Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

488–490

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bilby, Mark Glen

Titel/Untertitel:

As the Bandit Will I Confess you. Luke 23.39–43 in Early Christian Interpretation.

Verlag:

Turnhout: Brepols Publishers; Strasbourg: Université de Strasbourg 2013. 373 S. = Cahiers de Biblia Patristica, 13. Kart. EUR 37,44. ISBN 978-2-906805-12-5 (Brepols Publishers); 978-2-503-55049-7 (Université de Strasbourg).

Rezensent:

Martin Meiser

Dass man der Rezeption von gerade einmal fünf Bibelversen eine ganze monographische Untersuchung widmen kann, überrascht niemanden, der mit der Vielfalt von Rezeptionsvorgängen biblischer Texte unter exegetischen Fragestellungen wie unter dem Horizont von Glaubenslehre und Ethik einigermaßen vertraut ist. Die von Mark Glen Bilby behandelte Perikope bietet unter diesen Gesichtspunkten Herausforderungen eigener Art, und B., der auch des Syrischen mächtig ist, kann für sich beanspruchen, ein facettenreiches und lebendiges Panorama altkirchlicher Schriftauslegung vermittelt zu haben. – Die Arbeit ist im Wesentlichen thematisch gegliedert. Hinsichtlich der Frage der Lukasrezeption im 2. Jh. bezieht B. einen gemäßigt kritischen Standpunkt; Markion ist der erste potentielle (38), Diatessaron 51 der erste gesicherte Zeuge (49); darauf folgen Hippolyt und Origenes sowie Ps.-Cyprian.
Der zweite Hauptteil »Controversies« ist den Problemen des Ausgleichs zu Mt 27,44 (beide Räuber verspotten Jesus) und zu Eph 4,9 gewidmet (wie kann Jesus anlässlich seiner Hadesfahrt dem Räuber zusichern, dass er heute »mit ihm« im Paradies sein wird?). Da, wo man den Widerspruch zu Mt 27,44 thematisiert (in der äl-testen syrischen Tradition, bei Ephraem und bei Kyrill von Jerusalem ist das nicht der Fall), bieten sich zwei im Einzelnen zu dif-ferenzierende Grundlinien an, die chronologische Harmonisierung (einer der Räuber beteiligt sich zunächst an der Verspottung, bekehrt sich jedoch; so erstmals Origenes, comm. Matt. ser. 133), andererseits der Verweis auf die Verwendung des Plurals in der Bibel. In Mt 27,44 spricht dann zusammen mit dem Lästerer der Teufel (Eustathius von Antiochien, anim. Ar. Frg. 27; Bilby, 70); oder der Plural markiert sylleptische Redeweise (u. a. Epiphanius von Salamis, haer. 66, 40, 1–6). Hieronymus bietet in ep. 59, noch Ori-genes folgend, nur die chronologische Harmonisierung; im Matthäuskommentar kombiniert er beide Möglichkeiten.
Der Ausgleich zu Eph 4,9 und Mt 12,40 wird von Origenes chronologisch (Jesus geleitet den Räuber zum Paradies und steigt dann in den Hades hinab; comm. Io 10,37) und allegorisch gesucht (Lk 23,43 wird ad vocem »heute« im Sinne einer realisierten Eschatologie gedeutet; comm. Io. 32,32), während Eustathius und Hieronymus, gegen Origenes polemisierend, aus der Einheit von Gottheit und Menschheit in der Person Jesu Christi auf die Ubiquität der Seele Jesu schließen, die zugleich im Paradies und in der Unterwelt sein könne (Eustathius, engastr. 17,8–18,5; Hieronymus, tract. Mc. 7,11). Einen topographischen Ausgleich nimmt Didymus, in Eccl. 92,2–10, aufgrund von Lk 16,19–31 vor: Das in Lk 23,43 genannte »Paradies« liegt in den oberen Regionen des Hades selbst (116).
Die folgenden Teile der Arbeit behandeln Rezeptionsvorgänge, in denen die Erzählung als didaktisches Modell für christliche Praktiken, Glaubensvorstellungen und Tugenden fungiert.
