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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

433–435

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Baum, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Negativität als Denkform. Die Konstitution monotheistischer Religion erklärt durch Prolegomena zur Ne­gativen Theologie.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014. 302 S. m. Abb. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-77775-1.

Rezensent:

Rico Gutschmidt

Nach einem verbreiteten Vorurteil ist die negative Theologie nicht mit den positiven Aussagen der Religionen vereinbar und es wird angesichts ihrer atheistischen Tendenz oftmals als erstaunlich empfunden, dass sie immer wieder innerhalb der Religionen aufgetreten ist. Aus der Perspektive dieses Vorurteils dürfte es umso erstaunlicher erscheinen, wenn Wolfgang Baum in seiner Habilitationsschrift nicht nur hervorhebt, dass Gedanken negativer Theologie immer wieder im Zentrum des Christentums standen, sondern sogar die These vertritt, dass die negative Theologie den monotheistischen Kern des Christentums überhaupt erst ermöglicht hat. Damit bietet diese Arbeit einen willkommenen Anlass, landläufige Vorstellungen zu überdenken.
B. ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Lehrstuhl für Fundamentaltheologie der Universität Regensburg und war zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter am Dresdner Institut für Katholische Theologie bei Albert Franz, bei dem er promoviert hat und von dem er zu seiner Habilitationsschrift und zur Untersuchung der negativen Theologie angeregt wurde, wie es im Vorwort heißt. Aus seiner Dresdner Zeit kennt er auch Thomas Rentsch vom dortigen Institut für Philosophie, an dessen systematischer Verklammerung von Negativität und Transzendenz sich B. grundlegend und expressis verbis orientiert.
Es gibt bereits seit einigen Jahrzehnten, angeregt nicht zuletzt durch Heideggers Ontotheologie- und Wittgensteins Sprachkritik, ein verstärktes Interesse an nicht-theistischen Lesarten der religiösen Rede, wofür neben der theologischen Wende der französischen Phänomenologie und postmodernen Ansätzen christlicher Theologie auch die Arbeiten u. a. von D. Z. Phillips, Ingolf U. Dalferth oder eben Thomas Rentsch stehen. Bei all diesen Ansätzen geht es um die Frage, wie die religiöse Rede von Gott zu verstehen ist, wenn sie nicht auf einen gegenständlich gedachten Gott referiert, und was diese Negationen angesichts ihrer atheistischen Tendenz überhaupt motiviert. Hier bezieht B. ganz klar Stellung, wenn er in der Einleitung programmatisch festhält, dass die Rede von Gott überhaupt erst von der Negation her verstanden werden kann: »Der Sinn eines negativ verstandenen Gottes steht einer positiven Gotteslehre nicht nur nicht entgegen, sondern begründet als Grunderfahrung vielmehr deren rationale Plausibilität. Die Erfahrung der negativen Selbstbekundung Gottes ›als der ganz Andere‹ steht am Beginn der Reflexion und bedeutet nicht ihr Ende« (23).
Bevor er solche allgemeinen Überlegungen am Schluss der Un­tersuchung weiterführt, liefert B. ein umfangreiches Quellenstu-dium von Texten aus der Vor- und Frühzeit des Christentums in Antike und Spätantike, die er auf Elemente negativer Theologie hin in den Blick nimmt. Ziel dabei ist, seine These zu belegen, dass die besagte negative Selbstbekundung Gottes nicht nur am Anfang der systematischen Reflexion steht, sondern auch am Anfang der mo­notheistischen Religionen und insbesondere des Christentums.
