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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

475–477

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Thiede, Werner

Titel/Untertitel:

Die Wahrheit ist exklusiv. Streitfragen des interreligiösen Dialogs.

Verlag:

Gießen: Brunnen-Verlag 2014. 284 S. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-7655-9110-5.

Rezensent:

Harald Seubert

Der Theologe und Publizist Werner Thiede hat ein Buch vorgelegt, das grundsätzliche Fragen mit höchst aktuellen und akuten Themen des interreligiösen Dialogs verbindet. Der markante, vielleicht auch provokante Titel macht neugierig – und erfüllt inhaltlich wie qualitativ höchste Erwartungen.
Im ersten Hauptteil behandelt er, konzentriert auf die Wahrheitsfrage in einer postmodernen Pluralitätskultur, prägnant und klug abwägend die systematischen Hauptfragen, die sich im interreligiösen Dialog stellen. Es beginnt mit einem Abschnitt zu Ex­klusivität christlicher Wahrheit, die zu Recht davon ausgeht, dass abstrakte Wahrheitsdefinitionen dem Wahrheitsphänomen kaum nahekommen. Daher sympathisiert Th. mit Heideggers Verständnis von Wahrheit als ›Unverborgenheit‹, spannt das Netz aber dadurch enger, dass er den Wahrheitsbegriff ex negativo konturiert: Wahrheit sei gegenüber Missverständnis, Irrtum und Lüge ebenso exklusiv wie gegenüber Nichtadressaten. Interreligiöser Dialog kann, so wird deutlich, nicht unter Regeln gelingen, die die Strittigkeit des Wahrheitsanspruchs ausblenden. Dialogfähig sei aber die exklusive Wahrheit der Christusbotschaft durchaus, weil sie auch zutiefst inklusiv ist.
In einem zweiten Kapitel geht Th. subtil der zeitweise gängigen These von der ›Wiederkehr der Religion‹ in Westeuropa nach. Er zeigt, dass sie deutlich zu relativieren ist: Islam und Islamismus sind neuartige Phänomene, die aggressiv auf die Moderne reagieren. Hier kehrt nichts wieder. Christlicher Fundamentalismus, mit dem sich Th. fair und zugleich vor dem Hintergrund reformatorischer Schrifttheologie auseinandersetzt, ist in seinen Ausschließlichkeitsansprüchen gerade nicht als »religiöses« Phänomen zu verstehen; Esoterik und Synkretismen blühen, während die statistisch messbaren und klimatisch feststellbaren Säkularisierungsprozesse weiterlaufen.
Th. arbeitet dann in einem weiteren Kapitel, im Fokus auf den Benediktiner-Pater und Zen-Meister Willigis Jäger (* 1925), einen moralisch indifferenten Monismus als Grundzug neuer Mystik heraus. Dieser bewege sich auf der Linie der alten, neuplatonisch monistischen Denkform. Diese Herleitung hat etwas Zwingendes, auch wenn Jäger mit der Affinität zum ›Denken des Einen‹ vielleicht etwas zu viel der Ehre getan wird.
Immer wieder wird behauptet, dass Mystik gleichsam das ge­meinsame Apriori innerhalb des interreligiösen Dialogs sei. Th. setzt sich mit dieser These pointiert auseinander: In einem eigenen Kapitel zeigt er, dass Mystik nicht gleichsam freischwebend und abgelöst von der jeweiligen Herkunftsreligion zu begreifen ist, aus der sie hervorging. Damit wird der mystische Zugang aber nicht geleugnet, sondern von allem indifferenten Monismus gelöst und im Blick auf die christliche Liebesbotschaft sowie auf die »Autorität des bittenden Christus« hin interpretiert.
Von großer Orientierungskraft auf engem Raum ist weiter der ›Synkretismus‹-Teil, der sich mit den maßgebenden inklusivistischen und exklusivistischen neueren Religionstheologien und der mit ihnen verbundenen Forderung eines erforderlichen Paradigmenwechsels christlichen Glaubens auseinandersetzt. Th. arbeitet dabei souverän die konstitutive Intoleranz eines programma-tischen Synkretismus heraus und legt die These nahe, dass die mancherorts behaupteten »multiplen religiösen Identitäten« eine Chimäre seien. Die exklusiv beanspruchte Inklusivität christlicher Wahrheit ist auch durch die Behauptung eines »Non-Dualismus« zwischen Weltreligionen nicht angemessen zu erfassen, wie sie Michael von Brück vertritt. Kompetent und deutlich setzt sich Th. in den einschlägigen Passagen mit Vertretern einer pluralistischen Religionstheologie (von John Hick über Paul Knitter, Ramon Pa­nikkar bis eben zu Michael von Brück) auseinander.
