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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

406–407

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Jörgensen, Bent

Titel/Untertitel:

Konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen. Zur Terminologie der Religionsparteien im 16. Jahrhundert.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter Oldenbourg 2014. 512 S. = Colloquia Augustana, 32. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-05-006488-8.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Die anzuzeigende geschichtswissenschaftliche Dissertation von Bent Jörgensen (* 1976), einem Schüler des Augsburger Historikers Johannes Burkhardt, geht auf eine Wette zurück: Während der Doktorvater die Vermutung einbrachte, es werde sich aus dem 16. Jh. kein Quellenbeleg finden lassen, »in dem ein Anhänger der Reformation seine Überzeugung als ›neu‹ bezeichnet hätte« (5), wollte J. das Gegenteil nachweisen. Diese Wette hat er zwar verloren, dafür aber mit seiner magistralen Untersuchung reichen his­toriographischen Gewinn eingefahren.
Seine gelehrte Studie setzt sich zum Ziel, die im Prozess der mit der Reformation einsetzenden Konfessionalisierung des abendländischen Christentums sich ausbildenden Selbst- und Fremdbezeichnungen der wichtigsten Religionsparteien zu erfassen und kontextuell zu analysieren. Das Ergebnis besteht in einer beeindruckenden, differenzierten, behutsam interpretierten Kartographie der im 16. Jh. gebrauchten konfessionellen Nomenklatur, die nicht allein in allgemein- und kirchenhistorischer Hinsicht von erheblicher Bedeutung ist, sondern auch den anderen kulturhistorischen Disziplinen, namentlich der Literatur-, Kunst-, Musik-, Sozial- und Mentalitätsgeschichtsschreibung, wichtige frühneuzeitliche Klärungsimpulse zu offerieren vermag.
Die ersten beiden Kapitel behandeln die üblichen, bei Erstlingswerken oft etwas ausufernd traktierten Einleitungsfragen: Sie er­läutern die Problemstellung, bieten einen (leider nicht ganz aktuellen) Forschungsüberblick und versuchen, das in Betracht gezogene Quellenmaterial zu klassifizieren. Ein Leser, der an der Sache interessiert ist, kann dabei seine Geduldsfähigkeit üben.
Das erste materiale Kapitel untersucht »Die konfessionelle Terminologie in theologisch-publizistischen Texten« (49–128) von Lutheranern, römischen Katholiken und Reformierten. Dabei lässt sich auf allen Seiten feststellen, dass die jeweilige Selbstbezeichnung einen universalistischen Alleinvertretungsanspruch erhebt (etwa: »Christen«, »wahre Kirche«, »alter Glaube«), die jeweiligen Fremdbezeichnungen hingegen in zahlreichen Varianten eine ge­zielte Dif-famierung des Gegners beabsichtigen, wobei die Verunglimpfung d er Evangelischen meist personenbezogen erfolgt (»Lutheraner«, »Zwinglianer«, »Calvinisten«), während die altgläubige Religionspartei von ihren Antagonisten nie mit dem Namen eines bestimmten Papstes, sondern stets institutionenbezogen als »Papstkirche« oder »Papisten« bedacht wird. Oft geben dabei Adjektive wie »verstockt«, »irrig« oder »ketzerisch« noch zusätzliche polemische Würze.
Hinsichtlich der Fremd- und Selbstbezeichnung der Wittenberger Reformation seien kleine Korrekturen erlaubt. So hat Johannes Eck den Parteinamen »Lutheraner« bzw. »Luterani« nicht erst 1520 (60), sondern, jedenfalls in seinen unlängst digital publizierten Briefen, bereits 1519 gebraucht. Und die Wittenberger Reformatorengruppe machte sich, wie auch Luther selbst, diese ursprüng-liche Fremdbezeichnung zu eigen, vereinzelt schon in Briefen der frühen und mittleren 1520er Jahre, massiv verstärkt seit dem Augsburger Reichstag von 1530, dessen Ausgang jede Hoffnung auf religiösen Ausgleich im Reich zerstört und den parteilich-partialen Charakter der eigenen Bewegung offenbar gemacht hatte.
