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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

529–531

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Arnold, Jochen, Fendler, Folkert, Grüter, Verena, u. Jochen Kaiser[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottesklänge. Musik als Quelle und Ausdruck des christlichen Glaubens.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013 (2., korr. Aufl. 2014). 284 S. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-374-03290-7.

Rezensent:

Stefan G. Berg

Dass es noch immer Nachholbedarf in der theologischen Reflexion der Beziehung von Religion und Musik gibt, das führt der von Jochen Arnold, Folkert Fendler, Verena Grüter und Jochen Kaiser herausgegebene und 2014 in zweiter, korrigierter Auflage erschienene Band Gottesklänge deutlich vor Augen. In seinen drei Teilen werden Themen bearbeitet, die nicht gerade im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen: im ersten die gern übergangene Sphäre der Pop- bzw. Popularmusik und ihrer Gottesbilder, im zweiten die oft umschiffte Frage nach Qualitätskriterien für Musik im Gottesdienst, im dritten der nur selten gewagte Blick in die Weite der Ökumene zwischen Worship- und Worldmusik. Um den Stimmenreichtum des Bandes darzustellen, informiere ich knapp über die einzelnen Beiträge.
Der Fokus des ersten Teils wird mit dem Beitrag von Peter Bubmann auf Gottesbilder in der Musik gelenkt und die These stark gemacht, dass »[Einzelne und ggf. auch Gemeinschaften] durch Musik […] das für sie gültige Gottesbild finden und ausdrücken [können]« (25). Hans-Martin Gutmann beschäftigt sich in seinem Text Popularmusik der Gegenwart mit der unterschätzten Größe des Trivialen. »Das Triviale funktioniert voraussetzungslos im Hier und Jetzt, es berührt das Gefühl, es ermöglicht Gemeinschaftsbildung […], es erlaubt einen leichten Zugang zu den großen Lebensthemen […]. Religion und Kultur erreichen in dem Maße das Herz der Leute und die Vereinigung der Herzen im gemeinsamen Event, in dem sie trivial werden.« (28) Aus dieser These wird allerdings wenig gemacht, wenn am Ende bloß geschlossen wird, dass das Triviale das Potential besitze, »religiöses Nachdenken anzuregen« (43). Daraufhin fragt Jochen Kaiser: Wie erleben Menschen Gott durch geistliche Musik? – und er antwortet, dass sich »[i]m Erleben […] kaum konkrete Gottesbilder [manifestieren], sondern […] man eine transzendente oder religiöse Atmosphäre [spürt].« (54, i. O. kursiv) Ergänzend steuert Eckart Altenmüller einen Exkurs bei, der die Wirkung von Musik einmal mehr neurophysiologisch bzw. evolutionsbiologisch zu erklären sucht. Jochen Arnold wiederum spitzt seinen umfangreichen Beitrag Bilder und Aussagen von der neuen Welt Gottes im Kirchenlied auf die Frage zu, »wie Hoffnung in der Musik Gestalt und Ausdruck gewinnen kann« (66) und macht unter anderem die Beobachtung, dass »[f]ast alle Texte […] stärker durch metaphorische Sprache als durch theologische Begriffe bestimmt [sind]« (98). Umsichtig thematisiert der lesenswerte Beitrag von Tatjana Schnütgen das Ringen der Frauenliturgiebewegung mit den Texten gebräuchlicher Kirchenlieder. Für Neu- bzw. Umdichtungen rät die Autorin zum Rückgriff auf einen geschlechtsneutralen relationalen Gottesbegriff, dem Verben und Du-Anreden angemessen sind.
Der zweite Teil wendet sich dem in der Praxis immer wieder auftretenden Problem zu, nach welchen ästhetischen und theologischen Kriterien Musik in kirchlichen Räumen bewertet werden soll. So fragt Christoph Hempel zunächst Was macht Musik zu guter Musik?, um dann unterhaltsame bis launige Gedanken zum gottesdienstlichen Musizieren beizusteuern. Gunter Kreutz erkundet im Anschluss die kognitiven und emotionalen Wirkungen von Musik und kommt zum doch recht eindimensionalen Fazit, dass »Musik Eigenschaften einer psychoaktiven, quasi pharmakologischen Substanz in sich« (153) trage. Mit großem Gewinn liest man den pointierten Text von Konrad Klek, der die Spannung zwischen