Ephraems Verständnis von Lk 23,42 als der Bitte um Barmherzigkeit (u. a. par 8,1; cruc. 6,20) hatte eine lange Wirkungsgeschichte bis in die Chrysostomusliturgie (123–131), ebenso die antijüdische Aneignung bei Ps.-Cyprian, mont. 8,1 (131–138). In antiarianischer Polemik dient die Vollmacht der Zusage Lk 23,43 bei Hilarius, Trin. 10,60–62 als Testimonium für die Gottheit Christi, ähnlich u. a. bei Ephraem, fid 54,12 f.; Gregor von Nazianz, or. 29, 20 (140–149). Doch woher kann der reuige Schächer solchen Glauben haben? Eustathius, anim. Ar. Frgm. 27 verweist auf göttliche Inspiration. Ephraem, cruc. 8,8 f. kontrastiert diesen Glauben mit dem Versagen der Jünger während der Passion; Johannes Chrysostomus, hom. Gen 7,4 betont das Paradox, dass der Räuber im Kreuz gerade nicht Unehre oder Schande sieht, und erkennt in ihm nicht nur wie Eustathius einen Schüler, sondern gar einen Lehrer des Glaubens und der christlichen Philosophie (162). Bei Origenes, comm. Rom. V 6,10 und noch stärker in Rufinus’ Wiedergabe fungiert Lk 23,43 als Bestärkung für das sola fide von Röm 3,28; Prosper von Aquitanien verwendet Lk 23,43 im antipelagianischen Kontext (174–183).
U. a. bei Origenes, Johannes Chrysostomus und Ambrosius dient der Räuber als Beispiel der schnellen Bekehrung (185–191), bei Kyrill von Jerusalem (cat. I,1; 13,30 f.) als Vorbild der Katechumenen (191–198). Bei Cyprian wird ihm sogar der Status eines Konfessors oder Märtyrers zugesprochen (202–213); Augustinus widerspricht implizit (bapt. IV 22) und dann auch explizit (ep. 93), um dann doch wieder zur Auslegung Cyprians zurückzufinden. Das führt bei einigen antidonatischen Predigten auf eine Spätdatierung auf die Zeit mindestens nach 417, eher aber nach 419 (53a; 267) bzw. (hom. 327; hom. 335c) sicher erst nach 419 (213–228). Doch wie kann dem nicht getauften Räuber das Paradies zugesprochen werden? Cyprian verweist auf die Taufe im Martyrium, Augustinus auf die unsichtbare Heiligung auch ohne sichtbare Sakramente (228–235). Der Räuber dient gerade hinsichtlich seiner raschen Bekehrung auch als Kontrast zu Judas Iskariot, der trotz seiner langen Erziehung durch Jesus den richtigen Weg verfehlt (237–241). Er wird gar noch zum Asketen (242–246.264 f.), zum Lehrer angemessenen Redens über den eigenen Stand vor Gott (246–252) und, vor allem bei Ephraem, zum Lehrer des Bußgebetes (252–260); seiner wird auch (261–268) in der Konsolationsliteratur gedacht (z. B. Gregor von Nyssa, vit. Macr. 24 u. a.). Schließlich zieht das Motiv des Paradieses Typologien von Hab 2,11 und Gen 2,17; 3,23 f. her auf sich; das Motiv des betrogenen Teufels begegne t z. B. bei Johannes Chrysos­tomus, hom. in Ioh. 85, Ambrosius, ep. 40,5. Bei Severian von Gabala, latr. 11.20 (dort Bezugnahme auf Mt 11,12) ist es schließlich das Bekenntnis des Räubers selbst, das den Satan überwindet (269–298) und das Paradies erwirbt (298–303). Abschließend verweist B. auf das unterschiedliche Nachleben der Perikope im Osten (dort gut bezeugt) und im Westen (dort kaum vertreten; trotzdem wird die Perikope in Karfreitags- und Osterpredigten immer wieder zitiert).
B. kann man zu seiner materialreichen, problembewussten und methodisch stringent argumentierenden Arbeit nur gratulieren.