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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

437–439

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kreutzer, Ansgar, u. Franz Gruber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Im Dialog. Systematische Theologie und Religionssoziologie.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2013. 400 S. m. 6 Abb. = Quaestiones disputatae, 258. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-451-02258-6.

Rezensent:

Yvonne Jaeckel/Gert Pickel

Die Fachbereiche Theologie und Soziologie stehen seit jeher in einem ambivalenten Verhältnis zueinander. Der von Ansgar Kreutzer und Franz Gruber herausgegebene Sammelband eröffnet nun den spezifischen Dialog zwischen Systematischer Theologie und Religionssoziologie. Dabei ist es besonders hilfreich, dass dem Sammelband eine klare Konzeption zugrunde liegt, welche den Dialog auf fünf interdisziplinäre Schwerpunkte fokussiert, die wiederum von den Herausgebern mit einer gesonderten Ein-leitung versehen worden sind. Zudem sind die Dialogfelder je­weils mit einem theologischen und einem soziologischen Beitrag besetzt worden, was dem Vorhaben eines Dialogs angenehm Rechnung trägt. Ein erster grundlegender Themenbereich beschäftigt sich mit dem derzeitigen Forschungsstand und theoretischen Überlegungen zum Dialog zwischen Systematischer Theologie und Religionssoziologie.
Ansgar Kreutzer und Sibylle Trawöger betrachten den Stand des Verhältnisses von Theologie und Soziologie aus wissenschaftstheoretischer Perspektive und kommen zu dem Ergebnis, dass der Theologie vornehmlich die Teilnehmerperspektive und der Soziologie die Beobachterperspektive zugesprochen wird und beide Fächer sich auch gegenseitig in dieser Art wahrnehmen. Hans-Joachim Höhn schlägt im folgenden Beitrag zur interdisziplinären Hermeneutik die »Theorie religiöser Dispersion« (63) vor, welche durch ihre »phänomenologische Grundlage« (63) ermöglicht, Religion und Religiosität auch in ihrer heute teilweise diffusen Er­scheinungsform zu erfassen. Franz-Xaver Kaufmann widmet sich schließlich der historischen Genese der Beziehung von Theologie und Soziologie, arbeitet dabei aber erfreulicherweise konfessionsvergleichend, was in bisherigen Darstellungen der Fachbereiche oft zu kurz kommt. Der erste Themenbereich liefert damit einen gu­ten Einstieg insbesondere für diejenigen, die sich bislang wenig Gedanken über die Notwendigkeit eines derartigen Dialogs ge­macht haben. Etwas problematisch erscheint die Fokussierung auf qualitative methodische Verfahren, da der Dialogpartner Religionssoziologie doch in seiner methodischen Ganzheit wahrgenom men werden sollte. Glücklicherweise löst sich dieses Problem durch spätere auch quantitativ empirisch arbeitende Beiträge (z. B. Ebertz) dann etwas auf. Im Hintergrund der ersten Schwerpunktsetzung des Sammelbandes schwingt zudem das Problem der Definition von Religion mit, welche als Arbeitsgrundlage für Religionssoziologen gerade bei quantitativen Verfahren unabdingbar ist. Leider wird dies im einführenden Bereich des Bandes nicht ausformuliert. Dabei wäre gerade die Definitionsproblematik Aufgabe und Praxisgegenstand einer interdisziplinären Arbeit beider Fä­cher. Die weiteren Themenfelder des Sammelbandes sind weniger einführend konzipiert, sondern steigen tiefgründig in den interdisziplinären Raum von Soziologie und Theologie ein und führen Dialoge, die beim Leser durchaus einiges an Vorwissen voraus-setzen.
Der zweite Themenbereich fokussiert die gesellschaftliche Funktion von Religion, wobei unterschiedlichste religionssozio-logische Theorieansätze zur Geltung kommen. Während Hans-Ulrich Dallmann auf Basis empirischer Ergebnisse und im ­An-schluss an Niklas Luhmann gegenwärtige Transformationen von Religion beschreibt, widmet sich Michael N. Ebertz anschließend dem Thema aus pastoraltheologischer Sicht und plädiert für eine differenzierte Sicht auf das Paradigma der Säkularisierung, wonach die Dimensionen der Säkularisierung – Entkirchlichung, Entchristlichung und Bedeutungsschwund – hinsichtlich der sozialstrukturellen, kulturellen und persönlich-individuellen Ebenen getrennt betrachtet werden sollten.
Ein dritter Themenschwerpunkt ist den Geltungschancen von Religion in der modernen Gesellschaft gewidmet, der damit auf das Verhältnis von Religion und Öffentlichkeit rekurriert. José Casanova erweitert dabei noch einmal die Perspektive, indem er unter Rückgriff auf Eisenstadts Konzept multipler Modernen die Weltreligionen in ihrer spezifischen Art, mit Modernisierung umzugehen, auf globaler Ebene gegenüberstellt. Aus philosophisch-theologischer Perspektive spricht sich David Tracy dann dafür aus, die verschiedenen in der Gesellschaft vorfindbaren Öffentlichkeiten wahrzunehmen und in ebendiesen Bereichen Theologie öffentlich zu kommunizieren. Zu einem ambivalenten Verhältnis von Theologie und Soziologie gehören selbstredend auch Dissonanzen, denen in einem weiteren Kapitel Raum gegeben wird. Die historische Nähe der Religionssoziologie zur Religionskritik wird von Maria Dammayr beschrieben, während sich Walter Raberger der impliziten Gesellschaftskritik der Theologie zuwendet.
Besonders empfehlenswert ist der letzte Abschnitt des Sammelbandes, dessen Beiträge sich nicht nur durch ein gemeinsames Themenfeld auszeichnen, sondern explizit aufeinander beziehen. Hier kommt man als Leser – ob nun aus theologischer oder soziologischer Perspektive – in den seltenen Genuss, dass man sich ge­zwungen fühlt weiterzulesen, weil man die Antwort des anderen Dialogpartners nicht abwarten kann. So ist es schon aus religionssoziologischer Perspektive spannend zu lesen, wenn Winfried Gebhardt Grace Davies bekannte Formulierung »believing without belonging« in die Formel »Believing and Belonging, but without any Commitment« (309) umformuliert. Umso interessanter fällt dann auch die theologische Antwort Ansgar Kreutzers aus, indem er mit der Communio-Ekklesiologie und anhand des Beispiels kirchlicher Bildung adäquat auf Gebhardts (für Theologen als solche wahrnehmbare) Provokation antwortet. Zudem werden einige eingangs fehlende Facetten des Dialogs durch die hinteren Beiträge exemplarisch aufgegriffen, was zum einen zeigt, wie produktiv ein Dialog zwischen Systematischer Theologie und Religionssoziologie sein kann, und zum anderen, wie notwendig es ist, diesen Dialog auch in Zukunft weiterzuführen.
Mit Karl Popper lässt sich sagen: »Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.« In seiner gut konzipierten Darstellung erfüllt der Sammelband von Kreutzer und Gruber diese anvisierte Aufgabe und gibt Theologen und Religionssoziologen die Möglichkeit, diese Vielfalt wahrzunehmen und in den Dialog einzusteigen.