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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

468–469

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Goetz, Hans-Werner

Titel/Untertitel:

Die christlich-abendländische Wahrnehmung anderer Religionen im frühen und hohen Mittelalter. Methodische und vergleichende Aspekte.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2013. 82 S. = Wolfgang Stammler Gastprofessur für Germanische Philologie, 23. Geb. EUR 39,95. ISBN 978-3-11-033501-9.

Rezensent:

Christoph Auffarth

Auf 35 Seiten fasst G. das Ergebnis seiner Forschungen zusammen, die er in einem fast 1000-seitigen Werk erarbeitet hat (Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter, 5.–12. Jahrhundert. Berlin: Akademie Verlag 2013, 942 Seiten). Davor steht eine knappe Laudatio der einladenden Universität, namens der Professorin Regula Schmid Kehling (7–10), danach (49–82) folgt eine umfassende Bibliographie G.s, sicher einer der bedeutendsten Historiker des Frühmittelalters, der Spätantike und des Hochmittelalters, mittlerweile emeritiert an der Universität Hamburg. Der Bezug und die Auseinandersetzung mit der Forschung geschehen eher knapp und selten sind Kontroversen diskutiert. Dafür verfügt G. über eine umfassende Kenntnis der Quellentexte und zitiert gut gewählte Beispiele aus ihnen. In sechs Unterkapiteln fasst er seine Ergebnisse zusammen.
I. Zunächst die Terminologie: G. hält fest, dass eher ethnisch differenziert wird denn nach Religionen. Das wäre zu differenzieren: der spätantike Begriff für Heiden, pagani, ist ein sozialer Begriff (»Dörfler« gegen vorwiegend städtische Christen); Sarazeni kein ethnischer; und: Ethnische Begriffe können in religiöse umschlagen. Gewichtig das Beispiel aus dem Apokalypsekommentar des Alcuin, der das Bild der Heuschrecken auf die Häretiker anwendet (19). – II. Wussten die mittelalterlichen Christen nichts über die Andersgläubigen? G. macht klar, dass viele »Informationen« reine Topoi sind, die man über jede fremde Religion aussagen könnte. Aber an den Kontaktzonen gibt es teils intime Kenntnisse, die die internen Kontroversen kennen und nutzen. Hier wäre das Ge­spräch mit der Religionswissenschaft zu diesen Fragen nötig. Denn die innerchristlichen Auseinandersetzungen etwa der karolingischen Synoden sind Konflikte, die durch äußere Anstöße ausgelöst sind: Die Verehrung der Bilder und die Christologie antworten auf islamische und griechisch-orthodoxe Herausforderungen. Die religiös-kulturellen Transfers im Kalender (Arno Borst zum Astrolab), in der Medizin, Astrologie, Naturtopik der Antike (Auffarth, Pluralismus) verhandeln religiöse Differenzen unter anderen Kategorien oder nutzen islamische Errungenschaften, ohne ihre religiös-kulturelle Herkunft zu benennen. – III. In den Bewertungen der Kategorien Heiden, andere Religionen, Häretiker stellt G. fest, dass andere Religionen nicht durchwegs negativ gesehen sind, selten werden sie sogar als vorbildlich dargestellt. – IV. Das Problem, dass es im Mittelalter keinen Begriff für (andere) Religionen gibt, wird (V.) besonders am Islam deutlich. Ist der Islam eine christliche Häresie, die neueste unter den 99 vorher schon bekannten? Heidentum eher nicht, obwohl die Autoren gerne den Vorwurf der Bilderverehrung (ausgerechnet im Islam!) voneinander ab­schreiben.
Ein dreijähriges Projekt zu einer zentralen Kategorie ist damit ab­geschlossen. Die vielleicht wichtigste Beobachtung ist: Das Mittelalter ist nicht einfach das Zeitalter des Glaubens, da Religion, Gesellschaft und Herrschaft nicht voneinander zu unterscheiden waren. Religion ist unterscheidbar von den anderen sozialen und kulturellen Größen. Das Projekt widmete sich im Wesentlichen den Aussagen der Geschichtsschreiber, Klerikern also aus dem Westen und der Mitte Europas. So sind die Quellen in hoher Dichte erschlossen, wenig zur Forschungsliteratur. Wenig zu Konzilien und Rechtsquellen. Kaum etwas zum Perspektivenwechsel. Nichts zu den Kontaktzonen (etwa Deimann, Sevilla 2012). Nur sekundär zu Bildern. Die zeitliche Grenze nach oben (Hochmittelalter) bleibt unbestimmt und wichtige Autoren (wie Bernhard von Clairvaux oder Wilhelm von Tyrus) fehlen weitgehend. Insgesamt aber ein großes Werk, auf das künftige Forschung aufbauen kann und muss.