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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

473–475

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Reppenhagen, Martin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Konversion zwischen empirischer Forschung und theologischer Reflexion.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2012. 229 S. m. Abb. = Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung, 18. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-7887-2552-5.

Rezensent:

Michael Domsgen

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Elsas, Christoph [Hrsg.]: Interreligiöse Verständigung zu Glaubensverbreitung und Religionswechsel. VI. Internationales Rudolf-Otto-Symposion, Marburg. Berlin: EB-Verlag Dr. Brandt 2010. 394 S. m. Abb. Kart. EUR 23,00. ISBN 978-3-936912-91-3.


Das breite Spektrum an Fragen und Themen, das sich in der Auseinandersetzung mit Konversion ergibt, lässt sich gut anhand der beiden o. g. Publikationen vor Augen führen. Sie stehen nicht nur für unterschiedliche wissenschaftstheoretische Perspektiven, sondern auch für verschiedene Schwerpunktsetzungen im Konversionsverständnis.
So versteht sich Martin Reppenhagens Dokumentation einer internationalen Fachtagung in Greifswald aus dem Jahr 2011 in­-nerhalb evangelischer Theologie als genuin praktisch-theologisch. Hier sollen nicht nur Wahrnehmungen formuliert, sondern auch handlungsorientierende Impulse gegeben werden. Der innere Fluchtpunkt wird durch den abschließenden Beitrag von Michael Herbst (Konversion und Gemeindeaufbau. Eine praktisch-theologische Skizze, 205–229) gesetzt, der Konversion und Gemeindeaufbau aufeinander bezieht. Eine solche Orientierung wirkt sich auch auf den Konversionsbegriff aus, wie aus den Ausführungen von Johannes Zimmermann (Sind Glaubensveränderungen schon Konversion? Eine kritische Reflexion zum Konversionsbegriff, 89–107) deutlich wird. Er nimmt das unterschiedliche erkenntnis-leitende Interesse sozialwissenschaftlicher und praktisch-theo-logischer Konversionsforschung in den Blick. Am Beispiel der Greifswalder Studie »Wie finden Erwachsene zum Glauben?« zeigt er zudem, wie eng die begriffliche Fassung von Konversion vom Untersuchungskontext abhängt. So wird hier Konversion in den evangelischen Landeskirchen untersucht, die »immer noch fast ein Drittel der Bevölkerung« (7) umfassen, wie im Vorwort ausgeführt wird. Konversion wird also im Kontext von »Volkskirche und Volksmission« (ebd.) reflektiert, was zu einer spezifischen Konturierung führt. Einerseits geht es darum, den Begriff nicht allzu exklusiv werden zu lassen (Stichwort »Bekehrung«), um die damit »verbundenen Aversionen auszuschließen« (99). Andererseits je­doch soll er sich aber auch nicht in einer zu großen Weite verlieren, indem jegliche Änderungen in Glaubenseinstellungen thematisiert werden. In der Folge werden nur diejenigen Glaubensveränderungen als Konversion bezeichnet, die »in ein kommunikatives Umfeld ge­stellt« (ebd.) sind. Auf den Punkt gebracht wird das von Michael Herbst in Formulierungen wie »Konversion will Kommunion« oder »Konversion ohne Kommunion wird nicht zu einer mündigen Gestalt des Christseins führen« (218). Deutlich kommt hier zum Ausdruck, wie ein in spezifischer Weise theologisch normiertes Grundverständnis zu einer bestimmten Profilierung des Konversionsbegriffes führt, was sich dann auch in den Ergebnissen der empirischen Untersuchung widerspiegelt. Dort zeigt sich nämlich, dass die theologisch motivierte vorab entwickelte Konversionstypologie (Lebenswende-, Entdeckungs- und Vergewisserungstyp) »nicht in der von ihr verlangten dreifachen Dissoziation bestätigt werden konnte« (83), wie Anna-Konstanze Schröder ausführt (Die persönliche Konversionserfahrung und das kirchliche Angebot. Empirische Daten zur Greifswalder Konversionstypologie, 67–87). »Wahrscheinlich werden Konversionen sowohl als Prozess und auch als plötzliches Geschehen erlebt, und zwar von demselben Konvertiten.« (86)
