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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

483–485

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Himmelfarb, Martha

Titel/Untertitel:

Between Temple and Torah. Essays on Priests, Scribes, and Visionaries in the Second Temple Period and Beyond.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XII, 399 S. = Texts and Studies in Ancient Judaism, 151. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-151041-0.

Rezensent:

Claudia Losekam

Der Band vereint Aufsätze von Martha Himmelfarb aus 27 Jahren wissenschaftlicher Arbeit – genauer von 1984 bis 2011 – zu Literatur aus der Zeit des Zweiten Tempels sowie spätantiken und mittel-alterlichen jüdischen Texten. Die hier zusammengefassten Arbeiten spiegeln eindrucksvoll das vielseitige Interessens- und Forschungsgebiet H.s wider. Der Verzicht, Arbeiten zu rabbinischen Schriften und Apokalypsen der nachrabbinischen Zeit (1) aufzunehmen, unterstreicht eine Fokussierung auf die Literatur des Zweiten Tempels.
Die insgesamt 20 Aufsätze sind in fünf thematisch ausgerich-tete Sequenzen gegliedert, die entsprechend der Chronologie der Quellentexte angeordnet sind. Dabei umfassen die drei ersten Ab­schnitte Arbeiten zu Schriften und Traditionen aus der Zeit des Zweiten Tempels, während die letzten beiden Abschnitte Arbeiten zur spätantiken und mittelalterlichen Literatur enthalten. Innerhalb der Themenabschnitte sind die Aufsätze nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung angeordnet.
Unter der Überschrift »Priests, Temples, and Torah« finden sich sechs Aufsätze zu diesen drei Themenstichworten in Schriften der Hebräischen Bibel bis zur Mischna. Dabei ist eine deutliche Schwerpunktsetzung auf dem an erster Stelle genannten Stichwort »Priests« zu erkennen, auch wenn die Themen miteinander verknüpft sind. Zur Tempelthematik trägt die Studie über Motive aus der biblischen Paradieserzählung in den Tempelbeschreibungen bei Ez, dem Buch der Wächter und Ben Sira (11–25) bei. Die Deutung des Selbstverständnisses des Jubiläenbuches als eine die Tora ergänzende Schrift (49–59) nimmt das Thema »Torah« auf. Die Studie zur Bedeutung von Mischehen zur Zeit der Makkabäer-Aufstände (27–47) streift das Thema der Priester implizit. Ihre These, Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden während der Makkabäer-Aufstände seien irrelevant, stützt H. auf das Schweigen zu diesem Thema in 1/2Makk und der Beschreibung des Pinchas (1Makk und Ben Sira). Er wird als Empfänger des ewigen Bundes des Pries­tertums (Num 25,13) eingeführt statt als Verfechter der Endogamie (Num 25,6–8).
In den drei folgenden Arbeiten setzt sich H. in unterschiedlicher Weise mit der Priesterthematik auseinander. Dabei führt die Bezugnahme der untersuchten Quellenschriften auf den biblischen Text häufig zu Thesen, die gängige Forschungsmeinungen hinterfragen. So interpretiert sie das Gesetz des Priestertums des in Qumran überlieferten Aramäischen Levi (61–77) anhand eines detaillierten Textvergleichs mit gesetzlichen Bestimmungen der Tora als Ergänzung priesterlicher Gesetze anstatt kritischer Erwägungen zur Ausübung des Priesterdienstes. In ihrer Untersuchung des Wächterbuches, der Tiersymbol-Apokalypse und der Zehnwochenapokalypse widerlegt H. die ausschließliche Verantwortung priesterlichen Fehlverhaltens für die Verunreinigung des Zweiten Tempels (79–92). Des Weiteren deutet sie die Tora als korrektives Instrument in Bezug auf die Priester. Die Tora ermöglicht eine Beur­teilung priesterlicher Tätigkeiten und gleichzeitig schützt ihre Autorität die Priester der tempellosen Zeit nach 70 n. Chr. vor der Bedeutungslosigkeit. Diese Einschätzung widerspricht der öfters geäußerten Meinung der Minimierung der Priester durch die Rabbinen (93–108).
Der zweite Abschnitt mit dem Titel »Purity in the Dead Sea Scrolls« beinhaltet vier Studien zur Interpretation biblischer Reinheitsbestimmungen im Falle von Verunreinigungen durch Körperflüssigkeiten (Lev 12 und 15) und ihre Konsequenz für Sexualkontakte in den wichtigsten Gesetzestexten der Qumranliteratur (Tempelrolle [TR], Damaskusschrift [4QD], Gemeinderegel [1QS] sowie den Fragmenten 4Q512 und 4QMMT). Anhand detaillierter Vergleiche mit den Reinheitsbestimmungen der verschiedenen priesterlichen Redaktionen (P und H) der Bibel arbeitet H. eigene Akzente der halachischen Interpretationen der Gesetzestexte heraus. Dehnen TR und Jub priesterliche Reinheitsbestimmungen auf Laien aus, weist H. unterschiedliche Akzente und