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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

533–535

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Berndt, Sebastian

Titel/Untertitel:

Gott haßt die Jünger der Lüge. Ein Versuch über Metal und Christentum: Metal als gesellschaftliches Zeitphänomen mit ethischen und religiösen Implikationen.

Verlag:

Hamburg: tredition 2012. 400 S. Kart. EUR 16,80. ISBN 978-3-8472-7090-4.

Rezensent:

Harald Schroeter-Wittke

Seit 30 Jahren gibt es einen wissenschaftlich-theologischen Diskurs zu popkulturellen Phänomenen. Der Metal als Musikrichtung stand dabei bislang nicht im Interesse der Wahrnehmung und Auseinandersetzung. Die hier vorgelegte Dissertation von 2010, betreut von Josef Römelt und Maria Widl in Erfurt an der Katholisch-Theologischen Fakultät, füllt diese Lücke auf beeindruckende Weise.
Sebastian Berndt geht von der Beobachtung aus, dass Metal im Christentum unabhängig von Konfession und Bildungsstand weitgehend auf Ablehnung stößt, und dekonstruiert diese Ablehnung, die vor allem auf Unkenntnis beruht und daher dem Phänomen in seiner Differenziertheit nicht gerecht zu werden vermag. Mit der Methode der Transversalität, die zwei sich abstoßende Systeme differenziert miteinander in Kontakt bringt, spannt B. einen »großen Bogen« (339).
Metal versteht sich und wirkt vor allem als Musik, was B. zum Ausgangspunkt für die verschiedenen Definitionen und die Be­schreibung seiner Stile macht. Vor diesem Hintergrund dekonstruiert er zunächst unter den Stichworten Satanismus, Neuheidentum, Rechtsextremismus, Gewalt sowie Sex, Drugs & Rock’ n’ Roll die Kritikpunkte, denen Metal in seinen unterschiedlichen Spielarten ausgesetzt ist. B. trägt hier sachkundig eine Fülle von Forschungen zusammen, die zum einen problematische Tendenzen beim Namen nennt, aber gleichzeitig sehr genau hinschaut und analysiert, ob die Vorwürfe im Einzelnen auch zutreffend sind. Paradigmatisch dafür steht seine Auseinandersetzung mit dem Song »Angel of Death« der Gruppe Slayer, die B. mithilfe von Karl Heinz Bohrer als ästhetisch böses Kunstwerk analysiert, das sich einer Sinnstiftung genau dadurch entzieht, dass es das Böse als Böses darstellt und damit dem Rationalisierungsprozess der Mo­derne offen widerspricht.
B. kommt so zu einer plausiblen Interpretation des Metal als Apokalyptik, die grundlegende gesellschaftliche Annahmen in Frage stellt. Von hieraus fragt er danach, für welche Gegen-Welt der Metal einsteht: »Welches Ethos, welche Werte vertritt der Metal? Woher kommt die Faszination für Gewalt und Perversitäten? Suchen Metaller in der Ekstase eine Erlösung von Identität und Individualität?« (256) B. verneint die letzte Frage und zeigt dies an dem hohen technischen Schwierigkeitsgrad dieser temporeichen Musik, am sogenannten Moshen bzw. Moshpit (eine körperintensive Tanzform, die für Außenstehende leicht mit einer Schlägerei verwechselt werden kann) sowie an dem kontrollierten Verhalten unter Alkoholeinfluss bei Konzerten. Immer geht es hierbei um Kontrolle in Extremsituationen und damit um ein Erlebnis gesteigerter Individualität und nicht um Ekstase. Dafür spricht auch, dass Liebe und Sexualität in dieser Musik entgegen dem popkulturellen Mainstream völlig unterrepräsentiert sind. Das Ethos der Metalszene lässt sich mit den Werten Authentizität, handwerkliches Können, antimaterialistische Zielstrebigkeit und Familie charakterisieren, so dass der Metal als konservative Bewegung interpretiert werden kann.
Als wesentliches Kennzeichen des Metal stellt sich seine Transgressivität heraus, bei der es mit Foucault um »das Überschreiten von Grenzen als Grenzen« geht, »das heißt, um sie als Grenzen zu errichten und aus der Freiheitserfahrung der Überschreitung Individualität, (Selbst-)Kontrolle und Kraft zu ziehen« (273). Diese Überschreitung aber ist notwendig auf Außenstehende angewiesen, »die die Überschreitung als das bezeichnen, was sie tatsächlich ist, nämlich das Überschreiten von Grenzen, die ethisch gesehen nicht überschritten werden sollten« (274). Damit macht B. die Faszination für Gewalt und Perversionen plausibel, die so inszeniert werden müssen, dass sie als solche ernst genommen werden. B. zeigt dieses Phänomen anhand der Musik, der körperlichen Rezeptionsformen, an der Ästhetik und an den Inhalten, die allesamt kontrolliertes Chaos zeigen. Die Metaller setzen sich »dem Bedrohlichen und Abscheulichen, letztlich dem Bösen selbst aus, um auf spielerische Weise zu erlernen, mit ihm umzugehen – und das eben nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, das heißt emotional« (281). Dabei gilt: »So faszinierend diese Praxis ist, so problematisch kann sie werden« (288), was B. insbesondere an der Überschreitung zum Rechtsextremismus hin deutlich macht, der der Metal »etwa hilflos« (290) gegenüberstehe, obwohl sich eine große Mehrheit der Metalszene auf unterschiedlichsten Ebenen dagegen deutlich zur Wehr setze.
Die »gleichermaßen geistige, emotionale wie körperliche Auseinandersetzung mit dem Bösen in der Welt« (292) durch den Metal wirft abschließend die Frage nach theologischen Deutungsanschlüssen auf, die B. auf die Frage nach dem Umgang mit dem Bö­sen fokussiert. In Aufnahme der Dalferthschen Erörterungen zum Malum sieht B. das Theodizeeprojekt gründlich in Frage gestellt und verabschiedet das moderne Gottesbild eines nur »lieben« Gottes. Mit Raymund Schwagers Drama des Lebens Jesu entwirft B. abschließend in fünf Akten eine Skizze der Glaubensperspektive.
B.s Arbeit besticht vor allem durch ihre präzise Kenntnis der Metalszene und der differenzierten Wahrnehmung ihrer zum Teil skurrilen Hintergründe. Diese bringt B. in einen bemerkenswerten Dialog mit der christlichen Theologie, so dass das Buch, welches als E-Book für EUR 2,99 erworben werden kann, insbesondere für Religionspädagoginnen und -pädagogen zu empfehlen ist. Weniger überzeugt hat mich der Titel, eine Kompilation zweier Songs von Slayer (God hates us all) und Iced Earth (Disciples of the Lie), denn er führt auf eine falsche Fährte, die den lieben Gott zu schnell verabschiedet. Gott hasst zwar die Lüge, aber nicht die Jünger der Lüge. Diese liebt Gott nämlich, was nicht zu schnell als Beruhigung interpretiert werden sollte. Demgegenüber hat mich das Titelbild angesprochen: die Versuchung des hl. Antonius aus dem Isenheimer Altar. Wer Metal nicht mag, kann sich daher die Vertonung dieses Gemäldes bei Paul Hindemith im Schlusssatz seiner Symphonie Mathis der Maler (1934) anhören, die, was die Abgründigkeit des Bösen angeht, in ähnliche Thematiken hineinführt wie die, die B. für den Metal geltend macht.