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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

407–411

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Im Auftrag d. Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. v. H. Scheible

Titel/Untertitel:

Melanchthons Briefwechsel. Kritische u. kommentierte Ge­samtausgabe.
Bd. T 13. Texte 3421–3779 (1544). Bearb. v. M. Dall’Asta, H. Hein u. Ch. Mundhenk. Hrsg. v. Ch. Mundhenk.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2012. 631 S. Lw. EUR 284,00. ISBN 978-3-7728-2574-3.

Rezensent:

Michael Beyer

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Melanchthons Briefwechsel. Kritische u. kommentierte Ge­samtausgabe. Im Auftrag d. Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. v. H. Scheible. Bd. T 12: Texte 3127–3420a (1543). Bearb. v. M. Dall’Asta, H. Hein u. Ch. Mundhenk. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2011. 533 S. Lw. EUR 284,00. ISBN 978-3-7728-2535-4.
Melanchthons Briefwechsel. Kritische u. kommentierte Ge­samtausgabe. Im Auftrag d. Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. v. Ch. Mundhenk. Bd. T 14: Texte 3780–4109 (1545). Bearb. v. M. Mundhenk, M. Dall’Asta, H. Hein. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2013. 624 S. Lw. EUR 284,00. ISBN 978-3-7728-2575-0.


