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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

763–765

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Ziebertz, Günter J.

Titel/Untertitel:

Berthold Altaner (1885-1964). Leben und Werk eines schlesischen Kirchenhistorikers.

Verlag:

Köln-Weimar-Wien: Böhlau 1997. XIII, 446 S., 1 Porträt gr. 8 = Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, 29. Lw. DM 88,-. ISBN 3-412-11696-3.

Rezensent:

Manfred Weitlauff

Für katholische Theologiestudierende der fünfziger und sechziger Jahre war "der Altaner" ein stehender Begriff: gemeint ist Berthold Altaners in sechs Sprachen erschienene "Patrologie", damals ein unverzichtbares Lehr- und Lernbuch, für viele ein zuverlässiger Führer zur Lektüre der Kirchenväter selbst. Es ist das Verdienst des Vf.s der vorliegenden Arbeit, einer im Sommersemester 1994 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum angenommenen Doktor-Dissertation, in ihr nunmehr auf Grund umfangreicher archivalischer Recherchen und der Kontaktnahme mit den wenigen noch lebenden Zeitzeugen den Gelehrten Berthold Altaner im Licht seines schicksalhaften Lebensweges und seines wissenschaftlichen uvres gezeichnet zu haben. Dabei ist - um dies vorwegzunehmen - der zweite Teil der Arbeit (151-423) besonders wertvoll: In ihm sind die für die biographische Darstellung (1. Teil, 4-150) benutzten Quellen aus 21 Archiven und (in mühsamer Suche aufgespürten) Privatnachlässen dokumentiert (233 Stücke), außerdem ein Verzeichnis der Lehrveranstaltungen Altaners und seine 506 Nummern (ohne Lexikonartikel) umfassende Bibliographie.

Altaner, 1885 im oberschlesischen Wallfahrtszentrum St. Annaberg geboren und in einem gutsituierten bürgerlichen Elternhaus aufgewachsen, 1910 Priester des Fürstbistums Breslau, hatte sich mit seinen quellenkritischen Studien (Dissertation 1911, Habilitation 1919) ursprünglich auf die spätmittelalterliche Ordensgeschichte (Dominikaner. Ordensmission) spezialisiert und war seit 1919 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Breslau Privatdozent für mittlere und neuere Kirchengeschichte. Erst als man ihn 1925, eben zum a.o. Professor ernannt, nach der Beurlaubung des Breslauer Patrologen Joseph Wittig (1879-1949), der wegen seines Hochland-Beitrags "Die Erlösten" (1922) kirchlich gemaßregelt worden war, mit der zwischenzeitlichen Vertretung der Alten Kirchengeschichte betraute, wandte er sich, bereits vierzigjährig, diesem Fachgebiet zu, begann auf ihm auch gleich zu publizieren, ohne allerdings zunächst seine spätmittelalterlichen Forschungen aufzugeben. Nachdem seine Fakultät für die Nachfolge Wittigs den in Münster lehrenden Franz Joseph Dölger (1879-1940) ihm vorgezogen und dieser den Ruf nach Breslau angenommen hatte (1926), wies ihn 1928 der preußische Wissenschaftsminister an, an der staatlichen Akademie Braunsberg Kirchengeschichte und Kirchenrecht zu vertreten. Doch Dölger folgte bereits 1929 einem Ruf nach Bonn (Nachfolge Albert Ehrhards), ein Umstand, der die von Lehrstuhlstreichungen bedrohte Breslauer Fakultät zu raschem Handeln zwang. Sie schlug für die Wiederbesetzung des vakanten Lehrstuhls, von Dölger unterstützt, im Juni 1929 Altaner (dessen "venia legendi" inzwischen auf Kirchengeschichte allgemein erweitert worden war) "unico loco" vor, und bereits zum Wintersemester 1929/30 konnte Altaner als ernannter Ordinarius an seine Heimatuniversität zurückkehren. Hier erhielt er vom Verlag Herder, Freiburg i. Br., 1930 das Angebot der Neuherausgabe des von Gerhard Rauschen begründeten studentischen Lehrbuchs "Grundriß der Patrologie mit besonderer Berücksichtigung der Dogmengeschichte" (Freiburg 1903, 4-51913), das nach Rauschens Tod ( 1917) von (dem inzwischen exkommunizierten) Joseph Wittig weitergeführt und zu einem auch dem Fachmann dienenden Nachschlagewerk ausgebaut worden war (6-71921, 8-91926). Altaner nahm das Angebot an, und bereits im Jahr darauf konnte die von ihm besorgte Bearbeitung, nunmehr unter dem Titel "Patrologie. Die Schriften der Kirchenväter und ihr Lehrgehalt" (10-111931), erscheinen, zwar unverändert in der von Wittig gewählten Konzeption, jedoch in den Literaturangaben um etwa 1800 Positionen vermehrt, womit er dem Werk noch deutlicher als Wittig den Charakter eines Forschungsinstruments verlieh. Für sich selbst aber hatte Altaner mit der Betreuung dieses Werkes seinen künftigen Forschungsschwerpunkt gefunden.

