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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

417–419

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Sous la direction de B. Lauret. Dirigé par D.-O. Hurel et M.-C. Pitassi.

Titel/Untertitel:

La Théologie. Une anthologie. Sous la direction de B. Lauret. Vol. 4: Les temps modernes. Dirigé par D.-O. Hurel et M.-C. Pitassi.

Verlag:

Paris: Les Éditions du Cerf 2013. 606 S. = Initiations générales. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-2-204-09546-4.

Rezensent:

Fritz Lienhard

Das Ziel dieser Reihe besteht darin, einen Weg anzubieten von der Entstehung des Christentums bis zur zeitgenössischen Theologie. Sechs Bände sind vorgesehen: christliches Altertum, Mittelalter, Renaissance und Reformation, Neuzeit, Moderne, Krise und Er­neuerung bis zur Gegenwart. Dabei drückt sich Theologie auf unterschiedliche Weise aus: in Briefen, Apologien, Schriftkommentaren, Predigten, Kirchenliedern, Katechismen, in mystischen und moralischen Schriften, Streitschriften usw. Genauso unterschiedlich sind die Entstehungsorte solcher Texte. In allen Bänden gibt es ausführliche Einleitungen zur untersuchten Zeitperiode, aber auch zu jedem Text und jedem Verfasser.
Im vorliegenden Band lassen sich Texte von Turrettini, Baxter, Richelieu, Bérulle, Tronson, Olier, Jansenius, Bossuet, Claude, Fléchier, Grotius, Amyraut, Cocceius, Jurieu, Colbert de Croissy, Du Bosc, Le Jeune, Martin, Drelincourt, Sales, Bernières, François, Le Bouthillier de Rancé, Cappel, Clauberg, Spinoza, Le Clerc, Simon, Lemaistre de Sacy, Daillé, Basnage, Bayle, Mabillon, Alsted, Meyer, Burman, Wittich, Bayle, Lamy, Malebranche, Locke, Dury, Marion, Civoré, Poiret, Guyon, Caussade, Abelly, Alexandre, Duvergier de Hauranne, Arnauld, Pascal, Nicole, Quesnel, Bekker, Cherbury, Toland, Huber, Tyard de Bissy, Abbadie, Jaquelot, Derham, Nieuwentijt, Pluche, Vernet, Butler, Houtteville, Tillotson, Ostervald, Calmet, Varnerot, Girard de Villethierry, Fayal de Saint-Parfait, Spener, Wesley und Dantine finden. Auch finden sich Auszüge aus den Glaubensbekenntnissen von Westminster, aus dem der Waldenser, die Canones von Dordrecht sowie die »Vier Artikel« der Gallikaner von 1682, die synodalen Verfassungen von 1690, der »Mandement épiscopal« von 1724, die Konstitution Unigenitus von 1713 gegen die Jansenisten im Katholizismus, und schließlich die Liturgien von Neuchâtel und Genf. Anschließend, nach diesen Texten, erhält der Leser nützliche biographische Notizen zu den verschiedenen Theologen der besprochenen Zeit, eine sehr ausführliche Bibliographie sowie einen Index der biblischen Verweise, der Ortsnamen und der Personen. Am Ende werden die verschiedenen Mitarbeiter vorgestellt.
Inhaltlich handelt es sich um eine Zeit, die eher undankbar für die Theologie ist. Der vorliegende Band bietet Texte, die zwischen 1600 und 1750 geschrieben wurden, in der Zeit der Konfessionen also, in der die große Kreativität der evangelischen und katholischen Reformationen zum Ende gelangte und die Positionen sich verfestigten. In dieser Zeit werden die theologischen Identitäten genauer definiert und die Theologie entfaltet sich im konfessionellen Streit. Die Texte zeugen von den umstrittenen Erbschaften, von der Suche nach Gleichgewichten und von wichtigen Verwandlungen in den Institutionen, im Glauben der Einzelnen, im intellektuellen wie im sozialen Umfeld. Der letzte Teil zeugt von den Vorformen der Aufklärung, die die traditionellen Glaubensüberzeugungen infrage stellen und die Theologen zwingen, den Glauben ihrer Kirchen neu zu denken, neue Strategien zu erarbeiten und die Wahrheit des christlichen Glaubens zur Geltung zu bringen.
