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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

481–483

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Hachlili, Rachel

Titel/Untertitel:

Ancient Synagogues – Archaeology and Art. New Discoveries and Current Research.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2013. XXXIV, 802 S. m. Abb. = Handbook of Oriental Studies. Section 1: The Near and Middle East, 105. Geb. EUR 218,00. ISBN 978-90-04-25773-3.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Ein monumentales Buch in jeder Hinsicht, voller Details und zugleich umfassend! Mitten in einer Phase zahlreicher Neufunde und zugleich einer lebhaften Debatte über die Neudatierung byzantinischer Synagogen legt Rachel Hachlili, Professorin für Archäologie an der Universität Haifa und Autorin zahlreicher Publikationen zur jüdischen Archäologie und Kunstgeschichte, ein Buch vor, das für lange Zeit ein Standardwerk bleiben wird.
Das Buch beginnt mit grundlegenden Überlegungen zum Ursprung der Synagoge als Institution und Bautyp und zum Verhältnis von Synagoge und Tempel (I. »The Synagogue«, 5-21). »The synagogue institution was a revolutionary concept in terms of worship and faith. It offered a new form of religious practice that encompassed not only the privileged few who belonged to the priestly caste but the larger community as well, thus providing a venue for individual expression« (5). Laut H. entwickelte sich die Synagoge nicht aus einem einzigen Ursprung: »rather, it evolved and progressed in time and place according to the needs of particular congregations« (21). Wie in anderen Publikationen auch legt H. viel Wert auf die akribische Dokumentation unterschiedlicher wissenschaftlicher Meinungen und schließt dann – oft recht knapp – mit der eigenen Position ab.
Besonders großer Fortschritte erfreut sich vor allem die Erforschung der Synagogen aus der Zeit vor 70 (II. »Second Temple Period Synagogues«, 23–54). H. diskutiert jeden einzelnen der 15 Fundorte, darunter auch die kürzlich entdeckten Bauten in Magdala (Migdal I; 33–34) oder Qiryat Sefer in Judäa (34–36). Während die Synagoge vor 70 »a house for reading« war, betonten spätere Synagogen Gebet und Zeremonien »and its function were liturgical and ritualistic« (54). In jedem Fall aber besaß die Synagoge vor und nach 70 die Funktion als politische und religiöse Institution. Die Form der äl-testen Synagogen (mit Bänken umsäumtes, rechteckiges, säulengestütztes Gebäude) sieht H. als »result of local improvisation« (46), einer Übernahme hellenistischer Architekturformen wie etwa der bouleuteria steht H. eher skeptisch gegenüber.
Im dritten Abschnitt diskutiert H. »Recently Excavated and Newly Published Synagogues« der Periode nach 70 (55–124). Nur das merkwürdige Gebäude von Qazion, das H. zusammen mit Ann Killebrew zwischen 1993 und 1997 ausgegraben hat und das in der Forschung sowohl als jüdische Synagoge als auch als römischer Tempel angesprochen wird, steht im Zentrum eines eigenen »Supplement« (»Qazion – A Galilean Riddle«, 617–682). Den Neubeginn der monumentalen Synagogenarchitektur sieht H., möglicherweise vorbereitet durch unscheinbare »Haussynagogen«, im Sinne der Ausgräber in den »Early Synagogues« von Nabratein, En-Gedi I, Eshtemoa I, Horvat Rimmon I und Kafr Misr I aus dem 2. und 3. Jh. (55–59; Wadi Hamam I wird erst im Kapitel »Dating« besprochen, 594). Damit nimmt H. eine dezidiert »konservative« Position ein, die später im Abschnitt »Dating« nochmals begründet und ausge sprochen wird (583–607). Leider bleiben die den 13 galiläischen, sechs Golan-Synagogen (neben Qatzrin, das eigens besprochen wird, 79–110), vier weiteren aus dem südlichen Judäa und vier »Other Synagogues« aus der Zeit ab dem späten 4. Jh. gewidmeten »Concluding Remarks« recht knapp (124). Anders als das zweite Standardwerk zum Thema (Lee I. Levine, The Ancient Synagogue. The First Thousand Years, New Haven 22005) beschränkt sich H. auf jüdische Synagogen in Palästina, auf die Zustände in der Diaspora geht sie nur am Rande ein.