Die "Patrologie" begleitete ihn durch sein ganzes Leben: In den Jahren 1933-1945, als er, wegen seiner pazifistischen Aktivitäten vom NS-Regime seines Lehrstuhls entsetzt, von seiner Fakultät gemieden (sein Nachfolger wurde der Nationalsozialist Dr. Felix Haase [1882-1965], bis 1945 auch durchgehend Dekan) und von seinem Bischof Kardinal Adolf Bertram wenig solidarisch behandelt, als Domvikar sein Leben fristen mußte, 1945, als es ihn, vom NS-Sicherheitsdienst ohne alle Habe mit vielen Tausenden aus der "Festung" Breslau ausgewiesen, erst in die Tschechoslowakei, dann nach Bayern, in die Oberpfalz, verschlug, bis er schließlich Ende 1945, bereits sechzigjährig, in der Theologischen Fakultät der Universität Würzburg unter kümmerlichsten äußeren Verhältnissen seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen konnte (zunächst vertretungsweise, seit 1946 als Ordinarius), ohne in der neuen Umgebung nochmals heimisch zu werden.

Da das NS-Regime ihn zwar als - politisch unzuverlässigen - Professor zwangsemeritiert, ihm aber doch kein Publikationsverbot auferlegt hatte, war es ihm 1938 möglich, die "Patrologie" in neuer Konzeption und unter seinem Namen herauszugeben: Er war sich bewußt geworden, daß eine modernen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Patrologie als altchristliche Literaturgeschichte mit stark philologischer Prägung konzipiert werden mußte, womit er sich grundsätzlich jener Position anschloß, die beispielsweise Adolf (von) Harnack gegen die Auffassung Otto Bardenhewers vertreten hatte (siehe: ThLZ 27, 1902, 237-239; 29, 1904, 76 f.; 37, 1912, 779-781; 39, 1914, 137-139); freilich waren der praktischen Umsetzung seiner Idee im Rahmen eines Lehrbuchs und durch die Notwendigkeit dogmengeschichtlicher Rücksichtnahmen Grenzen gesetzt, aber schon die Umarbeitung verschiedener Abschnitte (Tertullian, Origenes, Augustinus u. a.) zeigte klar die neue, literarhistorische Akzentuierung. 1950, im Jahr seiner Emeritierung, legte Altaner eine zweite verbesserte Auflage seiner Bearbeitung der "Patrologie" mit dem neuen Untertitel "Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter" vor, erweitert um 18 neu aufgenommene altchristliche Autoren und über 1000 neueste Literaturhinweise.

Die letzte Bearbeitung aus seiner Feder war die fünfte Auflage des "Altaner" von 1958. Es handelte sich um eine (der Konzeption der ersten Auflage von 1938 folgende) völlige Neubearbeitung des Werkes als Ertrag fast dreißigjähriger Forschungsarbeit: Es waren weitere 27 altchristliche Autoren bzw. Schriften unbekannter Autoren neu aufgenommen, die Literaturhinweise mit über 3000 neuen Titeln waren jetzt um der besseren Übersicht willen nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet, der darstellende Teil war teilweise neu formuliert. Freilich war das alsbald in mehrere Sprachen übersetzte Werk auch jetzt nicht zu einer "Literaturgeschichte", sondern durch die ständige Aktualisierung der Literaturhinweise zu einem vor allem der Forschung dienenden Nachschlagewerk von allerdings hohem wissenschaftlichem Niveau gediehen. Seinen 1935 gefaßten Plan, Bardenhewers fünfbändige "Geschichte der altkirchlichen Literatur (Freiburg 21913-1932) durch eine kritische altchristliche Literaturgeschichte zu ersetzen, vermochte Altaner, wie so viele andere Pläne, nicht zu verwirklichen; doch legte er 1946 in der Festschrift für Kardinal Giovanni Mercati ein (am Vorbild Gustav Krügers orientiertes) methodisches Konzept vor, mit dem er nachdrücklich gegen Bardenhewers Auffassung seiner Überzeugung Ausdruck verlieh, "daß gegen eine altchristliche Literaturgeschichte vom katholisch-theologischen Standpunkt aus keine prinzipiellen Einwendungen erhoben werden können, daß vielmehr Gründe der historischen Methodik diese Titelgebung fordern" (zit. 128).