Die Heidelberger Melanchthon-Forschungsstelle unter Leitung von Christine Mundhenk hat den Briefwechsel des Reformators – nunmehr mit stabilem Mitarbeiterstab und weiterhin mit Unterstützung beim Korrekturlesen durch den Altherausgeber Heinz Scheible – in der gewohnten Qualität und Pünktlichkeit weitergeführt. Für den Besprechungszeitraum wurden in drei Bänden die Texte und Apparate von beinahe 1000 Stücken ediert, wobei mehr als 100 entweder neu hinzugekommen sind oder erst jetzt vollständig ediert werden konnten.
Die Mehrzahl dieser Stücke wurde bereits während der Arbeit an den Regestenbänden gefunden und mit a-Nummern in die laufende Zählung eingefügt. Für die erst nach Abschluss des Regestenwerkes mit MBW 9 neu aufgefundenen Stücke – ihre Nummern wie auch andere Veränderungen in der Regestenzählung sind in den Vorworten abgedruckt – werden die Regesten unmittelbar vor die Texte gestellt. Hin und wieder kann an einer ursprünglich festgelegten Briefnummer nicht mehr festgehalten werden, weil die Datierung verbessert wurde, und eine einmal vergebene Nummer begreiflicherweise auch nicht mit einem anderen Brief verbunden werden konnte. So ersetzt jetzt z. B. in Bd. T 13 die Nr. 3671a die aufgelassene Nr. 3776. Solche nachträglichen Verschiebungen oder gar nachzutragenden Regesten brachten für die Benutzer älterer Editionen oft Probleme mit sich, denn sie mussten handschriftlich nachgetragen werden. Die Kombination der Regesten- und Textbände mit dem elektronischen Regestenportal von MBW macht das überflüssig. Deshalb soll hier – wie bereits bei der Rezension der vorangehenden Bde. T 10 f. – ausdrücklich auf den wissenschaftlichen Wert von »Melanchthons Briefwechsel – Regesten online« (http://www.haw.uni-heidelberg.de/forschung/forschungsstellen/melanchthon/mbw-online.de.html) hingewiesen werden. Dieses elektronische Hilfsmittel erlaubt u. a. das schnelle Auffinden solcher Verschiebungen, weil auch die alten, aufgelassenen Nummern in das Nummern-Feld der Suchmaske eingegeben werden können und man am Fundort sofort zur neuen Nummer weitergeleitet wird. Auf diese Weise verbessert sich übrigens auch die Arbeit mit der Literatur, deren Fußnoten noch auf solche alte MBW-Nummern verweisen.
Neben den Briefen von und an Melanchthon, die naturgemäß den Hauptteil der abgedruckten Texte ausmachen, findet sich von 1543 bis 1545 die große Zahl von 25 Vorreden zu eigenen und fremden Werken, manchmal auch anonym für Dritte (in einem Fall ist Melanchthon selbst Widmungsempfänger, nämlich von Seiten Johannes Calvins zu dessen Schrift über die Willensfreiheit gegen Albert Pigge; T 13, 3157). Die Vorreden zeigen mit ihrer großen thematischen Bandbreite Melanchthons überragende Kenntnisse und seine Urteilsfähigkeit auf den meisten Gebieten des akademischen Wissens. Ähnlich wie bei den Vorreden Luthers und anderer Reformatoren sollte der Reichtum dieser immer noch ungenügend erforschten Textsorte mehr Beachtung finden. Insofern war es eine gute und nachhaltige Entscheidung, die Vorreden in die Edition von Melanchthons Briefwechsel aufzunehmen. 1543 bis 1545 überwiegen die Vorreden zu theologischen Büchern, aber mit Ausnahme von medizinischen Werken hat Melanchthon alle Fakultäten berücksichtigt. Eine der Widmungsvorreden zu einem selbstverfassten Werk, der Danielauslegung von 1543, richtet sich an Herzog Moritz von Sachsen (T 12, 3131). Hier wird die Verantwortung des sehr jungen, erst 1541 ins Regiment gekommenen albertinischen Fürsten für das Gemeinwesen und insbesondere die Kirche und die christlich-humanistische Bildung vor dem Hintergrund der Weltgeschichte und der letzten Zeit thematisiert. Vorreden an Fürsten waren nicht unüblich, gehen jedoch in ihrer Zielrichtung oft über ein persönliches Interesse des Autors – etwa der Finanzierung des Drucks – hinaus, was auch hier der Fall sein dürfte. Denn Melanchthon schrieb diese Widmungsvorrede in eine Situation hinein, in der die Weiterentwicklung der kirchlichen Neuordnung in dem erst 1539 evangelisch gewordenen Land durch Moritz, seine Räte, die Landstände und Superintendenten feste Konturen annahm (Neue Landesordnung 1543, z. B. mit dem Landesschulplan). Der alte in­nerwettinische Gegensatz wurde nun zwar nicht mehr vornehmlich über Religionsfragen ausgetragen wie zu Zeiten Herzog Georgs des Bärtigen, setzte sich aber u. a. aufgrund von persönlichen Animositäten zwischen Kurfürst Johann Friedrich und Herzog Moritz fort, der sich gerade in der Kirchenpolitik jeder Einmischung aus dem Kurfürstentum zu entziehen suchte und deshalb auch von Luther beargwöhnt wurde. Melanchthons Stimme dürfte in dieser Hinsicht unverdächtiger gewesen sein. Und er nutzte sie, indem er u. a. bei Gott für den Fürsten ein gesegnetes und glückliches Regiment im Vaterland erbat und den gleichen Wunsch auch auf das andere und eigentliche Vaterland, die Kirche bezog, was sich leicht auf die Einheit der Evangelischen im Reich deuten ließ.
Eine andere Vorrede richtet sich an die Leser von Melanchthons Loci theologici in der mittlerweile zweiten Neubearbeitung des berühmten Werkes von 1521, die 1543 abgeschlossen wurde, 1544 im Druck vorlag, und an der er bis 1559 weiterarbeitete (T 12, 3419; vgl. die große Zahl der Drucke und Nachdrucke). Diese Vorrede ist insofern von großer Bedeutung, weil sie Einblick gibt in Melanchthons Vorstellung von der Lehrbildung in der evangelischen Kirche. Ursprünglich eine Aufstellung der wichtigsten Inhalte des Glaubens für seinen persönlichen Gebrauch, dann verbreitet und aufgrund der Auseinandersetzungen mit den Gegnern durch weiteres Material ergänzt, werden die Hauptartikel des Glaubens der ganzen christlichen Gemeinde zur Beurteilung vorgelegt, also in einen umfassenden Diskurs gestellt. Melanchthon weiß sich im Einklang mit der »Lehre der Wittenberger Kirche und der ihr Verbundenen, die unzweifelhaft Konsens ist in der allgemeinen [catholica] Kirche Christi, d. h. Konsens aller Bessergebildeten [ omnium eruditiorum] in der Kirche Christi« (13, 502, 24–26).
