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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

471–473

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Im Auftrag d. Eugen-Biser-Stiftung hrsg. v. R. Heizmann in Zusammenarbeit m. P. Antes, M. Thurner, M. Selçuk u. H. Albayrak.

Titel/Untertitel:

Lexikon des Dialogs. Grundbegriffe aus Christentum und Islam.

Verlag:

2 Bde. Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2013 (2. Aufl. 2014). 854 S. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-451-30684-6.

Rezensent:

Jutta Sperber

Das zweibändige Lexikon des Dialogs, Grundbegriffe aus Christentum und Islam, das gleichzeitig in deutscher und türkischer Sprache erschienen ist, hat eine sehr interessante und vielsagende Entstehungsgeschichte. Die Eugen-Biser-Stiftung, in deren Auftrag das Lexikon herausgegeben wird, wollte, so die Einführung in das Werk, ihrem Auftrag gemäß Symposien zur Verständigung zwischen Christen und Muslimen durchführen. Gleich bei der ersten Veranstaltung zum Thema Menschenwürde zeigte sich dabei ein grundlegendes Verständigungsproblem zwischen den deutschen und den türkischen Teilnehmern: Viele zentrale Begriffe gab es in der jeweils anderen Sprache nicht, und wenn es sie gab, so hatten sie eine so unterschiedliche Geschichte und religiöse Einbettung, dass sie dennoch zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte be­zeichneten und mehr zu Missverständnissen als zur Verständigung beitrugen. Dieses Problem führte zur Entstehung des Lexikons, das je ca. 330 Grundbegriffe der jeweiligen Religion aus deren Perspektive, sprich von Autoren der jeweiligen Religion, kurz (viele Artikel umfassen nur ein bis zwei Seiten) erklärt, bei gemeinsamen Begriffen stehen christliche und islamische Erklärung hintereinander.
Dieses Prinzip, dass Vertreter der beiden Religionen ihre Begriffe aus ihrer Perspektive und auch nach ihren Kriterien von Wissenschaftlichkeit erklären, ist ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Lexika, die sich mit christlichen und islamischen Inhalten befassen. Es ermöglicht dem Leser in der Tat bereits bei der Lektüre eine Art inneren Dialog, auch wenn Artikel zum gleichen Thema nicht mit ausdrücklichem Bezug aufeinander geschrieben wurden, und erfüllt seinen ausgesprochenen Zweck, auch dem nicht einschlägig wissenschaftlich vorgebildeten Leser den Dialog zu erleichtern und ihn an die fremde, aber vielleicht vielfach auch an die eigene Religion heranzuführen (unter anderem dazu die doppelte, deutsche und türkische Ausgabe des Lexikons), von A wie Abendmahl bis Z wie Zwölferschiiten. Die Auswahl der Themen zeugt vom Sachverstand des Herausgeberteams und ist sehr repräsentativ. Sie umfasst neben den im engeren Sinn religiösen Begriffen (nach der jeweiligen Definition von Religion, die im Islam mehr Bereiche direkt einbezieht als im Christentum, so beispielsweise Finanzwesen) auch aktuelle Streitpunkte in der allgemeinen Diskussion wie zum Beispiel Demokratie.
Die Artikel selbst erfordern aber gerade durch ihre Kürze ein gewisses Vorwissen oder eben weiteres Nachschlagen, besonders wenn es sich nicht um die eigene Religion handelt, da Namen von Personen und Gruppierungen in der Regel ohne weitere Erklärungen genannt werden, was die Einordnung in einen größeren Kontext deutlich erschweren kann. Besonders die muslimischen Autoren tendieren dazu, vermutlich aus ihrem (türkischen) Kontext, bei den Lesern relativ viel vorauszusetzen, was der intendierte deutsche Leser ohne allzu viel Vorbildung eher nicht wissen dürfte.
