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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

404–405

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Holder, R. Ward [Ed.]

Titel/Untertitel:

Calvin and Luther: The Continuing Relationship.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 235 S. = Refo500 Academic Studies, 12. Geb. EUR 89,99. ISBN 978-3-525-55057-1.

Rezensent:

Martin Keßler

Der englischsprachige Sammelband geht nur indirekt auf seine äußere Veranlassung ein. Am Ende der thematischen Einführung dankt der Herausgeber R. Ward Holder im Namen der Calvin Studies Society, der er 2011 bis 2013 vorstand, dem »North American Luther Forum« für die anregenden Diskussionen beim 2011 colloquium (10). Der Band spiegelt somit eine Kooperation zweier nordamerikanischer Forschungsinitiativen wider. Die Calvin Studies Society wurde Mitte der 1970er Jahre gegründet und dokumentiert ihre zweijährlich stattfindenden Kolloquien seit 1978 in Sammelbänden. Das »North American Luther Forum« ist eine jüngere, seit 1999 bestehende Einrichtung, deren Tagungsturnus zwischen zwei, vier und neuerdings drei Jahren alterniert.
Für die Zusammenarbeit von 2011 wurde mit Calvin and Luther ein integratives Thema gewählt. Die Feststellung des Herausgebers: »very few scholars have explicitly considered the relationship between Calvin und Luther or between Calvinism and Lutheran­ism«, die als Ausnahmen nur zwei Autoren der Jahre 1991 und 1993 anerkennen möchte (8, mit Anm. 8), wird man hinterfragen müssen. Vergleiche zwischen den beiden Reformatoren besitzen im deutschen, französischen und englischen Sprachraum alleine des 20. Jh.s eine breite Forschungstradition; auch trug das Konfessionalisierungsparadigma zu einer Intensivierung komparatistischer Ansätze bei. Gleichwohl trifft zu, dass eine Verhältnisbestimmung zwischen Luther und Calvin immer Optimierungspotential be­sitzt, schon alleine deshalb, weil das Gesamtwerk der beiden auf zahlreiche Bezüge angelegt ist und in seinen genetischen Verbindungen stets unzureichend bestimmt bleibt.
Wie nähern sich die Autoren der elf Aufsätze dem Thema an? Der Herausgeber gliedert die Beiträge in drei Sektionen: Reformers, Confessions und Contemporary Perspectives. Die Anordnung deutet eine chronologische Progression an. In der Tat stehen am An­fang vier Aufsätze, die überwiegend den Vergleich zwischen Luther und Calvin suchen. Die ersten beiden Studien entscheiden sich für einen auslegungsgeschichtlichen Ansatz. Der Fokus von G. Sujin Pak gilt den kleinen Propheten. Auf einer breiten Quellenbasis hebt Pak auf grundlegende Übereinstimmungen im Verständnis der alttestamentlichen Prophetie ab, bevor Unterschiede in der Interpretation von Gesetz und Evangelium herausgearbeitet werden. David M. Whitford untersucht die von ihm bereits monographisch behandelte Perikope zu Noahs Fluch und Segen (Gen 9), die altkirchlich antijudaistisch interpretiert und in den amerikanischen Südstaaten zur göttlichen Legitimierung einer rassentheoretischen Begründung der Sklaverei herangezogen wurde. Weder Luther noch Calvin lassen sich in diese Rezeptionsmuster einordnen, illustrieren aber den interpretativen Freiraum selbst einer zunehmenden Konzentration auf den Literalsinn. Einer früheren Monographie ist auch der Beitrag von Paul Westermeyer verpflichtet, der für Luther und Calvin nach dem theologischen und kirchlichen Stellenwert der Musik fragt. Timothy J. Wengert schildert Calvins Auseinandersetzung mit Osianders Rechtfertigungslehre und erweitert quellenkritisch und methodisch sensibel die auf das Luthertum beschränkte Darstellung seines 2012 erschienenen Buches Defending Faith.
Die zweite Sektion Confessions eröffnet mit einem Beitrag von Susan C. Karant-Nunn, deren emotionsgeschichtliche Perspektiven auf frühneuzeitliche Entwicklungen zu dem persönlichen Eindruck der Autorin führen, dass die Gottesbeziehung im Luthertum des 17. Jh.s von einer größeren emotionalen Nähe geprägt gewesen sei als im Calvinismus. Jeffrey R. Watt schöpft aus der Fülle seiner archivalischen Studien zum Genfer Konsistorium, dessen Bedeutung er positiv zu bestimmen sucht, indem er auf kirchliche und soziale Integrationsbemühungen abhebt. Der Artikel von Robert Kolb widmet sich auf anregende Weise der literarischen Gattung der Biographie, zunächst im Werk Luthers (mit Heiligenviten), dann mit dem Leben Luthers und schließlich mit weiteren lebensgeschichtlichen Schilderungen des frühen Luthertums. Henning P. Jürgens stellt Benedict Morgenstern (1525–1599) vor, einen lutherischen Theologen, der wohl aus Opposition zu Osiander Königsberg verlassen musste. Originalität wird ihm nicht konzediert, aber eine paradigmatische Signifikanz.
Zu Beginn der Schlusssektion »Contemporary Perspectives« stehen zwei eng aufeinander bezogene Beiträge. J. Todd Billings vo­tiert theologisch und makrohistorisch für Gemeinsamkeiten einer innerprotestantischen Vielfalt, in der sich biblisch, katholisch und reformatorisch »features of a western, broadly Augustinian tradi-tion« (176) identifizieren ließen. Während Billings dieses Konzept in Abgrenzung von Mannermaas Lutherdeutung entfaltet, überträgt es Theresa F. Latini auf die Ekklesiologie, die sie – für Luther wie Calvin – unter dem »Bild« der Kirche als Mutter entfalten möchte. Christine Helmer beschließt den Band mit einer theologiegeschichtlichen Interpretation des 19. und 20. Jh.s, nach der Schleiermacher eine einheitsstiftende Protestantismustheorie entworfen habe, von der sich im 20. Jh. Barth auf der einen und Elert auf der anderen Seite wirkungsmächtig entfernt haben.
Mit dem Buch erscheint erstmals ein Tagungsband der Calvin Studies Society bei einem Verlag, der eine breitere publizistische Wahrnehmbarkeit dies- und jenseits des Atlantiks ermöglicht. Die Konferenz des Jahres 2013 zu Calvin and the Book soll ebenfalls in der akademische Reihe Refo500 gedruckt werden.