Insgesamt zeigt sich, dass »Konversionen nicht so typisch verlaufen wie (nicht nur hier) vermutet« (87). Dass damit das Ansinnen einer Intensivierung von Glaubenserfahrungen von Kirchenmitgliedern nicht obsolet wird, betont abschließend vor allem Michael Herbst. Kirche brauche Konversion, weil Volkskirche und Volksmission zusammengehörten. »Volksmission ist dem Volk verpflichtet. Volkskirche ohne Volksmission wäre zu wenig. […] Wer Mission sagt, muss auch Konversion wollen.« (229), so sein abschließendes Votum.
Eine andere, über die christliche Binnensicht hinausgehende Perspektive auf Konversionen entwickelt die von Christoph Elsas herausgegebene Publikation, mit der das VI. internationale Rudolf-Otto-Symposion in Marburg aus dem Jahr 2009 dokumentiert wird. Vor dem Hintergrund auftretender Konflikte um christliche Mission und um Apostasie vom Islam werden mit dem Ziel interreligiöser Mediation die übergeordneten Themen von Glaubensverbreitung und Religionswechsel religionswissenschaftlich und theologisch reflektiert. Damit ist ein weiter Rahmen gesetzt, der sich auch in den Beiträgen widerspiegelt. Eingesetzt wird mit Ab­handlungen zu Grundfragen religionswissenschaftlicher (43–82) und christlicher Systematik (83–143) zu Glaubensverbreitung und Religionswechsel, die in vielfältiger Weise nach Möglichkeiten zu Verständigung und Dialog suchen. Zu Recht erinnert dabei Andreas Feldtkeller daran, dass »die entscheidenden Streitfragen« nicht »im Bereich des Dogmas« (88) zu suchen seien. »Weltweit betrachtet sind Religionen und ihre verbindlichen Ansprüche viel tiefer im Alltagsleben der Menschen verankert, als sich von einer einseitigen Perspektive auf das europäische Christentum her ah­nen lässt. In Bodennähe lässt sich die Leistung, die Religionen für ihre An-hänger einbringen, beschreiben als Gestaltung und Deutung des Menschseins in einem umfassenden Sinne.« (Ebd.)
Welche Aspekte zur Glaubensverbreitung in unterschiedlichen Religionen eine Rolle spielen, wird im dritten Kapitel (Ansätze im Selbstverständnis anderer Weltreligionen, 144–241) beleuchtet. Darauf folgen Überlegungen zu verschiedenen interreligiösen Themen wie Religionsfreiheit (242–259), Glaubensverbreitung (260–281), Religionsmischung als Gefahr und Chance (282–312), Konversion und Identität (313–337) sowie Konfrontation, Konkurrenz und Kooperation im Miteinander der Religionen (338–367), in denen vielfältige Einzelaspekte thematisiert und eine Reihe anregender Impulse gegeben werden. Das abschließende Kapitel dokumentiert gottesdienstliche Elemente verschiedener Religionen wie auch Ausführungen zur Tagungsbilanz. Darin formuliert Christine Lienemann-Perrin eine zweifache Aufgabe für die Religionsgemeinschaften: »(1) eine Annäherung der Perspektiven auf das Recht von Individuen bezüglich Eintritt, Austritt und Übertritt – nicht nur der eigenen Religion, sondern auch in anderen Religionen; (2) eine Einigung darüber, wie viel Differenz im Verständnis von Glaubensausbreitung und Religionswechsel das friedliche Miteinander der Religionen verträgt.« (390)
In der Summe lassen sich beide Publikationen als komplementäre Ausführungen zur Thematik von Konversion und Glaubensverbreitung lesen. Dabei wird schnell deutlich, wie wichtig es ist, Innen- und Außenperspektive aufeinander zu beziehen und aus diesen unterschiedlichen Sichtweisen Impulse für die Entfaltung und Gestaltung theologischer Positionen zu gewinnen. Religiöse Pluralität geht intra- und interreligiös mit Konversionen einher. Schon deshalb ist eine weitere Verständigung darüber unabdingbar. Die beiden Publikationen bieten dafür vielfältige Anregungen.