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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

517–518

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Stroud, Dean Garrett [Ed.]

Titel/Untertitel:

Preaching in Hitler’s Shadow. Sermons of Resistance in the Third Reich.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Eerdmans 2013. VIII, 215 S. Kart. US$ 20,00. ISBN 978-0-8028-6902-9.

Rezensent:

Konrad Hammann

Was und wie in deutschen evangelischen und katholischen Kirchen während des Dritten Reiches gepredigt worden ist, diese Frage hat die kirchengeschichtliche Forschung bisher noch kaum näher untersucht. Wohl gibt es Predigtsammlungen einzelner, zumeist prominenter Vertreter der Bekennenden Kirche und verschiedene Studien zu ihrer Predigttätigkeit, teilweise auch Analysen von Einzelpredigten. Jedoch eine einigermaßen umfassende Sichtung und Interpretation auch nur ausgewählter Predigtbestände – seien es bereits veröffentlichter, seien es bislang nicht publizierter (Letztere dürften den Hauptanteil des überkommenen Materials bilden) – ist offenkundig noch nicht als eine Aufgabe der kirchlichen Zeitgeschichte in den Blick geraten.
Umso mehr wird man die vorliegende Sammlung von zwölf ausgewählten Predigten und einer zusätzlich abgedruckten Musterpredigt begrüßen. Dean Garrett Stroud, der Herausgeber des Bandes, der zuerst Pfarrer der presbyterianischen Kirche in Louisiana war und später als Professor für Germanistik an der University of Wisconsin in La Crosse lehrte, zeichnet verantwortlich für die Auswahl der in englischer Übersetzung dargebotenen Predigten. In seiner Einführung beschreibt er das historische Umfeld, in dem diese Predigten gehalten wurden, in Form einer lockeren Aneinanderreihung der verschiedenen Themen, die die Bekennende Kirche während des Dritten Reiches herausforderten, und der Positionen, die ihre Hauptvertreter zu diesen Fragen bezogen (3–48).
Für die Auswahl der abgedruckten Predigten war das im Untertitel des Bandes angezeigte Kriterium maßgebend, dass es sich um »Sermons of Resistance in the Third Reich« handeln sollte. Mit einer Ausnahme – der Predigt des katholischen Bischofs von Münster Clemens August Graf von Galen vom 3. August 1941 zur Euthanasieaktion der Nationalsozialisten – handelt es sich um Predigten evangelischer Pfarrer und Universitätstheologen, die sämtlich Mitglieder der Bekennenden Kirche waren. Die Predigt Martin Nie-möllers vom 20. Dezember 1936, die Predigt Julius von Jans vom Buß- und Bettag 1938 und die im Anhang mitgeteilte Musterpredigt der Bekennenden Kirche zur Frage der Eidesverpflichtung der evangelischen Pfarrer aus demselben Jahr werden nach ihren archivalischen Provenienzen, die übrigen Predigten nach ihren deutschen Erstveröffentlichungen geboten. Zu jeder Predigt gibt der Herausgeber eine knappe, aber informative Einleitung zur Person des Autors, zu seiner Haltung im Dritten Reich und zum »Sitz im Leben« der betreffenden Ansprache.
Die Predigten, deren Inhalt, Diktion und Anlage hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden können, beziehen sich entsprechend ihrem jeweiligen historischen Kontext auf unterschiedliche Themen. Dietrich Bonhoeffer ruft die Kirche im Frühjahr 1933 dazu auf, wie Gideon allein auf Gott und nicht auf die Mächtigen der Zeit zu vertrauen. Martin Niemöller und Paul Schneider setzen sich auf der Kanzel öffentlich mit der nationalsozialistischen Weltanschauung auseinander. Karl Barth stellt bereits im Dezember 1933 Jesus als Juden und Gottes Bund mit Israel als Zeichen der freien Gnade Gottes heraus. Helmut Gollwitzer und Julius von Jan üben offen Kritik an den Ausschreitungen der Reichspogromnacht 1938. Bischof von Galen protestiert gegen die Vernichtung »lebensunwerten Lebens«, Gerhard Ebeling lässt zwischen den Zeilen seiner seelsorgerlich gehaltenen Trauerpredigt für Günter Rottmann, eines der Opfer der T4-Aktion, ebenfalls Kritik am Krankenmord anklingen. Drei weitere Predigten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs sind abgedruckt: Helmut Gollwitzer ruft beim Kriegsausbruch seine Gemeinde vom heidnischen zum rechten Beten, zur Buße und zum Vertrauen auf Gott. Rudolf Bultmann legt am Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion Jesu Gleichnis vom großen Gastmahl als Ruf in die Entscheidung aus und konstatiert nüchtern, Deutschland sei »heute kein christliches Land mehr«. Der evangelikale Pfarrer Wilhelm Busch schärft am Sonntag Invokavit 1944 ein, dass zum rechten Glauben auch die Übernahme des Kreuzes gehöre.
Die in dem Band Strouds versammelten Predigten spiegeln unterschiedliche Formen der Kritik und des Protestes wider. Sie bestätigen insofern, dass die Anwendung des Widerstandsbegriffs auf die Haltung der Bekennenden Kirche und ihrer Mitglieder zum Dritten Reich sorgfältige Differenzierungen erforderlich macht. Die Texte dokumentieren in eindrücklicher Weise den Mut und die Klarsicht ihrer Autoren, die christliche Wahrheit und ihre ethischen Implikationen unter den restriktiven Bedingungen des totalitären Staates zu bezeugen. Darüber hinaus weisen diese Predigten namhafter oder durch ihr Lebenszeugnis im Dritten Reich bekannt gewordener Theologen implizit auch auf das eingangs angesprochene Forschungsdesiderat hin.