Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

505–507

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Dümler, Bärbel

Titel/Untertitel:

Zeno von Verona zu heidnischer Kultur und christlicher Bildung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XIV, 661 S. = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 75. Kart. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-150224-8.

Rezensent:

Uta Heil

Bärbel Dümler, zuletzt an der Abteilung für Orient- und Islamwissenschaft der Universität Tübingen beschäftigt, legt mit dieser Veröffentlichung eine überarbeitete Fassung ihrer Dissertation vor, die von Wilhelm Geerlings betreut im Wintersemester 2004/05 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum angenommen wurde. In Zentrum steht die Frage, wie nach Ansicht von Zeno, dem norditalienischen Bischof von Verona in der zweiten Hälfte des 4. Jh.s, »mit antiker Kultur verfahren werden sollte« (17). Da kaum weitere Informationen über diesen Bischof erhalten sind, bilden die 92 unter seinem Namen überlieferten Traktate die Grundlage jeder Beschäftigung mit Zeno. Es ist zu begrüßen, dass dieser sonst eher am Rande stehende Autor eine monographische Behandlung erfahren hat.
D. wählt für den Titel gezielt den Begriff »Kultur« (11–14), denn kein realer heidnischer Kult, sondern dessen »säkularisierte« Form als Kulturgut (148.223.293) oder als kulturelles Bildungserbe (149) bzw. »passives Heidentum« (223) bilde das Gegenüber der antiheidnischen Polemik bei Zeno. »Zeitgenössisches Heidentum« sei also nicht nur ein »relatives Konstrukt«, das dazu dient, »Christentum zu konstruieren« (65), sondern überhaupt zur Zeit von Zeno »keineswegs mehr so stark« (167) und »keine wirkliche kultische Konkurrenz für das Christentum mehr« (266, auch 293). Schon im paganen Kontext selbst seien viele Elemente nur noch profan verstanden worden. Genau genommen wende sich Zeno daher nicht gegen Heiden, sondern an Christen, bei denen diese Relikte bzw. Praktiken zum Alltag oder »zur privaten Frömmigkeitsausübung« (196) gehören. Er sei an »innerer Missionierung« (595) der Christen interessiert, nicht an einer »aktiven« äußeren Mission.
D. knüpft damit an Gedanken an, die ihr Doktorvater in einem Aufsatz (Bekehrung durch Belehrung, ThQ 167 [1987], 195–208) entwickelt hat, nämlich dass Bekehrung individuell eine »neue Wertentdeckung« sei (7), und folgert mit Christian Gnilka (Kultur und Conversion, XPHΣIΣ. Die Methode der Kirchenväter im Um­gang mit der antiken Kultur 2, Basel 1993), dass sie gesamtgesellschaftlich gesehen eine »Konversion der Kultur« zur Folge gehabt habe. Um dieses aufzuzeigen, setzt sie mit einer »Konversion der Begriffe« ein und untersucht, wie Zeno diverse, zu »Wortfeldern« zusammengestellte Begriffe verwendet. Nach einer Einleitung (Kapitel 1: 1–64), in der die Methodik der Arbeit und die klassischen Einleitungsfragen behandelt werden, folgt daher in einem zweiten Kapitel (65–387) eine Darstellung der Bewertung heidnischer Kultur durch Zeno anhand eine langen Reihe von Begriffen, z. B.: Heiden ( gentes, externus-profanus, sacrilegus, impius, carnalis, mundanus, terrenus, incredulus, infidelis, perfidus) und heidnische Religiosität (religio, idolatria, superstitio, sacrilegum, scelus, nefas, reatus). Es schließen sich an Begriffe zum heidnischen Kultort, zu den Kultbildern, -personal und -handlungen wie Opfer oder auch Totenkult, ferner zu den Göttern und mythologischen Gestalten (z. B. deus, daemones, hemithei, inferi, einzelne Götternamen, Jahreszeiten, Phoenix) sowie zur Philosophie bzw. zur Intellektualität. Dieser Darstellung des Heidentums stellt D. in einem dritten Kapitel (389–594) Zenos Konzept einer christlichen Bildung gegenüber, gegliedert nach A – Voraussetzungen, B – Bildungsvermittlung, C – Instrumente der Bildungsvermittlung (sacra scriptura, exempla, oratio), D – Bildungserwerb und E – Ziel.
