkt, die als Gegenstand wissenschaftlicher Debatten sonst nur selten in den Blick kommen. Auch der Vorschlag, das ökumenische Gespräch über das Verhältnis von Kunst und Kirche zu intensivieren, scheint mir weiterführend zu sein. Vielleicht können wir Protestanten für die Zukunft ein wenig vom Mut unserer katholischen Mitchristen lernen, denn die evangelische Kirche hatte ihre geplante Begleitausstellung zur dOCUMENTA (13) abgesagt.