So findet er Anzeichen negativer Denkformen bereits in mesopotamischen und persischen Hochkulturen und im Vor- und Umfeld des Alten Testaments (Kapitel 1) und dann vor allem in den älteren Schichten des Alten Testaments selbst, wobei er hauptsächlich auf das Bilderverbot eingeht, was mit einem Ausblick auf das Problem religiöser Kunst abgerundet wird (Kapitel 2). Für die These zum »konstitutiven Zusammenhang von Bilderverbot, Nega-tiver Theologie und Monotheismus« (67) sprechen dabei Beobacht ungen wie die folgende: »Die zentrale Aussage eines alles transzendierenden, sich jedweder menschlichen Manipulierbarkeit entziehenden Gottes […] impliziert ein stetes Moment negativer Gottrede, will der Mensch der allenthalben drohenden Gefahr der Vergötzung vorgreifen« (59). Der Hauptteil der Arbeit widmet sich dem Christentum in der hellenistischen Spätantike (Kapitel 3), wozu der Mittelplatonismus Philos von Alexandrien (Abschnitt 3.3) ebenso herangezogen wird wie das Corpus Hermeticum (Abschnitt 3.4) und das Neue Testament selbst (Abschnitt 3.5). Auch die Gnosis (Abschnitt 3.7) und die Codices von Nag Hammadi (Abschnitt 3.8) kommen in den Blick. Für seine These kann B. hier vor allem zwei Punkte geltend machen. Zum einen verweist er auf die philosophische Durchdringung der christlichen Lehre im Hellenismus, die zur Akzeptanz der Religion unter den Gebildeten beigetragen hat (100) und für die negative Denkformen eine entscheidende Rolle gespielt haben: »Negative Denkstrukturen in der platonischen Prinzipienlehre […] werden dabei auf die neutestamentlichen Glaubenstexte von Tod und Auferstehung Jesu als einmaliger Heilstat Gottes übertragen« (ebd.). Zum anderen muss er zwar einräumen, dass »[d]ie gesamte Anlage der neutestamentlichen Schriften […] einer negativen Gottrede […] größtenteils entgegen [tritt]« (138), kann aber doch auf den Johannesprolog verweisen und in diesem insofern ein »›negativ-theologisches‹ Vorzeichen« (49) geltend machen, als »[…] sich zwar Gott in seinem Sohn geoffenbart hat, allerdings ausschließlich vom Sohn und nur durch ihn erkannt werden kann« (ebd.). Außerdem spielt die negative Theologie für die Vereinbarkeit von Inkarnation und Trinität mit dem Monotheismus eine entscheidende Rolle (97). Ein eigenes Kapitel widmet sich Markion (Kapitel 4) und der »[…] konstitutiven Funktion seiner Negativen Theologie des ›fremden Gottes‹« (213), bevor dann ab­schließend ein Ausblick auf Renaissance und frühe Neuzeit ge­geben und Bilanz gezogen wird, wobei die systematischen Überlegungen der Einleitung wieder aufgegriffen werden (Kapitel 5).
Diese Überlegungen werden mit der Diagnose eines metaphysischen Heimatverlusts des Menschen zu Beginn der Neuzeit eröffnet (255), die, zusammen mit der These, die negative Theologie hätte »[…] die Entstehung und Entwicklung monotheistischer Überzeugungen beschleunigt, wenn nicht gar ermöglicht« (261), zu dem Desiderat einer erneuerten Theologie aus dem Geiste der negativen Theologie führt. Dies wird, angelehnt wiederum an die Arbeiten von Thomas Rentsch, auch systematisch damit begründet, dass Sinn für den Menschen, ob religiös oder nicht, mit Negativität verbunden ist: »Gegen das herkömmliche und bislang gültige ok-zidentale Vorhandenheitsdenken in Theologie und Philosophie er­wachsen Sinnpotenziale aus der Erfahrung von Alterität und Entzogenheit« (263). Wenn man sich auch eine stärkere Verbindung dieser systematischen These zu den historischen Quellenstudien gewünscht hätte, so muss B. darin zugestimmt werden, dass die negative Theologie noch bei Weitem nicht ausgeschöpfte Potentiale birgt, die nicht nur für die Interpretation der religiösen Rede, sondern ganz allgemein für ein angemessenes Verständnis der menschlichen Situation von größter Bedeutung sind. Dabei kann es als das große Verdienst B.s angesehen werden, gezeigt zu haben, dass die Negativität im Zentrum der großen monotheistischen Religionen steht, die damit, was das Verständnis der menschlichen Situation betrifft, am Ende aufgeklärter als die Aufklärung selbst sind. Eine solche Aufklärung über Negativität aber weiter zu entfalten, ist bleibende Aufgabe von Theologie und Philosophie, wobei man sogar davon sprechen könnte, dass diese darin einen gemeinsamen Kern finden.