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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

775–777

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther

Titel/Untertitel:

Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch.

Verlag:

Bd. 2. Berlin-New York: de Gruyter 1998. 816 S., 1 Farbtaf. 8 = de Gruyter Lehrbuch. Kart. DM 88,-. ISBN 3-11-015756-X.

Rezensent:

Torleiv Austad

Der erste Band zur Theologie der evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften des Münchner Dogmatikers Gunther Wenz ist in der ThLZ 123, 1998, 94-96 besprochen worden. Der zweite Band, der hier zur Besprechung steht, enthält zunächst Paragraphen über die Rechtfertigung des Sünders und über das Kirchen- und Amtsverständnis innerhalb der im ersten Band angefangenen Untersuchung des evangelischen Glaubens auf der Basis des Augsburger Bekenntnisses, der Apologie der confessio Augustana, der Schmalkaldischen Artikel und dem Traktat von Gewalt und Obrigkeit des Papstes. Demnächst folgt ein Hauptstück, das unter der Überschrift "Lutherische Konfession" von der Konkordienformel handelt. Nach einer ziemlich detaillierten historischen Einführung in die Entstehungsgeschichte der Konkordienformel geht W. tiefgreifend auf die Theologie dieser Formel ein. Zum Schluß seines zweibändigen Werkes reflektiert er den Häresiebegriff. Hier geht es unter anderem um die Bedeutung und Funktion der damnationes in den Bekenntnisschriften.

W. sieht seine Aufgabe darin, die Theologie der evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften im Rahmen der apostolischen Tradition und des ökumenischen Kontextes zu entfalten und zu analysieren. Genauer beschreibt er seine Arbeit als einen bescheidenen Beitrag zur konsensorientierten kirchlichen Memorialkultur, welche die vielfältigsten Bildungsaufgaben beinhaltet (779). Inwieweit es treffend ist, die zwei Bände von insgesamt 1535 Seiten als einen bescheidenen Beitrag zu charakterisieren, läßt sich diskutieren. Aber zweifellos steht fest, daß man hier eine sehr gute theologische und kirchliche Orientierungshilfe zum Verständnis der reformatorischen Wurzeln der evangelisch-lutherischen Kirche vor sich hat. Für W. ist es ein Hauptziel, die Theologie an ihre kirchliche Bindung zu erinnern und die Kirche elementar auf die Theologie hinzuweisen (780). Durch die vorliegende Abhandlung vernimmt der Leser die historische und systematische Zusammengehörigkeit zwischen Theologie und Kirche. Im Lichte des heutigen volkskirchlichen Erosionsprozesses braucht die Kirche die Theologie ebenso wie die Theologie die Kirche.

Der vorliegende Band enthält keine großen theologischen Überraschungen. W. sucht auch nicht nach Sensationen und treibt seine Erkenntnisse nicht auf die Spitze. Er hat eine solide und zuverlässige Arbeit auf der Basis von eingehenden Quellenstudien geleistet. Die umfassende Sekundärlitertur kennt er sehr gut und überlegt genau und einsichtsvoll, wie die kontroversiellen Stellen in den Texten zu interpretieren sind. Das Ergebnis seiner klugen Erwägungen ist eine wohlbegründete und konsensorientierte Gesamtdarstellung. Zum Arbeitsstil von W. kann dennoch eingewandt werden, daß er in einigen Fällen zu viel in Einzelheiten geht. Die sonst so fließende Darstellung wird öfters durch 2-3 Seiten lange Fußnoten (mit kleiner Schrift) unterbrochen, und die Präsentation der zahlreichen Gesichtspunkte der Sekundärliteratur geht ab und zu etwas zu weit. Man muß einfach zu viel lesen oder zumindest durchblättern, um die Schlußfolgerungen der Überlegungen zu finden.

In einer kurzen Buchbesprechung kann man kaum auf Einzelheiten einer so umfangreichen Untersuchung eingehen. Es muß aber erwähnt werden, daß W. die Theologie Melanchthons als unzweifelhaft lutherisch charakterisiert, obwohl sein Denken in mancherlei Spannung zu Luther steht (53). Der Vf. macht auch klar, daß das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen durch Glauben nicht nur der Hauptartikel in den evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften ist; die Rechtfertigungslehre bestimmt auch den Gesamtzusammenhang der reformatorischen Theologie (60). Dasselbe gilt auch für die Konkordienformel. Der Artikel von der Rechtfertigung des Glaubens ist der articulus praecipuus der ganzen christlichen Lehre, ohne welchen das geängstete Gewissen trostlos und ohne Erkenntnis des Reichtums der Gnade Christi bleiben müßte. Hier liegt das Organisationszentrum der Theologie, sowohl als auch das theologische Kriterium der Scheidung der Geister (601 f.).

Abgesehen von den Katechismen findet sich in den evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften kein eigener Artikel zur Schöpfungslehre. Im Anschluß an Edmund Schlink stellt W. fest, daß der Mangel an Schöpfungslehre keine Schwäche ist. Wenn man mit der Sündenlehre anfängt, so wie im Augsburgischen Bekenntnis, wird es deutlich, daß man konkret vom Menschengeschöpf spricht. Das kann als eine theologische Notwendigkeit angesehen werden (66).

Laut reformatorischer Ekklesiologie gehört der missionarische und diakonische Auftrag wesentlich zum Kirche-Sein der Kirche, obwohl dieser Aspekt in den Bekenntnisschriften kaum eine Rolle spielt. Auch die Apostolizität ist ein Kennzeichen der Kirche. Das liegt im Bekenntnis zur Kontinuität der Kirche (301).

Im Kapitel über die Kirche und ihr Amt untersucht W. die episkopale Jurisdiktion, hauptsächlich auf der Basis des Augsburger Bekenntnisses und der Apologie. Er betont, daß man den Bischöfen nicht um ihrer selbst oder um einer ihrem Amt unmittelbar eigenen Formalautorität willen, sondern ausschließlich wegen des Evangeliums Gehorsam schuldig sei (332). Unter Hinweis auf den in CA XXVIII,22 zitierten Spruch Christi Lk 10,16 "Wer euch hört, der hört mich", wird hervorgehoben, daß die Gemeinden ihren Bischöfen notwendigerweise und jure divino Gehorsam schuldig seien, sofern die Bischöfe als Bischöfe, das heißt, in dem ihnen secundum evangelium zukommenden Dienst tätig werden (403). Wo die Bischöfe aber etwas gegen das Evangelium lehren, setzen oder aufrichten, heißt es ausdrücklich im CA XXVIII,21 f., daß wir in solchem Falle Gottes Befehl haben, ihnen nicht gehorsam zu sein. Hier kann man die Frage stellen: Was heißt hier gegen das Evangelium? Bezieht sich das nur auf ,ein anderes Evangelium’? Sind die Gemeinden den Bischöfen Gehorsam schuldig, falls sie- die Bischöfe - die Gebote Gottes und die Schöpfungsordnung geringschätzen? Um CA XXVIII heute aktualisieren zu können, müssen wir wissen, was unter dem Evangelium zu verstehen ist.

Die große zweibändige Untersuchung von W. ist ein Nachschlagewerk für all diejenigen, die sich für die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche interessieren. Es ist eine hervorragende Arbeit, die mit Nachdruck zu empfehlen ist.