Der Band folgt nur zum Teil der Chronologie und bevorzugt eher eine thematische Annäherung, die besser die komplexe Art der Erarbeitung der Diskurse wiedergeben kann. Es geht dabei nicht nur um die Diskurse, sondern auch um die christliche Praxis zu dieser Zeit. Der erste Teil spricht von der Vermittlung des Glaubens nach dem Bruch im 16. Jh. Es geht um theologisches Wissen, das oft im Streit erarbeitet wird, um normative und institutionelle Texte, um geistliche und homiletische Schriften. Nur bei der Lektüre dieser hier vorliegenden Gesamtheit unterschiedlicher Texte erspürt der Leser die Art, wie die Kirchen versucht haben, ihren Glauben auszusagen und den der Glaubenden zu gestalten. Im zweiten Teil zeigen die Texte dann auch, wie die Gewissheiten anfangen zu bröckeln, sei es auf der methodologischen, der dogmatischen oder der spirituellen Ebene. Diese Entwicklung wurde von außen verursacht durch die Philosophie, die Wissenschaft oder die »libertinische« Entwicklung, aber auch durch interne Phänomene der christlichen Kultur wie die größere Kenntnis der Heiligen Schrift und der Kirchenväter, die Auseinandersetzungen um die Praxis der Sakramente, die Reflexionen zur Lektüre der Heiligen Schrift in Volkssprache oder die konfessionellen Streitigkeiten selbst. Dabei waren die Antworten der Institutionen und der Theologen nicht einseitig, sie gingen von der Integration bis zur Verwerfung. Im 18. Jh. wurde in beiden Konfessionen der Glaube verändert, dies zeigt sich in den Texten, die die Theologie, die Frömmigkeit und die Liturgie betreffen. So zeigt sich zum Beispiel, wie die Beziehung des Einzelnen zu Gott in der religiösen Praxis immer mehr bevorzugt wird (beispielsweise im Pietismus); wie in der Theologie die natürliche Theologie einen immer größeren Platz erhält, auch unter dem Einfluss von Descartes; wie die Theodizee gedacht werden muss und wie die moralischen Überlegungen der Spekulation gegenüber einen größeren Raum einnehmen.
Das Lesen dieses Bandes eröffnet die Möglichkeit eines größeren Verständnisses der theologischen Dynamik des modernen Chris­tentums, sowohl bei den Eliten wie bei den normalen Christen. Dabei handelt es sich um eine Anthologie mit recht kurzen Texten. Das Buch ist natürlich den Kirchengeschichtlern zu empfehlen, bietet indes auch Studierenden eine hervorragende Einleitung in die Theologie dieser Zeit, selbst »Neugierige« finden hier interessante Texte. Wer wissen will, wie die Kirche als Autorität zu dieser Zeit eine Unterwerfung »im Geist und im Herz« verlangt, lese den Text von Kardinal Tyard de Bissy, ein Modell in dieser Gattung. So lässt sich auch verstehen, gegen was die Aufklärung zu kämpfen hatte. Das Buch konzentriert sich auf den französischsprachigen Bereich, was auch sinnvoll ist: handelt es sich doch um eine Zeit, in der Frankreich Weltmacht war, sowohl politisch wie auch wirtschaftlich und kulturell. So ist das durchaus sinnvoll zu sehen, wie in dieser Zeit die Theologie aussehen konnte in diesem Land. Dabei lässt sich doch bereuen, dass die alt-protestantische Orthodoxie im deutschsprachigen Bereich nicht vorkommt. Genauso kommen die Werke von H. Bost zu Pierre Bayle, z. B., nur am Rande vor. Das ändert aber nur wenig an der beeindruckenden Leistung.