Der zweite Hauptteil des Buches gibt die Probe aufs Exempel an spannenden Beispielen konkreter Religiosität. Prägnant arbeitet Th. zunächst sowohl Gemeinsamkeiten als auch Differenzen zwischen Buddha und Jesus Christus heraus. Bei vordergründigen Ähnlichkeiten erschließt ein tiefergehender Blick sogleich, dass Buddha und Jesus zwei völlig divergierenden religiösen Paradigmata angehören: Reich Gottes und Nirvana, Kreuz und Rad, Eintreten ins Nichts oder in die Fülle können nicht auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Dies würde eine gravierende Entdifferenzierung bedeuten. Sehr lesenswert ist weiter ein Abschnitt, der die Grundstrukturen des Islamismus herausarbeitet, ihn vom Islam deutlich unterscheidet und dennoch verständlich macht, wie der Islamismus als eine reaktive Gegenbewegung zur Moderne aus dem Islam hervorgegangen ist.
Grundsätzliche gesellschaftspolitische Bedeutung hat das Kapitel unter der Überschrift »Politikgestaltung zwischen Gottesstaat und Laizismus?«: Es nimmt das Problem von Religionsfreiheit und Religionskonflikten klar umrissen auf, plädiert mit guten Gründen dafür, die Zwei-Reiche-Lehre in reformatorischer Tradition weiterzuführen.
Die bei kaum einem anderen wissenschaftlichen Autor so kultivierte Verbindung von systematisch-theologischer, religionswissenschaftlicher und weltanschauungskundlicher Kompetenz tritt in den drei abschließenden Kapiteln besonders eindrücklich hervor. Auf allen Ebenen von Lehre, Geschichte und Entwicklung führt Th. die Frage durch, ob die mormonischen »Heiligen der letzten Tage« Christen seien. Dabei geht er mit großer Fairness mit den Mormonen um. Er konzediert ihnen durchaus eine Christologie, die aber durch den Heilssynergismus verdunkelt werde. Sein Resümee lautet, Mormonen seien »Christen jenseits der Christenheit«. Mit klarer Urteilsfähigkeit und in konziser Präsentation aller Fakten geht Th. sodann der Frage nach, ob Scientology als Religion einzustufen sei. Bei Abwägung aller Argumente muss man konstatieren, dass dieses Problem letztlich noch nicht ausdiskutiert ist. Man dürfe aber der ebenso selbstgewissen wie naiven Weise, in der Scientologen von »ihrer Religion« sprechen, nicht nur mit Respekt, man solle ihr auch mit Kritik begegnen. Das abschließende Kapitel gilt Rudolf Steiner und der Anthroposophie: Th. arbeitet die okkulten Lehrelemente heraus, die gerade in der Christologie sich weit von Schriftzeugnis und christlicher Lehrtradition entfernen und für die Christengemeinschaft prägend geworden sind. Freilich wird konzediert, dass Steiner Impulse für eine religiöse Erneuerung gegeben hat, die weit über den Rayon der Anthroposophie hinausreichen und für die Kirchen eine bleibende Herausforderung darstellen.
Dem Buch liegt eine Reihe von Aufsätzen zugrunde, was man ihm aber erstaunlicherweise kaum anmerkt. Es ist souverän komponiert, behandelt ohne Redundanzen seine Sujets abwägend, in stupender Literaturkenntnis und sowohl religionswissenschaftlicher wie auch theologischer Tiefe. Der hohe wissenschaftliche Rang dieses Bandes korrespondiert mit einem unprätentiösen, leicht verständlichen Stil, so dass das interessierte Gemeindeglied den Ausführungen mit Gewinn folgen und zugleich der Theologe daraus vielfältige Anregungen ziehen wird. Auch Politiker und Multiplikatoren können sich hier höchst kompetent informieren. Th., einer der produktivsten Theologen seiner Generation, hat seinem Œuvre einen weiteren wichtigen Baustein hinzugefügt.