Zentrale Aspekte der rituellen Nutzung und Ausstattung spätrömisch-byzantinischer Synagogen stehen im Mittelpunkt der folgenden neun Kapitel (IV. »Synagogue Architecture and Ornamentation«, 125–222; V. »Synagogue Art, Significance and Impact«, 223–284; VI. »Jewish Symbols«, 285–338; VII. »Jewish Calendar Re­presented in the Zodiac Design«, 339–388; VIII. »Illustrated Biblical Tales«, 389–434; IX. »Motifs in Jewish Synagogue Art«, 435–472; X. »Artists, Workshops and Repertoire«, 473–515; XI. »Inscriptions«, 517–538; XII. »Coins and the Synagogue«, 539–565). Dabei behandelt H. nicht allein, um nur einige Themen zu nennen, architektonische Elemente wie Fassaden, Galerien, Sitzbänke, die Menorah, den Torahschrein mit seinen Symbolen und Verzierungen, Münzfunde und verschiedene Fußbodendekorationen (inklusive Mosaike mit Zodiakdarstellungen oder biblische Szenen bzw. Figuren), sondern diskutiert auch kulturgeschichtlich breiter ausgreifende Phänomene wie die schwer zu fassenden »few examples of iconoclasm« (282). Auf dem Hintergrund der überwältigenden Materialfülle macht H. immer wieder deutlich, dass es keine allgemeingültigen Regeln für die Form, Ausstattung und Dekoration byzantinischer Synagogen gab, sondern dass regionale, oft sogar lokale topo-graphische und soziale Faktoren die entscheidende Rolle bei der Er­richtung und Ausgestaltung des synagogalen Raumes spielten. Synagogen mit unterschiedlichem Grundriss konnten somit durchaus nebeneinander existieren. H.s minutiöse Dokumentation macht zudem deutlich, dass die Schaffung synagogaler Kunst und Architektur eine ganz eigene Fortsetzung hellenistisch-römischer Kunst darstellt, im Golan und in Galiläa vor allem beeinflusst vom römerzeitlichen Hauranstil (laut H. jedoch »only in a general way«, 283). Immer wieder werden zahlreiche Bezüge zum zeitgenössischen Kirchenbau evident.
Für das Verständnis antiker palästinischer Synagogen von besonderem Interesse ist die Rolle von Frauen (XIII. »Women«, 567–581). Nach einer ausführlichen Diskussion synagogaler Frauendarstellungen inklusive ihrer Kleidung, Schuhe, Schmuck und Kopfputz (567–578) geht H. auf die Rolle von Frauen im synagogalen Leben ein. Am Ende ihres Überblicks über maßgebliche Forschungsmeinungen konkludiert sie: »That women worshipped together with the men seems to be the only conclusion that can be drawn from the in-scriptions, and the archaeological and literary evidence. In any case the contrary opinion, that women worshipped in a gallery or in a separate section of the hall, has not been proven« (580). Im Unterschied zu den Synagogengemeinden in der Diaspora gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass Frauen »titles or office« in der Synagoge und der Gemeinschaft wahrgenommen hätten (581), wobei H. aber dennoch einschränkend bemerken muss, dass »they apparently did hold certain positions, and were also able to make donations, either with their families or independently« (581).
Im letzten Sachkapitel XIV. »Dating« (583–607) diskutiert H. die Datierung der bereits in Kapitel III behandelten Gebäude und geht dabei auch auf die für die Geschichte des palästinischen Judentums insgesamt wichtige, vor allem jüngst zwischen Eric Meyers und Jodi Magness intensiv geführte Debatte über die Neudatierung mehrerer Synagogen ein (vor allem 600–607). Sie bestreitet, dass monumentale Synagogen in Israel erst ab dem späten 4. Jh. in Er­scheinung treten und verteidigt die von Meyers u. a. vertretene Datierung einiger Gebäude bereits in das 3. Jh. »(T)he construction of synagogues in the Land of Israel was continuous throughout the Roman and Byzantine periods, though it seems to have been most prolific during two main periods: the late third and early fourth centuries when most of the Galilean synagogues were erected, and the sixth century when many of the characteristic Byzantine synagogues were built.« (607) Die Verbindungen zur Synagoge des Zweiten Tempels jedoch bleiben nach H. begrenzt. In den »Conclusions« (609–615) unterstreicht H. nochmals die zentrale Rolle der Synagoge als symbolischer Raum für das Judentum zu einer Zeit, als sich pagane Tempel im Niedergang befanden und zugleich in Form des Christentums eine neue Religion entstand, die in Palästina aus den eng verwandten künstlerischen und architektonischen Quellen schöpfte. »Most importantly, the synagogue and its art and architecture played a powerful role in the preservation of the fundamental beliefs, customs, and traditions of the Jewish people following the destruction of the Second Temple and the loss of Jewish sovereignty in the Land of Israel«. Eine »List of Synagogue Excavations« (56 Orte), eine ausführliche Bibliographie (687–714), ein Index (717–734) sowie zahlreiche Farbabbildungen schließen den höchst gelehrten und verdienstvollen Band ab.