Unbedingt im Auge behalten sollte der Leser, dass, was auch ausdrücklich in der Einleitung genannt wird, jeder der Autoren nach den Standards von Wissenschaftlichkeit aus seinem Umfeld schreibt, sprich: dass historische Kritik auch an den eigenen Glaubensquellen im Bereich westlicher christlicher Theologie (die christliche Orthodoxie ist bei den Autoren überhaupt nicht vertreten und ansonsten gibt es ein deutliches Übergewicht katholischer Theologen) viel stärker geübt wird als im islamischen Bereich. Auch eine umfassendere religionswissenschaftliche Perspektive ist bei den christlichen Artikeln eher anzutreffen. Die muslimische Seite wird, was wohl entstehungsgeschichtlich bedingt ist, ausschließlich von türkischer Seite vertreten, mit einem deutlichen Übergewicht der Universität Ankara und damit deren theologischer Schule, die sicher nicht die konservativste im islamischen Bereich ist. Das bedeutet zunächst ganz praktisch, dass die islamischen Fachbegriffe in ihrer türkischen Form genannt werden und die originalen arabischen Begriffe nur in einer Transkriptionstabelle am Ende greifbar sind. Für nichttürkische Leser ist das eine zusätzliche Erschwernis, da islamische Fachbegriffe in Deutsch land normalerweise in der arabischen Originalform verwendet werden. Außerdem bedeutet die Autorenauswahl natürlich, dass kein Vertreter der Schia einen Artikel geschrieben hat, nicht einmal den über die Schiiten, während auf christlicher Seite selbstverständlich ein Professor der evangelischen Theologie den Artikel über Reformation geschrieben hat.
Hier ist zu vermuten, dass eine Ausweitung des Autorenkreises auf muslimischer Seite wohl zu kompliziert gewesen wäre, sei es aus inhaltlichen, sei es auch nur aus praktischen Gründen, auch wenn es die Repräsentativität erhöht hätte. Zu den Beigaben des Lexikons gehört dankenswerterweise auch eine Auflistung der in den jeweiligen muslimischen Artikeln verwendeten Hadithquellen, die natürlich wieder in türkischer Übersetzung sind, aber gut zeigen, dass wirklich fast ausschließlich mit den wichtigsten und glaubwürdigsten Hadithsammlungen gearbeitet wurde. Etwas dürftig fallen die Literaturhinweise aus, gerade was deutsche Veröffentlichungen zum Islam angeht. Da werden nur Werke genannt, die sich mit Philosophie und Philologie beschäftigen. Angesichts der Tatsache, dass man sich in der deutschen Ausgabe dieses Werkes auch und gerade an deutschsprachige Leser christlichen Hintergrunds wendet und es ja um Begriffe in ihrer religiösen Prägung geht, wäre es wichtig gewesen, auch Einführungs- oder Überblickswerke in die Religion Islam zu nennen, die es in deutscher Sprache durchaus gibt. Diese kritischen Hinweise sollen den Wert des Werkes als Ganzes allerdings in keiner Weise schmälern. Als Nachschlagewerk, als das es ja konzipiert wurde, ist es von höchstem Wert, und es lohnt sich, auch ohne konkrete Notwendigkeit einfach zu blättern und da zu lesen, wo ein Artikel das eigene Interesse erweckt. Auch einschlägig vorgebildete Leser dürften noch auf interessante Neuigkeiten stoßen, gerade in der Gegenüberstellung von christlicher und muslimischer Perspektive, die auch manche Beeinflussung hinüber und herüber zeigen kann, die nicht im allgemeinen Bewusstsein ist, beispielsweise, was ein so verhältnismäßig neues Thema wie Evolution angeht. Aus diesen Gründen wäre auch eine Übersetzung in weitere Sprachen, allen voran vielleicht Englisch und Arabisch, sehr wünschenswert.
Besonders erwähnens- und lobenswert ist das Verhältnis von Ausstattung und Preis: Die beiden Bände im robusten und daher auf fleißige Benutzung ausgelegten Hardcover haben einen Ladenpreis (in Deutschland) von nur 38 Euro. Dies ist sicherlich der finanziellen Unterstützung durch die Eugen-Biser-Stiftung zu danken und ermöglicht die Anschaffung dieses Lexikons nicht nur durch Bibliotheken, sondern auch durch interessierte Privatpersonen. Wen immer der christlich-muslimische Dialog interessiert, dem sei dieses Werk zur Einsichtnahme und auch zur Anschaffung ausdrücklich empfohlen.