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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

396–398

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wypadlo, Adrian

Titel/Untertitel:

Die Verklärung Jesu nach dem Markusevangelium. Studien zu einer christologischen Legitimationserzählung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XII, 514 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 308. Lw. EUR 139,00. ISBN 978-3-16-152560-5.

Rezensent:

Peter Müller

514 Seiten umfasst diese Studie zu den sieben Versen der Verklärungserzählung in Mk 9,2–8. Gleich zu Beginn setzt Adrian Wypadlo in seiner 2013 erschienenen Tübinger Habilitationsschrift dementsprechend mit einigen Hinweisen ein, die implizit den großen Umfang des Buches erklären: die zentrale Stellung der Episode im Gesamtaufriss des Evangeliums (4), ihr hoher Komplexitätsgrad (6) und die mit ihr verbundenen »massive(n) Interpretationsprobleme« (7). Kapitel I (1–74) führt dies aus und steckt den Problemhorizont ab, wobei vor allem die gattungskritische Einordnung, die Stellung des Abschnitts im Gesamttext und der motivgeschicht-liche Hintergrund der Perikope beleuchtet werden. Als »Schlüsselstelle markinischer Christologie« (69) weise die Perikope auf die Tauferzählung 1,9–11 zurück und auf das Bekenntnis des Centurio 15,39 voraus (54 f.60.62.183) und gehöre zudem eng mit den Leidens- und Auferweckungsankündigungen in Mk 8–10 zusammen (58). Sowohl die Tauf- als auch die Verklärungsepisode seien als »chris­tologische Legitimationserzählungen« zu verstehen (65), die auf die grundlegende Frage nach der Identität Jesu in 4,41 antworteten (69). Vor diesem Hintergrund will die Studie das theologische Milieu beleuchten, in das die Verklärungserzählung einzuordnen ist (74).
Das ausführliche Kapitel II (75–278) liefert eine detaillierte, synchron orientierte Lektüre der Perikope, die sich angesichts höchst divergierender redaktionskritischer Lösungsmodelle empfehle (111.270). Der Textabschnitt erweise sich als »Christologie im Mo­dus der Erzählung«, die Antwort gebe auf die Frage »nach der Identität der Person Jesu angesichts des Kreuzes« (so nach Backhaus, 114). Markus habe eine ihm vorgegebene mündliche Tradition erstmals verschriftlicht, dabei »behutsam überarbeitet und sachlich, sprachlich und textlogisch gekonnt in den narrativen Aufbau seines Evangeliums integriert und biographisiert« (267, vgl. 444 u. ö.). Die Trennung von Tradition und Redaktion dürfe nicht zum Aus gangspunkt der Untersuchung gemacht werden (268), wohl aber müssten die Spannungen und Unebenheiten als solche wahrgenommen werden (269), wobei die »redaktionelle« Leistung des Evangelisten in der Bearbeitung des mündlichen Materials besteht (270, vgl. Kapitel II 4 »Traditionelle und redaktionelle Anteile«). Ob der Begriff »redaktionell« in diesem Zusammenhang sinnvoll ist, kann man fragen.
In Kapitel III (279–395) behandelt W. das für die Interpretation der Perikope wichtige Verklärungsmotiv. In Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Lohmeyer und Hahn (281–284; vgl. 441: »Die Annahme eines Konglomerats jüdischer und pagan-hellenistischer Erzählmotive ist unglaubwürdig«) geht es ihm darum, den traditionsgeschichtlichen Bezug des Textes zur Exodus-/Sinaiüberlieferung in Ex 24.34 neu zu untermauern (280). Grundlegend ist für ihn dabei die Erkenntnis, dass die auf die Sinaitradition anspielende Mo­tiv- und Vokabulardichte so hoch sei, »dass es als überaus unwahrscheinlich erachtet werden muss, dass der markinische Er­zähler […] die Transfigurationsnarratio nicht in Anknüpfung und Abgrenzung zur Sinaitradition platzierte« (286). Der »flächendeckende(n) Sättigung […] mit jüdischen Erzählmotiven« (293) stehe zwar der Sachverhalt entgegen, »dass in der LXX im Falle des Mose nur sehr bedingt von einer wirklichen Verwandlung gesprochen werden kann, die zudem nicht mit dem in Mk 9,2–8 zentralen Verb μεταμορφοῦσθαι ausgedrückt wird« (298). Die Deutung von Ex 24. 34 bei Philo (vor allem VitMos II 69 f.; Quaest in Ex II 29) bilde aber die Brücke zu den alttestamentlichen Aussagen, und bei Philo zeitige im Rahmen des prophetischen ἐνθουσιασμός die innere Verwandlung des Propheten außerdem äußerlich sichtbare Folgen (442). Insgesamt kommt W. zu dem Ergebnis, dass die markinische Verwandlungserzählung theologiegeschichtlich »auf die Lektüretradition von Ex 24 und Ex 34 im Bereich des hellenistischen Judentums« und hier besonders auf Philo verweise. »Kein anderer antiker Text kann angeführt werden, in dem die in Mk 9,2–8 verarbeiteten Erzählmotive in solcher Dichte vorliegen wie in VitMos II 69 f. und Quest in Ex II 29« (382). Dabei akzentuiere Markus die Sinaitradi-tion jedoch darin eigenständig, dass er Jesus als Sohn Gottes gegenüber Mose besonders hervorhebe. Jesus werde so »einerseits Mose, dem ›klassischen‹ Verwandelten des hellenistischen Judentums, zugeordnet, andererseits […] theologisch übergeordnet« (395).