Das zweite Sachkapitel erhebt den »offiziellen Sprachgebrauch der Kirchen im 16. Jahrhundert« (129–168). Es wird kaum überraschen, ist nun aber umsichtig aus den Quellen belegt, dass die katholischen Lehrdekrete und evangelischen Kirchenordnungen jener Zeit ebenfalls stark von polemischer Terminologie durchdrungen sind, indem sie der eigenen Religionspartei universale Alleingültigkeit zusprechen, der anderen hingegen Ketzerei, Gottesfeindschaft und blindes Sektierertum unterstellen.
Besonders gründlich untersucht J. sodann, von einem nicht unbedingt notwendigen Exkurs zum »überkonfessionelle[n] Vorgehen gegen Täufer und Türken« (315–338) unterbrochen, die konfessionsbezogene Nomenklatur im Umkreis der Reichstagsverhandlungen. Die darauf bezogene Unterscheidung von vier Phasen ist nachvollziehbar und leuchtet ein. So standen die Reichstage bis etwa 1532 im Zeichen der konfessionsparteilichen Konsolidierung. Während des darauf folgenden Jahrzehnts ist auf evangelischer Seite eine deutliche Festigung der Gruppenidentität wahrzunehmen, die durch die Bezugnahme auf den Basistext der Confessio Augustana (»Augsburger Konfessionsverwandte«) zusätzlich stabilisiert wurde. Zwischen 1541 und 1551 lassen sich aufgrund der bekannten außen- sowie innenpolitischen Zwänge, denen sich Kaiser und Reich ausgesetzt sahen, zunächst terminologische Befriedungstendenzen erkennen – selbst von den »Protestierenden« war nun auf Seiten des Kaisers nicht mehr die Rede –, bis sich dann im Vor- und Umfeld des Schmalkaldischen Krieges (1546/47) der Ton wieder deutlich verschärfte und die Ketzerterminologie allseits erneut regen Zuspruch erfuhr. Mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 ist schließlich ein reichsrechtlich garantierter Ausgleich erreicht worden, der den »Anhängern der römischen Kirche« bzw. »der alten Religion« (so erstmals seit den Religionsgesprächen von 1540/41) und den »Augsburger Konfessionsverwandten« eine tendenziell gleichberechtigte Koexistenz einräumte und das Religionsthema bis zum Dreißigjährigen Krieg als zentralen Gegenstand der Reichstagsverhandlungen obsolet werden ließ.
Das Verzeichnis der gedruckten Quellen weist stattlichen Um­fang auf (470–481), hätte sich indessen dadurch verschlanken lassen, dass etwa für Luther oder Calvin lediglich auf die Gesamtedi-tion der Weimarer Ausgabe bzw. der Calvini Opera verwiesen worden wäre, anstatt für diese Autoren 32 bzw. 16 Einzelschriften un­tereinanderzureihen. Sehr hilfreich ist, dass die Register nicht nur, wie üblich, Personen und Sachen ausweisen, sondern dazu auch ein Verzeichnis der wichtigsten konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen bieten (508–512).
Ingesamt ist damit ein Standardwerk vorgelegt worden, das für den gedruckt verfügbaren Quellenbestand und für einzelne ungedruckte, im Staatsarchiv Augsburg einliegende Reichstagsakten eine erschöpfende Analyse der dort im 16. Jh. gebrauchten konfessionellen Parteititulierungen bereitstellt. Die Frage, inwieweit eine zusätzliche Auswertung der von den religiösen Protagonisten unterhaltenen Korrespondenz weitere Gesichtspunkte oder Differenzierungen freilegen könnte, geht nicht zu Lasten J.s, sondern sei als eine komplementär zu leistende Forschungsaufgabe benannt und beworben.