Die jeweiligen Abschnitte haben einzelne kurze Zusammenfassungen; eine abschließende Gesamtzusammenfassung in einem vierten Kapitel fällt jedoch äußerst knapp aus (595 f.). Das ist bedauerlich, da die Lektüre der Begriffsanalysen etwas ermüdend ist. Die oft eher wie Lexikonartikel gestalteten Abschnitte ziehen die Darstellung in die Länge. Eine gründlichere Zusammenfassung hätte helfen können, eine Schneise durch das Dickicht der Einzelanalysen zu schlagen. Die als Betonung gemeinten zusätzlichen Kursivierungen behindern eher den Lesefluss, als dass sie helfen (vgl. exemplarisch 588 f.).
Den großen zweiten Hauptteil (3. Kapitel) stellt D. unter den Begriff »Bildung« und meint damit umfassend den »Prozess der Konversion der Kultur und Bekehrung der Begriffe« (15). In kritischer Abgrenzung zu Peter Gemeinhardt (Das lateinische Chris­-tentum und die antike Bildung, Tübingen 2007), der sich weitgehend auf Grammatik, Rhetorik und Literatur beschränke (16 f.), sei umfassender und möglichst vollständig zu berücksichtigen, was unter »Kultur« zu verstehen sei. Das ist sicher weiterführend und bei einer Beschäftigung mit einem Autor allein auch durchführbar. Diese Formulierungen zeigen jedoch auch, dass die Gegenüberstellung von »Kultur« und »Bildung« eine künstliche ist. Sie ist wohl mehr darin begründet, dass Zeno eine Übernahme der heidnischen Kultur »durch Bildung« ablehnt, als dass ein Bezug auf die christliche Mystik Meister Eckhards passen würde (14: Bildung als Weg der Vereinigung des Menschen mit Gott; der Hinweis 586 auf eine »Vereinigung mit Gott« als Ziel christlicher Bildung anhand einer Zeno-Stelle mit einem Zitat aus 1Kor 3,16 kann das nicht leisten). Vielleicht wäre eine Herleitung von Zenos Verwendung von doctrina, docere und docti (wie 425–428 und 386.588) und discere (528–562.592) passender. Christliche Bildung meint also eine »Erziehung zu erwachsenen Christen« (418) in Theorie (religiöses Sachwissen) und Praxis (ethisches Wissen). In diesem dritten Kapitel wird jedoch nicht skizziert, was nach Zeno christliche Bildung dem Inhalt nach ist, sondern wie Zeno die formalen Rahmenbedingungen, Instrumente und Strukturen christlichen Bildungserwerbs beschreibt (Taufe, Katechese, Bibel, Predigt).
Die insgesamt anregende Monographie wirft einige Fragen auf: D. schreibt (420.588), dass Kultur durch den Glauben an Christus zur Bildung werde. Was jedoch sie oder Zeno unter »Glaube« versteht, bleibt unklar. Einerseits gehört er zu den zu erlernenden christlichen Tugenden (474.491.495 f. 501.552 f.); aber wie kann er dann zugleich eine nicht lehrbare »Voraussetzung religiösen Lernens«, also die Voraussetzung für den Erwerb der christlichen Doctrina als religiöses Sachwissen und ethisches Wissen sein (427.564 f. 582.588 f., auch 568 f. als »Bewusstsein der eigenen Identität« bzw. »Sich-seiner-selbst-bewusst-Sein des Glaubens als Glaube«)? Andererseits scheint Glaube auch selbst »religiöses Sachwissen« zu sein, wenn er mit der regula fidei zu verbinden ist (452–454, vgl. 478–481 »Glaubens- bzw. Lehrinhalte«, 575 f. »Glaubenswahrheit«).
Ein Nachdenken darüber könnte das Verhältnis Zenos zum »Heidentum« noch präziser klären: »Zeno nutzt die Darstellung des Heidentums lediglich als Instrument des Entwurfs einer negativen Dogmatik und besonders einer negativen Ethik.« (595) Diese Polarisierung deckt sich aber nicht mit dem zuvor Dargestellten, wenn Zeno a) sich an »Heidnisches« bei Christen wendet und b) selbst »Heidnisches« sowohl verwirft als auch adaptiert (301.316.323 f.327 zur christlichen Adaption von klassischer Dichtung, insbesondere Vergil; 309 zu Zenos christianisiertem Horoskop; 581 f. zu Zenos Verknüpfung des christlichen Glückskonzepts mit dem stoischen, das D. als »zum Scheitern verurteilt« abqualifiziert). Wo liegen hier die Grenzen? In einer nicht möglichen Säkularisierung oder Entmythisierung (329)? Was kritisiert Zeno eigentlich an denjenigen, die eine fleischliche Auferstehung in Frage stellen, wenn er selbst an eine unsterbliche Seele (352, Anm. 158) denkt? Unterliegt Zeno hier nicht einem Selbstwiderspruch?
So stellt sich schließlich die Frage, ob Zeno tatsächlich nur noch ein »passives Heidentum« kennt (»Unkenntnis«, 166.168) als Kultur, nicht als Kult, zudem D. mehrmals die Traktate mit der Zeit des Kaisers Julian verbindet (57.243.259.292.340).