In Kapitel IV (396–440) geht es um die Funktion Elias in der Verklärungsperikope. Gegenüber der oft vertretenen eschatologischen Deutung, der typologischen Deutung im Sinne von Prophetie und Gesetz, der Vorstellung von Elia und Mose als »himmlischen Gerechten« und der Verknüpfung der Sinaioffenbarung mit der Gestalt des Elia (400–411) verbindet W. die Erwähnung von Elia vor allem mit den Leidensaussagen im Markusevangelium: »Im markinischen Makrotext findet sich ein durchgängiges Interesse an der Erzählfigur ›Elija‹, wobei auffällt, dass dieses Interesse im Zusammenhang des markinischen Präferenztopos ›Leiden‹ kommuniziert wird, was Textstellen wie Mk 6,15; 8,28; 9,11–13 und 15,34–37 deutlich zu entnehmen ist« (415). Das Leiden des Elia redivivus sei als der »Innovationspunkt« anzusehen, auf dem das Interesse des Evangelisten liege (423). Dies trete besonders in dem »elijanischen Rahmen« hervor, der mit 9,4 f. und 9,11–13 die zentrale Gottessohnaussage in 9,5 umfasse (427). Die Vorrangstellung des Elia, der nach 9,4 »mit Mose« kommt, erkläre sich aus diesem besonderen Interesse und dem offensichtlichen Zusammenhang von Elia und der Leidensthematik und deren Bezug zur Gestalt Johannes des Täufers (»Die auffallende narrative in der Schilderung des Martyriums des Johannes [6,17–29] hat die Funkt ion, den Täufer Johannes in seine himmlische Elija-Position zu­rückkehren zu lassen, aus der heraus seine Erscheinung auf dem Berg der Verklärung […] möglich wird« 444): »Elija und der Menschensohn haben gemeinsam, dass sie kommen und leiden müssen« (439). Zugleich verleihe Markus mit der chiastischen Anordnung der handelnden Figuren in 9,4 f. Elia eine betonte Außenstellung, Jesus aber die zentrale Stellung (444). Hier spiegele sich das eigene theologische Interesse des Evangelisten in besonderer Weise. Von einer Abwertung des Mose könne gleichwohl keine Rede sein, »insofern die an Ex 24 und 34 orientierten Erzählzüge gleichsam die Folie darstellen, auf der die in Mk 9,2–8 vorliegende christologische Legitimationserzählung kommuniziert wird« (444).
Das Literaturverzeichnis (445–479) sowie ein Stellen- (481–502), Autoren- (503 f.) und Sachregister (505–514) helfen beim Erschließen der Studie.
Ob der Evangelist die Erzählung als Erster verschriftlichte, mag dahingestellt bleiben. Wenn man klare redaktionelle Elemente identifiziert (267–278), bleibt das zumindest fraglich. Die Rückführung der Perikope auf Ex 24 und 34 in der Deutung des hellenistischen Judentums ist m. E. einleuchtend. W. kann sowohl die Nähe zu dieser Tradition als auch die eigenständige christologische Deutung plausibel machen. Auch das besondere markinische Interesse an der Rolle Elias wird nachvollziehbar beschrieben. Der Text wird als christologische Legitimationserzählung verständlich, und insbesondere die Verknüpfung mit der Taufepisode ist einleuchtend (bei der Verknüpfung mit 15,39 bleibe ich dagegen skeptisch). Gerade weil W. mit Recht darauf hinweist, dass Mk 9,2–8 im Kontext des gesamten Evangeliums auszulegen ist, ist aber zu fragen, warum er dies nicht noch konsequenter tut und beispielsweise 9,9–11 mit dem Schweigegebot mehr Aufmerksamkeit widmet (im Blick auf 9,9–13 wird vor allem die Rolle Elias behandelt, 177–182), das in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verklärung steht und als Einziges im gesamten Evangelium mit einem »Termin« versehen ist. Die Schweigegebote hängen eng mit der »Herrlichkeit Jesu« zusammen, die man bei aller zutreffenden Betonung der Leidensthematik in dieser Perikope und im gesamten Evangelium stärker berücksichtigen sollte.
Die Untersuchung ist, das sei abschließend erwähnt, umfassend recherchiert und gut lesbar, weist allerdings auch einige Redundanzen auf. 514 Seiten für sieben Verse sind halt schon viel.