künstlerischem Anspruch und Bedürfnissen der Gemeinde anhand von vier Szenen aus der kirchenmusikalischen Arbeit reflektiert. Vom »Heterogenitätsproblem« (156) vieler Gemeinden ist darin ebenso die Rede wie von der verstörenden Wirkung barocker Virtuosität, von der teils überzogenen Furcht vor Schlichtheit ebenso wie vom Verlust sängerischer Kompetenz im Sinn einer »liturgische[n] Sprachfähigkeit der Gemeinde« (163). Die liturgietheologischen und dramaturgischen Überlegungen zur Musik im Gottesdienst von Jochen Arnold münden in produktive Leitfragen für einen ›Qualitätscheck‹ zum liturgischen Gebrauch von Musik: »a) Dient ein Musikstück […] der dialogischen Kommunikation des Evangeliums […]? b) […] Dient sie einem liturgischen Spannungsbogen […]? c) Eröffnet die Musik Möglichkeiten zur Beteiligung der Gemeinde […]? d) Kann die Musik integrativ wirken […]? e) Ist ein Bezug zur Gegenwart erkennbar […] und [besitzt] die Musik eine klare Aussage oder zumindest eine erkennbare Intention […]?« (173, i. O. teils kursiv) Der erfreulich grundsätzlich argumentierende Text Zur Kriteriologie der Musik im Gottesdienst von Peter Bubmann stellt klar: »Die gegenwärtige Diskussion um die passende gottesdienstliche Musik leidet darunter, dass häufig ästhetische Gesichtspunkte dominieren und die unterschwelligen Konflikte um das Religions-, Kirchen- und Gottesdienstverständnis verdecken. Mit den Mitteln einer normativen Ästhetik lassen sich jedoch die entscheidenden Fragen nach den Kriterien der Musik im Gottesdienst gerade nicht lösen.« (177, i. O. kursiv) Für Bubmann kann es daher nur um Unterstützung beim »Prozess der kirchenmusikalischen Ur­teilsbildung« (183, i. O. teils kursiv) gehen.
Hinterlässt der zweite Teil den insgesamt stimmigsten und dichtesten Eindruck, so fällt der dritte Teil hinsichtlich des Reflexionsniveaus merklich ab. Davon auszunehmen ist der Beitrag Zur Bedeutung der Musik für christliche Identität in der Ökumene von Verena Grüter. Die Autorin zeichnet nach, auf wie vielfältige Weise Musik »kraft ihrer gemeinschaftsbildenden Funktion religiöse Gemeinschaften [prägt] und […] deren Identität in ihrem Verhältnis zum gesellschaftlichen und religiösen bzw. kirchlichen Kontext [positioniert].« Danach befasst sich Luís Szarán in seinem historisch perspektivierten Aufsatz mit Musik aus dem Kontext der jesuitischen Mission im Südamerika des 17. und 18. Jh.s, und Moses Shemweta berichtet über alte und neue Kirchenmusik in Tansania. Aus einer asiatisch-charismatischen Perspektive stellt Sooi Ling Tan Geschichte und Profil von Lobpreismusik vor. Sie sieht deren Stärke im Erschließen neuer Ausdrucksmöglichkeiten, nimmt aber auch Schwächen auf Seiten der theologischen Inhalte wahr. An diesen Beitrag schließt Guido Baltes mit seinem Text zur Worship-Musik im europäischen Kontext an. Er benennt aktuelle Herausforderungen und erkundet mögliche Problemfelder. Terry MacArthur plädiert in Let the Nations sing! emphatisch für den ökumenischen Austausch von Liedern, weist aber auch auf die problematischen ökonomischen und politischen Verwicklungen der Worship-Bewegung hin. Der Band schließt mit drei Berichten von Wolfgang Teichmann über musikalische Studienreisen nach Brasilien, Namibia und Tansania.
Die Texte gehen auf Vorträge zurück, die an Tagungen unter dem Titel Musik im religiösen und kirchlichen Kontext im Jahr 2012 im Michaeliskloster Hildesheim gehalten wurden. Bedenkt man, dass auf nur 280 Seiten immerhin 19 Stimmen zu Wort kommen, die überdies aus verschiedenen, nämlich katholischen, methodistischen, lutherischen und baptistischen Kontexten stammen, so liegt auf der Hand, dass man aus- und ineinandergreifende Reflexionen nicht erwarten kann. Wie so oft bei Sammelbänden sind die Beiträge von höchst unterschiedlicher Qualität. So ist das Buch vor allem deshalb interessant, weil es die Aufmerksamkeit auf drei sonst wenig beachtete Bereiche lenkt und darin eine Vielzahl kleinerer Aspekte beleuchtet, die zum weiterführenden Nachdenken anregen.