Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

771 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Neeb, Horst

Titel/Untertitel:

Gerhard Tersteegen und die Pilgerhütte Otterbeck in Heiligenhaus 1709-1969. Geschichte und Tersteegen-Briefe an die Bewohner.

Verlag:

Düsseldorf: Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland 1998. X, 290 S. m. zahlr., teilw. farb. Abb. gr.8 = Schriften des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland, 15. Kart. DM 24,-. ISBN 3-930250-21-7.

Rezensent:

Martin H. Jung

Das Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, geleitet von Archivdirektor Dr. Dietrich Meyer, tritt regelmäßig mit neuen Forschungen und Darstellungen über den großen, bis in die Gegenwart nachwirkenden, aber erst unzulänglich erforschten protestantischen Mystiker Gerhard Tersteegen (1697-1769) in die Öffentlichkeit, die für die Fachwelt bedeutend und für ein breiteres Publikum interessant sind und solide gemacht und aufwendig ausgestattet zu einem erstaunlich geringen Preis angeboten werden. Nachdem der in Haan lebende Hobby-Historiker Horst Neeb (geb. 1928) 1997 die Beziehungen Tersteegens zu den Solinger Familien Schmitz untersuchte - vgl. ThLZ 123, 1998, 879 f. - stellt er in seiner neuen Arbeit erstmalig und umfassend die Geschichte des Hofguts Otterbeck bei Heiligenhaus dar, in der seit ca. 1727 eine Gemeinschaft von Tersteegenanhängern und -anhängerinnen lebte. Neeb untersucht die gesamte Geschichte der Otterbeck bis zum bedauerlichen Abriß der Gebäude im Jahre 1969. Das Haus diente zu Lebzeiten Tersteegens als "Pilgerhütte", also als Gästehaus, und wurde auch nach seinem Tod weiter von den "Stillen im Lande" benutzt. 1852 kam es an den "Evangelischen Brüderverein" und blieb bis zum Abriß ein Treffpunkt pietistisch-erwecklich geprägter Menschen, die auch das Gedächtnis Tersteegens immer bewahrten. 1969 hat Nordrhein-Westfalen das Kulturerbe dem Ausbau der B 227 geopfert und damit ein Exempel für die in diesem SPD-regierten Bundesland in einer Zeit des Fortschrittsoptimismus besonders kultur- und landschaftszerstörerisch betriebene Städtebau- und Verkehrspolitik geschaffen.

Der Autor präsentiert in seinem Buch zunächst eine Menge aus Archiven zusammengetragene Quellen über "das Haus und seine Bewohner", die er durch ein- und überleitende Texte zusammenordnet und mit kommentierenden Anmerkungen ausstattet. Er geht der Frage nach, wer die Menschen waren, die in der Otterbeck lebten, und schildert Tersteegens Verbindungen mit ihnen. In einem zweiten Hauptteil des Werks werden auf 141 Seiten 98 überwiegend von Tersteegen verfaßte Briefe an Bewohnerinnen und Bewohner der Otterbeck ediert und erläutert, die der Forschung teilweise noch nicht in gedruckter Form vorlagen. Der Autor liefert mit seinem Werk wichtige Bausteine zur Tersteegen-Forschung von durchaus wissenschaftlichem Niveau. Darüber hinaus gibt er neue Einblicke in die Entwicklung des Evangelischen Brüdervereins und damit in die frühe Geschichte der Gemeinschaftsbewegung im 19. Jh. Zahlreiche Bilder vermitteln dem Leser einen Eindruck von den Gebäuden, den Menschen und den geographischen Gegebenheiten. Zu den Familien Otterbeck und Mühlenbeck wurden genealogische Daten zusammengetragen. Ein Orts- und Personennamenregister erschließt das Werk. Zu kurz kommt - wie schon in der früheren Veröffentlichung Neebs - die Kommentierung, Einordnung und Bewertung des gefundenen Materials.

Die Otterbeck war eines von vielen Beispielen gemeinsamen Lebens, die der Pietismus zu bieten hat. Der Autor sieht diesen Bezug und geht deshalb in einem Exkurs auf das Ephrata-Kloster in Pennsylvanien ein. Eine zusammenfassende und vergleichende Darstellung der verschiedenen Experimente kommunitären Lebens im Pietismus und in der Erweckungsbewegung ist ein dringendes, aber nur interdisziplinär zu bearbeitendes Forschungsdesiderat. Neebs Buch enthält auch dazu wichtige Bausteine, auf die jede künftige Forschung dankbar zurückgreifen wird.