Die Arbeit zeichnet - soweit die Quellen darüber Aufschluß geben - Herkunft, akademischen Werdegang (im Breslauer "Klima" der Nachwirkungen des preußischen Kulturkampfes und der Modernismus-Auseinandersetzungen) und Schicksalsweg dieses durch seine "Patrologie" und seine patrologischen Studien (vor allem zu Augustinus) zu internationalem Ansehen gelangten Gelehrten, der - ein ziemlich distanzierter Lehrer und gefürchteter Examinator (49) - nach dem Zweiten Weltkrieg mit hohen Auszeichnungen geehrt wurde, sich allerdings im Vorfeld der Dogmatisierung der Assumptio Mariae (1950) als einziger deutscher Theologe von Rang auf Grund seiner profunden Kenntnis der altkirchlichen Tradition sehr dezidiert gegen deren Definierbarkeit aussprach, mit der Folge, daß zum einen seinem wissenschaftlichen Lebenswerk eine öffentliche kirchliche Anerkennung versagt blieb und zum andern die Veröffentlichung seiner Assumptio-Stellungnahmen in der Münsteraner "Theologischen Revue" (1948-1950) den Herausgeber - seinen Freund Josef Gewiess (1904-1962), damals noch apl. Prof. in Münster - fast die akademische Laufbahn gekostet hätte.

Für Altaner selbst war das neue Mariendogma kein Grund für einen persönlichen Konflikt mit seiner Kirche; ihm war es nur darum gegangen, als Kirchenhistoriker aufzuweisen, daß die geplante Definition durch eine wissenschaftliche Theologie nicht begründbar sei. Seine durch die Erfahrungen der Modernismuskrise grundgelegte kritische Distanz gegenüber der Kirchenleitung, die sich (unbeschadet seiner schlesisch gefärbten Frömmigkeit) durch seine Erfahrungen in den folgenden Jahrzehnten verstärkt hatte, wurde allerdings seit 1950 noch intensiver. Auch dieses Kapitel (98-120) ist ausführlich dargestellt (doch glaubt der Vf. hier Altaners Argumentation in der Assumptio-Frage gewisse Defizite hinsichtlich der theologischen "Gesamtschau", will heißen: spekulativ-systematische Blindheit bescheinigen zu müssen); im Dokumentenanhang ist in diesem Zusammenhang insbesondere das belehrende Schreiben P. Augustin Beas SJ (des nachmaligen Kurienkardinals und Präsidenten des Sekretariats für die Einheit der Christen) an den Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster, in dem Altaner als theologischer Dilettant hingestellt wird (vom 10. Juli 1950; Dokument 182/412, S. 337-339), theologisch höchst aufschlußreich. Und natürlich setzt sich die Arbeit eingehend mit Konzeption und Inhalt der verschiedenen Auflagen der "Patrologie" (53-63, 77-81, 130-136) wie überhaupt mit den mittelalterlichen Studien der frühen Jahre Altaners und seinen gesamten patrologischen Forschungen auseinander. Mit diesem Werk setzt der Vf. nicht nur einem bedeutenden theologischen Forscher das verdiente literarische Denkmal; vielmehr leistet er mit seiner Untersuchung auch einen fundierten Beitrag zur noch weithin unerforschten Geschichte der katholischen Theologie zwischen Modernismus-Kontroverse und Zweitem Vatikanum. Dafür gebührt ihm der Dank der Wissenschaft.