Intentionen der Verschärfung auf. Dies stellt die Gesetzesverschärfung als Indiz des sektiererischen Charakters der Schriften und die Vorstellung einer einheitlichen »priesterlichen Halacha« in Frage (111–133). In 4QD, 1QS und 4Q512 finden sich nuancierte Vorstellungen von Unreinheit und Sünde. Während Unreinheit in 4QD eine kultische Kategorie ist, sind Un­reinheit und Sünde in 1QS und 4Q512 zwei Aspekte menschlicher Unvollkommenheit ohne Kausalzusammenhang (135–159). Die Reinheitsgesetze in 4QD deutet H. als exegetische Erläuterungen unklarer biblischer Stellen und Versuch einer Systematisierung (161–173). Einer Dichotomie zwischen »priesterlicher Halacha« und »rabbinischer Halacha« sowie der Annahme einer einheitlichen »priesterlichen Halacha« begegnet H. insgesamt mit großer Skepsis, wie sie u. a. am Beispiel des Tevul Yom (175–188) ausführt.
Im dritten Abschnitt mit der Überschrift »Judaism and Hel-lenism« zeichnet H. anhand der antiken (1 und 2Makkabäer) und modernen Historiographie (Bickermann, 211–220) ein dynamisches Verhältnis der beiden antiken Kulturen. Statt einliniger Ablehnung oder Anpassung des Hellenismus sei vielmehr von Prozessen der Adaption und Transformation in das Judentum auszugehen. Spiegeln die Märtyrererzählungen in 2Makk die Dialektik zwischen hellenistischem Heldentum und jüdischen Anschauungen in Gestalt jüdischer Antihelden (ein alter Mann, Kinder und eine Frau) wider (191–210), weist 1Makk (235–254) eine stärkere Synthese der beiden Kulturen auf. Ein wichtiges Element im Prozess jüdischer Interaktion mit der griechischen Kultur sieht H. in der unangefochtenen kulturellen Autorität der Tora (221–234).
Die Überschrift des vierten Teils nennt mit »Heavenly Ascent« einen der Forschungsschwerpunkte H.s. Während in ihrer Monographie (1993) zu Aufstiegstexten die Apokalypsen im Vordergrund stehen, dominiert in den hier versammelten Aufsätzen der Vergleich zwischen Texten der jüdischen Apokalyptik und der Hekhalot-Literatur. Folgende Themen werden bearbeitet: die Verhältnisbestimmung zwischen Apokalyptik und Hekhalot-Literatur (257–282), die Bedeutung der Veränderung oder Verwandlung der Visionäre nach ihrem Aufstieg (283–293) und die Frage nach praktischen Anweisungen für einen Himmelsaufstieg in Texten der mediterranen Welt (295–305). Umschreibt H. die Differenz zwischen jüdischer Apokalyptik und Hekhalot-Literatur in Blick auf den Aufstieg zunächst durch die Stichworte »Fiktion« und »Instruktion«, korrigiert sie diese Sichtweise in dem Beitrag zur Frage praktischer Aufstiegshinweise (295–305). Danach sind die Hekhalot-Texte der Rezitation statt der Instruktion vorbehalten. Die letzte Studie des Themenbereichs ist der Auseinandersetzung mit der These Rachel Eliors zur Entstehung der jüdischen Mystik gewidmet (307–325). Den Ansatz Eliors, die ähnlich wie Scholem von drei Entwicklungsstadien der jüdischen Mystik ausgeht und eine traditionsgeschichtliche Linie von der Thronwagenvision Ezechiels über die Schriften aus Qumran (insbesondere die Sabbatlieder) bis zur Hekhalot-Literatur postuliert, weist H. zurück. Sie würdigt Eliors Mut zu einer großen These, bemängelt jedoch unangemessene Harmonisierungen und mangelnde Differenzierungen der Quellentexte.
Der letzte Abschnitt »The Pseudepigrapha and Medieval Literature« beinhaltet zwei Beiträge (329–349; 351–370), in denen H. die Kenntnisse pseudepigrapher Literatur in Schriften mittelalterlicher Gelehrter aufzeigt und die Überlieferungswege dieser Literatur untersucht.
Insgesamt liegt hier ein sorgfältig gestalteter Aufsatzband vor, dessen Sequenzen in der Zusammenschau die literarische Vielfalt antik-jüdischer Literatur zwischen den beiden thematischen Polen »Tempel« und »Tora« aufzeigen. Gleichzeitig vermitteln die einzelnen Abschnitte einen guten Einblick in unterschiedliche Forschungsfelder und Fragestellungen. Der Band ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Neben der Vielfalt der Themenfelder zeichnen sich die einzelnen Beiträge durch eine präzise text- und kontextbezogene Methodik sowie eine differenzierte, an den Quellen orientierte Interpretation aus. H.s Argwohn gegenüber eingängigen Thesen ist die Triebfeder, die neue Sichtweisen und Erkenntnisse erschließt. Positiv ist auch der Mut H.s hervorzuheben, Veränderungen und Korrekturen in ihrem wissenschaftlichen Denken durch die Auswahl der Beiträge zu dokumentieren. Insgesamt eine gelungene Kombination zwischen detaillierten Einzeluntersuchungen, methodischer Klarheit und der Einordnung in größere Forschungsfelder.