Obwohl zuvor römische Theologen wie Eck oder Cochlaeus als üble Gegenspieler genannt werden, ergeht die Einladung zum Diskurs an die gesamte Kirche, wobei jedoch vorausgesetzt ist, dass sich alle gemeinsam mit der Wittenberger Kirche um rechte christliche Bildung bemühen. Ein personengebundenes Lehramt ist ausgeschlossen. Der evangelische Lehr-Diskurs lebt also grundsätzlich von den persönlichen Bemühungen einzelner fachlich geeigneter Christen. Melanchthon ist davon überzeugt, dass für dessen optimale Fortsetzung die gemeinsame Arbeit von Theologen an solchen Loci, also eine institutionelle Klammer, dringend nötig wäre. Oft hätte er darauf hingewiesen, sie auch der besonderen Sorge von »frommen und weisen Fürsten« anempfohlen, sieht aber nun resignierend ein, dass die Kirche nicht von menschlichen Ratschlägen geleitet wird. Deshalb kann nur um die göttliche Unterstützung der Studien gebetet werden und darum, dass Gott viele Menschen auf die Liebe zur Wahrheit und Eintracht ausrichtet. Das Bestehen von (Hoch-)Schulen – als Pflanzstätten des Evangeliums – bleibt wichtigste Voraussetzung, um auf genügend gut ausgebildete »Wächter der prophetischen und apostolischen Überlieferung so­wie der wahren kirchlichen Lehre« zurückgreifen zu können. Ob Melanchthons Vision eines institutionalisierten Lehr-Diskurses in der Realität die evangelischen Lehrstreitigkeiten nach Luthers Tod verhindert hätte, steht dahin. Beendet wurden sie jedenfalls 30 Jahre nach seinen Überlegungen mit dem von evangelischen Obrigkeiten institutionell begleiteten Konkordienwerk.
Melanchthon schreibt u. a. eine Vorrede in Gedichtform zu einer Reisebeschreibung des Paulus Rubigallus durch den Balkan nach Konstantinopel und fordert darin die christlichen Leser zur Klage über das Fehlen des Gotteswortes und die Tyrannei des Sultans sowie zum Gebet zum Schutz vor den Türken auf (T 13, 3777). Es finden sich weiterhin Vorreden zu Mathematik- und Grammatiklehrbüchern, einer Basler griechischen Bibelausgabe, zu Musikalien für den Gottesdienst, zu Ausgaben des Joachim Camerarius von Terenz und Äsop, zu einer posthumen Consilienausgabe des bedeutenden Wittenberger Juristen Henning Göde, die Melchior Kling besorgt hatte u. a. m.
Melanchthon bevorwortet auch Lutherschriften, darunter den ersten Band der Opera omnia von 1545, zu der Luther selbst die bekannte Praefatio mit der Schilderung seines theologischen Werdegangs beisteuerte. Melanchthon stellt Luther in die Reihe derer, die seit Anbeginn für die Reinheit der Lehre in der Kirche standen und der in der finstersten Zeit der Kirche berufen wurde, jene wieder zu erneuern. Luthers Schriften müssen s. E. sowohl aus historischen als auch aus Gründen der unmittelbar gegenwärtigen Lehrauseinandersetzungen gelesen werden, nicht zuletzt in denen mit den Kölner römischen (Reform-)Theologen, die die alten Verhältnisse durch vorgebliche theologische Annäherung zu stabilisieren suchen (T 14, 3829; vgl. 13, 3775). Der offiziellen Würdigung von Luthers Bedeutung in Geschichte und Gegenwart stellt der Briefwechsel einige Bemerkungen Melanchthons zur Seite, die sein ge­legentliches Leiden unter Luthers Schärfe im Umgang mit abweichenden Überzeugungen dokumentieren (z. B. T 14, 3883 f.) und nachvollziehbar machen, dass er in einigen Fällen für Luther be­stimmte Informationen zurückhielt. Keine Edition kann verhin dern, dass sie selektiv ausgewertet wird, was immer wieder ge­schieht. Heinz Scheible hat in seiner Melanchthonbiographie eindrucksvoll ausgeführt, dass die freundschaftliche Arbeitsgemeinschaft beider im Dienst am Evangelium auch ernste Spannungen aushielt und bis zum Ende ihr Verhältnis bestimmte.
Der Gesamtkomplex des Kölner Reformationsversuchs des Erzbischofs Hermann von Wied, den Melanchthon u. a. mit einem längeren Besuch in Bonn von Mai bis Juli 1543 persönlich unterstützte – sein mit Abstand längster Aufenthalt außerhalb Wittenbergs in den Jahren 1543 bis 1545 –, wird auch durch zahlreiche Briefe jenes Jahres dokumentiert. Ein weiterer, umfangreicher Teil der Korrespondenz und der mit Luther und anderen Wittenberger Theologen verfassten Kollektivgutachten beschäftigte sich in den Jahren 1544 und 1545 mit den auf dem Speyerschen Reichsabschied von 1544 für den Folgereichstag in Worms vorgesehenen Religionsgesprächen. Dafür hatte Kurfürst Johann Friedrich ein Gesprächspapier eingefordert, das von Melanchthon verfasst und in erweiterter Form von ihm selbst ins Lateinische übersetzt wurde, die sogenannte »Wittenbergische Reformation« (T 14, 3792), ein wegen der unmittelbaren Vergleichsmöglichkeit der lateinisch-deutschen Begrifflichkeit auch für die Melanchthonphilologie interessanter Text. In kirchenpolitischer Perspektive hat das Papier insofern Bedeutung, weil es die Glaubenssätze unpolemisch festhält und ausführlich das Bemühen der Wittenberger um eine evangelische Bischofsverfassung dokumentiert. In zahlreichen Briefen im Um­kreis des Papiers informierte Melanchthon seine Briefpartner über den Fortgang der lateinischen Übersetzung.
Da sich Melanchthon in den drei dokumentierten Jahren bis auf die längere Reise nach Bonn 1543 und einige kürzere Aufenthalte z. B. in Leipzig, Torgau oder Merseburg die meiste Zeit in Wittenberg aufhielt, lässt sich sein normaler Arbeits- und Lebensablauf gut nachvollziehen: Schul- und Personalfragen, Ordinationszeugnisse, Vorlesungen, Gutachtertätigkeiten, Publikationen und auch die auf schnelle Weitergabe von privaten und allgemein interessierenden Informationen ausgerichtete Korrespondenz mit Freunden.
Die Bände sind mit den gewohnten, zuverlässigen Indizes ausgestattet: Absender- und Adressatenverzeichnisse, Bibelstellenregister und die Personen- und Zitatenverzeichnisse bieten wertvolle Zugänge zur Edition, für die man dankbar sein muss und der ein guter Fortgang zu wünschen ist.